Strandparty - Geschichten von Sommer, Liebe und Meer, ausgewählt von G. Cynybulk u. A. Paschedag

  • Für den Tag am Meer verspricht der Buchrücken und dann folgen noch die bekannten Worte wie türkisblaues Meer, sonnendurchwärmte Dünenlandschaft, Sylt, Irland, Malta bis Mallorca, Urlaubsflirt.
    Das Cover lockt mit eben diesem Meeresblau, einem Strohhut und Flip-Flops in pink und grün. Also, eingestimmt auf locker-leichte Strandlektüre?
    Pech! Das ist das Buch nämlich nicht.
    Es ist eine Mogelpackung, eine Ware mit falschen Etikett, es segelt unter falscher Flagge, um in der Meeresmetaphorik zu bleiben.
    Zusammengestellt für diesen Band wurden 19 Texte. 'Geschichten' steht im Untertitel und darüber kann man streiten. Originalbeiträge in Form von Geschichten, nämlich einem kürzeren, zusammenhängenden, selbständigen Text enthält der Band nur drei. Nun müssen Anthologien nicht unbedingt aus Originalbeiträgen bestehen. Von den verbleibenden 16 stammen demnach auch sechs aus bereits erschienenen Sammlungen von Erzählungen. Die verbleibenden zehn Geschichten sind jedoch - Auszüge aus Romanen!
    Das Buch ist demnach eine Art 'Werkschau', eine Platte mit Hors d'oeuvres des Aufbaus-Verlags, der damit auf die Autorinnen und Autoren des eigenen Hauses aus den letzten drei, vier Jahren hinweisen möchte. Wenn man das beim Lesen im Kopf behält und sich zudem der Tatsache stellt, daß die Texte mehrheitlich alles andere als 'leichte' Kost sind, ergibt sich eine Lektüre, die in verschiedener Hinsicht interessant und aufschlußreich ist.
    Die Mischung aus deutschen und ausländischen AutorInnen bei den Romanauszügen wie bei den Geschichten aus Anthologien geht eher zuungunsten der deutsche AutorInnen aus. Die Selbtsbezogenheit, der eingeschränkte Blick, das unablässige Um-sich-selbst-Kreisen, das die deutschen AutorInnen seit vielen Jahren kennzeichnet, kommt auch hier zum Tragen. Die Charakterisierungen der Personen wirken blaß, die Probleme abgedroschen, Gewalt und eine Menge expliziter Sex bloß infantil.
    Ganz anders die eigenartig schwebende Atmosphäre, die z.B. Paglieri mit wenigen Worten hervoruft und auch durchhält (Siebenundzwanzig)ebenso wie ganz großartig Giles Foden ( Der Aussteiger) und in der Erzählung von Matthias Zschokke (Badetage) oder die Charakterisierungen bei Vonne van der Meer (Temperaturanstieg), Vindland (Willkommen im Sommer) und Nina De Gramont ( Lieutenant Island).
    Sprachlich wunderschön fand ich unter den Romanauszügen allerdings Die Oase von Claudia Gudelius, ein Text, der faszinierend genug ist, daß er auf den Roman neugierig macht. Die Geschichte von Tom Liehr Kondome ist nicht nur als Originalbeitrag hervorzuheben, sondern auch wegen der Figurenzeichnung, die beim zweiten Lesen der Geschichte noch gewinnt.
    Also: keine Strandlektüre zum Abtauchen, sondern ein eher anspruchsvolles Lesebuch.


    erwähnt wurde der Band auch schon:
    hier

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Hallo, Magali.


    Zitat

    Ganz anders die eigenartig schwebende Atmsophäre, die z.B. Paglieri mit wenigen Worten hervoruft und auch durchhält (Siebenundzwanzig)


    Der Text ist aus "Sommer Ende zwanzig", ein wirklich schönes Buch, das ich nur empfehlen kann:


