Endmoränen - Monika Maron

  • Aus der Amazon.de-Redaktion
    Der Sommer ist beinahe vorüber, die geplante Biografie noch immer ungeschrieben -- und Johanna, in ihrem Sommerhaus, befindet sich inmitten einer Endmoränen-Landschaft und fern ihrer Wohnung in Berlin. Sie wartet. Wartet quälend, auf was auch immer.
    Früher, als sie das Ende des Sommers noch als Verlust empfunden hat, schrieb Johanna Vorworte und Nachworte. In diesen hat sie geheime Botschaften an der Zensur vorbei geschmuggelt -- bis das "Wunder" (die Wende) dieses Talent völlig unnötig machte. Johanna aber, weil sie vor lauter Freude und Lachen vergessen hat, sich zu diesem günstigen Zeitpunkt (wie so viele andere) eine neue Biografie zu erfinden, leidet unter dem Gefühl lähmender Gleichgültigkeit: sie hat der Welt nichts mehr mitzuteilen und harrt dem Ende des Tages, des Sommers und schließlich des Lebens scheinbar in Gleichmut entgegen. Aber auch die Lebensentwürfe ihrer Freunde sind leise gescheitert -- und ebenso warten diese, warten, auf was auch immer und in Geduld.
    Monika Maron, die Zeremonienmeisterin im Ausloten von Widersprüchlichkeiten des DDR-Alltags, knüpft in ihrem neuesten Roman an ihre frühen Werke wie Flugasche oder Die Überläuferin an. Wo sich zuletzt in Animal Triste die greise Heldin in ihrer bedingungslosen Liebe scheinbar aus Zeit und Geschichte entfernt hat, reflektiert Johanna in Endmoränen ihre gegenwärtige Situation gerade vor dem Hintergrund ihrer gebrochenen Biografie: Sie leide, so ihr Mann Achim, unter "einer geistigen Deformation ... als Folge erzwungener defensiver Denkgewohnheiten".
    Und so schleppt sich Johannas Versuch, eine Biografie ohne geheime Botschaften zu schreiben, quälend und langsam dahin -- sie hat keine Sprache für ihre gegenwärtige Wirklichkeit und jedes Handeln erscheint ihr überflüssig. Umso mehr hat Monika Maron in diesem neuen Roman eine Sprache gefunden, um die Innenwelt dieser in existenzielle Atemnot geratenen Figur zu erkunden und darzustellen. Ein leises Buch, aber von bedrängender, suggestiver Kraft. --Christian Stahl
    Kurzbeschreibung
    Das Ende des Sommers, lange als Zumutung empfunden, erlebt Johanna seit einigen Jahren als Erleichterung. Die Hoffnung, mit der Zeitenwende das wirkliche Leben erst zu beginnen, ist dem Gefühl gewichen, nichts zu können, was die veränderte Welt braucht. Früher hat sie geheime Botschaften in ihren Vor- und Nachworten und in überliefernswerten Biografien versteckt, eine plötzlich überflüssige Fähigkeit, wie auch die weltabgewandte Charakterfestigkeit...




    Meine Meinung:


    Eigentlich ist die Handlung interessant, die ganze Fragestellung viel versprechend, aber es fehlt mir an Tiefe! So werden beispielsweise die Notizen zu Wilhelmine Enke gnadenlos ausgeweitet, was mich überhaupt nicht interessiert hat, und alle Personen im Buch kommen zu kurz. Ich hätte gerne mehr über die damalige DDR Situation erfahren, doch Maron gibt mir dies nicht. Und zum Schluss senkt sich der Vorhang und viele Fragen bleiben offen …

  • *StaubvomThreadwischt*


    Endmoränen ist in meinen Augen ein trockenes, langweiliges und schlecht zu lesendes Buch - ich mag einfach keine Bücher, in denen die wörtliche Rede ohne Anführungszeichen auskommt. Außerdem hat die Protagonistin Johanna keine Entwicklung, die Handlung ist auch eher mau und der furiose Schluß reißt das Buch auch nicht wirklich raus. Ich habe es nur zu Ende gelesen, weil es mit 250 Seiten gestern abend noch eben zu Ende gelesen werden wollte.


