Håkan Nesser: Der Fall Kallmann
btb Verlag (30. Oktober 2017). 576 Seiten
ISBN-10: 3442757282
ISBN-13: 978-3442757282. 20€
Originaltitel: Eugen Kallmanns ögon
Übersetzer: Paul Berf
Verlagstext
Wie lebt es sich im Schatten eines Mordes?
Wer war Eugen Kallmann? Warum musste der beliebte Gesamtschullehrer in der beschaulichen schwedischen Kleinstadt sterben? Wirklich nur ein Unglücksfall, wie die Polizei behauptet? Als sein Nachfolger im Schwedischunterricht, Leon Berger, nach der langen Sommerpause seinen Dienst antritt, findet er im Pult unter Kallmanns Sachen eine Reihe von Tagebüchern, die sich als eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit entpuppen und ihn schon bald daran zweifeln lassen, dass sein Vorgänger tatsächlich eines natürlichen Todes gestorben ist. Denn in seinen Einträgen behauptet Kallmann unter anderem, er würde die Gabe besitzen, in den Augen anderer Menschen erkennen zu können, ob sie gemordet haben. Und er scheint in den letzten Monaten seines Lebens einem nie entdeckten und nie gesühnten Verbrechen auf der Spur gewesen zu sein. Leon Berger will den Fall Kallmann lösen – seine privaten Ermittlungen setzen etwas in Gang, das schließlich die ganze Kleinstadt erschüttert.
Der Autor
Håkan Nesser, geboren 1950, ist einer der beliebtesten Schriftsteller Schwedens. Für seine Kriminalromane erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, sie sind in über zwanzig Sprachen übersetzt und mehrmals erfolgreich verfilmt worden. Håkan Nesser lebt abwechselnd in Stockholm und auf Gotland.
Inhalt
Leon kommt als Schwedischlehrer neu an die Bergtuna-Schule in einer schwedischen Kleinstadt. Er hat kurz zuvor Frau und Tochter durch einen Unfall verloren. Ludmilla, die Beratungslehrerin der Schule, überredete Leon zu einem Neuanfang. Leons Vorgänger Eugen Kallmann war an der Schule eine Legende. Kallmann ist unter bisher ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Auch Kallmann kam, ähnlich wie Leon, erst in höherem Alter an die Bergtuna-Schule – und das, obwohl sonst niemand in die Kleinstadt zurückkehrt, der es einmal von hier fort geschafft hatte. Kallmann beschäftigte sich leidenschaftlich mit Literaturgeschichte und - aus persönlicher Betroffenheit - mit ungelösten Kriminalfällen. Auf einer Skala von etwas sonderbar bis zu einer Figur, die sich hier in der Kleinstadt nach einem Fehltritt eine neue Identität zulegt, konnte ich mir unter Kallmann die verschiedensten Persönlichkeiten ausmalen. Immerhin ist der Mann lange vor dem Zweiten Weltkrieg geboren und die Lücke in seiner Biografie könnte ihre Ursache in der Kriegszeit haben. Komplizierter wird es, als die Schülerin Andrea entdeckt, dass ihr Vater nicht ihr biologischer Vater ist. Andreas Geburt vor 15 Jahren fand zu einer Zeit statt, die auch in Kallmanns Biografie eine Rolle spielt. Schließlich kommt es an der Schule zu antisemitischen und ausländerfeindlichen Zwischenfällen. Zeit dafür, dass die bis dahin komplexe Handlung wieder in ruhigeres Fahrwasser gelangt.
Mehrere Icherzähler nähern sich einem Gesamtbildbild des rätselhaften Kallmann an - Ludmilla, die Beratungslehrerin, Leon, der den Verlust seiner Familie lange noch nicht überwunden hat, Ulrika, die von einem reisenden Pub-Musiker schwanger wurde, die Schülerin Andrea auf Identitätssuche im Team mit ihrer Freundin Emma und der Lehrer Igor. Jeder Icherzähler hat Informationen zu weiteren Personen beizutragen, so dass die ersten Kapitel einen Berg von Details anhäufen. Die subjektive Sicht eines Icherzählers lässt die Möglichkeit offen, dass etwas verschwiegen oder geschönt sein könnte. In einem Ort, an dem die Lehrer schon die Eltern ihrer heutigen Schüler unterrichteten, existieren jedoch unzählige Verknüpfungen, die den Fall Kallmann endgültig ausleuchten könnten.
Kallmanns sorgfältig datierte Tagebücher arbeitet das erwachsene Detektiv-Team durch, während der Schüler Charlie eine eigene Recherchemethode entwickelt hat. Zeitweilig fühlt man sich wie im Cluedo-Spiel, indem in jeder Runde Verdächtige und Beweismittel neu gemischt werden. „Der Fall Kallmann“ dreht sich um einen ungelösten Todesfall, ist jedoch kein Kriminalroman. Neben dem zentralen Thema Schule steht Trauer im Mittelpunkt des Romans, auch die Erschöpfung von Lehrern, die noch mehr als 10 Berufsjahre vor sich haben. Zentrale Person war für mich Ludmilla, die beim Wechsel vom Unterrichten zur Beratungslehrerin schon einmal die Weichen in ihrem Leben neu gestellt hatte. Sie zeigt sich einerseits so besonnen, wie ihre Aufgabe es erfordert, nimmt jedoch zu den Mängeln des schwedischen Schulsystems entschieden Stellung.
Fazit
Ein Roman, bei dem der Weg das Ziel ist, in Nessers charakteristischem Rhythmus erzählt – und wie ein Kaleidoskop, dessen Bild sich bei der leisesten Bewegung verändert.
9 von 10 Punkten