    Anfang der Neunziger machen vier Freunde einen Interrail-Trip durch Europa: Robi, der so gut aussieht, daß er Frauen abwehren muß, Mario, genannt "die Zecke", der durch klammernde Beharrlichkeit Punkte auf der Abschleppskala (5 Punkte: Zungenkuß, 25 Punkte: Oralsex, 50 Punkte: Das ganze Programm) sammelt, Matteo, genannt "der kleine Teo", der Robi bewundert und nachahmt. Und schließlich Stefano, der feingeistige, introvertierte Ich-Erzähler, der eine riesige Nase hat und im entscheidenden Moment jedes Date in die Katastrophe führt. Die Reise führt sie durch das saubere Stockholm, wo zwar alle Frauen wie Engel aussehen, aber nichts von ihnen wissen wollen, sie werden in Barcelona ausgeraubt, feiern in Budapest, ohne zu ahnen, daß all die gutaussehenden Mädchen Geld oder Geschenke von ihnen haben wollen, durchsumpfen die Nächte im spanischen Hippiedorf, drängeln sich in dreckigen, quälend langsamen, hoffnungslos überfüllten Zügen auf dem Weg zum schwarzen Meer, erleben Paris, wie man Paris eben erlebt: Atemlos und staunend. Es ist der Trip ihres Lebens, sie streiten sich, sie freuen sich gemeinsam.
    Aber diese Reise wird auch das Ende ihrer Freundschaft markieren; eine Ahnung dieses Umstandes läßt sie an der spanischen Küste eine Flasche Whiskey vergraben, so ähnlich, wie im Film "Fandango" (den sie lieben, vor allem Stefano) - und sie geben sich das Versprechen, neun Jahre später zurückzukehren, an dem Tag, an dem Stefano dreißig werden wird, als erster von ihnen.


    In einer Parallelhandlung, die in der Jetztzeit spielt, in den Wochen vor Stefanos dreißigstem Geburtstag, erzählt er davon, wie er zwei Jahre zuvor in die Totalverweigerung emigrierte: Stefano hörte auf, zu reden, vergrub sich in der Wohnung, gab Job, Freundin, soziale Kontakte auf. Es gab keinen mittelbaren Anlaß, wohl aber Gründe: Stefano spürte, daß ihn das Leben in eine Richtung gedrängt hatte, die immer weniger mit dem Träumen und Wünschen zu tun hatte, die ihm als Jugendlicher durch den Kopf gingen. Beim letzten Treffen mit seinen drei Reisegefährten, zwei Jahre zuvor, mußte er feststellen, daß es ihnen ganz ähnlich ergangen ist - im Gegensatz zu ihm wollen sie es allerdings nicht wahrheben, und so wird seine Eremitage auch zur Stellvertreterhandlung für seine verlorenen Freunde.


    "Sommer Ende Zwanzig" ist also kein Buch, das im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts angesiedelt ist, sondern ein sehr einfühlsamer, warmherziger Gegenwartsroman über das Ende der Jugend, über Freundschaft und das Kleinerwerden der großen Träume und Gefühle. Gelegentlich wirken die Reisebeschreibungen etwas zu klischeehaft, ansonsten aber erzählt Paglieri dicht, gefühlvoll, salopp und sehr vereinnahmend. Ein schönes, sehr melancholisches Buch.


    Zitat

    Die Geschichte von Tom Liehr Kondome ist nicht nur als Originalbeitrag hervorzuheben, sondern auch wegen der Figurenzeichnung, die beim zweiten Lesen der Geschichte noch gewinnt.


    :anbet :anbet :anbet :anbet

  • Au, weia, Tom,
    das habe ich befürchtet, daß der Paglieri ein gutes Buch ist.
    Darf ich darauf hinweisen, daß ich dabei bin, meinen SUB ABzuarbeiten,
    nicht aufzustocken??
    Grrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr!

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Tom


    Zwingt Dich jemand, das Buch zu kaufen? :grin


    Guter Aspekt! Wenn ich schon im Namen der Literatur leide, dann nicht auf eigene Kosten.
    Ääh, sach mal, hast Du schon ein Geburtagsgeschenk für mich?? ;-)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    :rofl


    Was Geschenke betrifft, habe ich dreimal pro Woche Geburtstag!
    Wir können ja einen Termin ausmachen :lache


    Klasse! Da ich ja am Ausräumen das magalischen Bücherregals beteiligt war und auch bald Geburtstag habe, gibbet ja da eine Chance meinen Sub zu erhöhen. :grin

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    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)