    Mehr bleibt mir dazu nicht zu sagen. Leider.


    Mein Prädikat: Das Lesen grenzte schon an Zeitverschwendung.

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Eine Frau, Anfang, Mitte Fünfzig vielleicht, versucht zu verstehen, was ihr Leben ausmacht. Sie heißt Johanna, hat ihr Leben in der DDR verbracht, gehörte dort zur intellektuellen Elite. Das Ende der DDR hat sie überstanden, gut sogar, im Westen ist sie auch gut angekommen. Ihr Mann, ein Germanist, kann seine Arbeit, Kleists Werke zu erforschen, weiterführen, die Tochter ist Physikerin und steht am Beginn einer Karriere. Johanna selbst hat zur Zeit den (bezahlten) Auftrag, eine Biographie zu schreiben, etwas, das sie immer schon getan hat. Aber auf einmal fragt sie sich, wo sie eigentlich steht und was sie mit den weiteren Jahren anfangen soll, die ihr noch bevorstehen. Sie zieht sich in ihr Wochenendhaus außerhalb Berlins zurück, vorgeblich um zu arbeiten, tatsächlich aber, um über ihr Leben, das vergangene wie zukünftige, nachzudenken.
    So lernen wir Johanna kennen, grübelnd, fragend, an Freundinnen und Freunde denkend, empfindend, wahrnehmend. Wir erfahren viel über sie, sie erzählt freimütig. Sie ist eine gute Beobachterin, ihr Blick auf die Menschen um sie herum ist scharf.
    Die Beschreibung ihres Lebens entwickelt sich dabei am Beispiel des Lebens von Frauen ihres Umfelds, zweier Freundinnen, einer Nachbarin, einer erfolgreichen Malerin aus Berlin recht ausführlich. Knapper dann am Leben von Mutter, Schwiegermutter, Tochter und der einen oder anderen historischen Persönlichkeit, unter ihnen der Gegenstand der Auftrags-Biografie, Wilhelmine Encke, der Mätresse des preußischen Königs Friedrich Wilhelms II.
    Die Lebensentwürfe dieser Frauen sind wirklich spannende Lektüre. Nach einer gewissen Zahl von Seiten aber beginnt man sich zu fragen, wo denn nun die Erzählerin der Geschichte bleibt.


    Daß man Johanna nicht recht zu fassen bekommt, liegt vor allem in der Konzeption der Figur. Johanna ist eine, die sich ein Leben lang verborgen gehalten hat. Sie macht eher mit, als daß sie handelt, sie ist eine, die folgt, und nicht jemand, die vorausgeht. In der DDR hat sie auch Klappentexte verfaßt und, ganz typisch, die Texte auf der Rückseite von Schallplatten. Schrieb sie Biographien, so versuchte sie, widerständige Botschaften in ihnen unterzubringen. Aufständisches am Zensor vorbeizuschmuggeln. Sagt sie. Tatsächlich gibt es keine Zeuginnen dafür, keine Belege. Ihr Mann meint, daß ihr eigenartig schattenhaftes Dasein eine Folge des Lebens in einer Diktatur sei. Aber auch dafür gibt es keinen Beweis, nur Johannas Aussage.
    Folgt man Johanna weiter durch die Geschichte, so zeigt sich allmählich eine Frau, die eigentlich nur eines will im Leben und das ist ein eigenes, privates, selbst definiertes ‚Glück’. Das steht hinter ihrer Sinnsuche. Was genau dieses ‚Glück’ für Johanna ist, bliebt vage. Etwas, das eine erfüllt, bewegt, erschüttert.


    Hätte sie mal auf Brechts kurze Verse vom Glück gelauscht, das den Menschen nur hinterrennt. Die Beschäftigung mit so etwas aber hätte zu Denkmustern geführt, die Konsequenzen fordern. Das ist nun etwas, das Johanna mit allen Mitteln vermeidet, Konsequenzen aus Lebenserfahrung zu ziehen. Eben dem aus dem Weg zu gehen, ist ihre wahre Konsequenz. Die übt sie hingebungsvoll. So bleibt sie Beobachterin und leidet. Sanft, unbestimmt, pastellig. Ja, diese wunderbare Suche nach dem persönlichen Glück!
    Überkommt sie der ‚Furor’ - die Wortwahl Marons ist hochinteressant - , dann geschieht es im Garten, beim Schneiden der Bäume und Hecken. Überhaupt ist Furor, der blinde Zorn, das Wüten, falsch. Bei der Nachbarin, ein großartiges Porträt einer Frauenfigur, übrigens, die den Aufstand wagt, führt der Furor stracks ins Unglück. Johanna scheint recht zu haben damit, sich nur nicht zu erregen.


    Dabei will sie doch erschüttert werden, zugleich aber darf die Erschütterung nur von außen kommen. Einmal steht sie Todesängste aus, weil Jung-Nazis die Gegend unsicher machen, sie bebt. Sie lebt.
    Sie weiß, daß es Untiefen gibt, in denen Ungeheuer lauern - ganz großartig die Skizze mit den wenigen Sätze über den örtlichen Tierarzt, der in den Tiefen des benachbarten Sees einem riesigen Wels begegnet - , aber sie selbst würde sich nie in solche Gegenden wagen. Johanna lebt mittelbar, nicht unmittelbar. In der Vagheit und Sicherheit hinter dem selbstgezogenen Gartenzaun wartet sie auf das Glück.


    Für mich trug dieses Konzept so ca. über die Hälfte des Buchs, dann verschwamm es. Es lag vor allem daran, daß die Welt in diesem Buch nicht vorkommt. Es geschieht nicht, außer das Johanna sich wundert, daß nichts geschieht. Es gibt keine Außenwelt, keine Kriege, keine Krisen. Keine Politik. Man diskutiert im kleinen Kreis wunderbar abgehoben über Tierversuche und Menschenversuche, ein wenig über Kunst. Man ist materiell abgesichert und leidet halt an der Welt. Als Leserin fragt man sich, an welcher eigentlich?
    Störend wirkt bei all dem, daß ein ‚Amerika’ Bild der Hoffnung und Bild eines positiven Lebensziels überhaupt wird. Die Tochter wird dort Karriere machen, die befreundete Malerin aus West-Berlin ist dort anerkannt. Gemeint sind die USA. Ich habe schon lange keine so unkritische Bewunderung dieses Staats mehr gelesen. ‚Amerika’ das Wunschziel, das Traumland. Johanna war niemals dort und eben das rechnet sie sich einmal als böses Versagen an.


    Ein wenig besser haben es die Männer. Der Ehemann, der im westliche geprägten akademischen Konkurrenzgerangel seinen Kampfgeist entdeckt, der Freund aus dem Westen, der zeigt, daß die arrivierten Gruppen im Westen wie Osten eigentlich die gleichen Probleme haben und an der gleichen Sache kranken, der Suche nach dem individuellen Glück.
    Das ist eine spannende Erkenntnis, aber da Johanna auch hieraus keine Konsequenz zieht, entschwindet auch sie im Nebelhaften.


    Es ist nun nicht so, daß Johanna keine Fragen stellen würde, das tut sie durchaus, sie ist ja Beobachterin. Allerdings liefert sie auch gleich Antworten und zwar jede Menge. Ihre Deutungen des Lebens anderer regnen herab, kaum daß die Frage gestellt ist. Johanna selbst hat deutlich Angst vor dem Zweifel. So erlegt sie ihn mit Antwortsalven. Leider erstickt damit auf Dauer auch das Interesse an der Figur. Sie wird langweilig, das Konventionelle der Konzeption - individueller Glücksanspruch - bricht sich mehr und mehr Bahn.


    Am wenigsten überzeugend im letzten Drittel dann die Schilderung des Mutter-Tochter-Verhältnisses, Laura und Johanna. Laura steht überraschend vor der Tür des Wochenendhauses, es stellt sich heraus, daß sie schwanger ist. Sie wird das Kind nicht bekommen, die Karriere, in ‚Amerika, wo sonst, ist wichtiger.
    Diskussion mit der Mutter? Fragen? Nein. Ein wenig stummer Widerstand Johannas, kein Wort darüber, was Laura mit dem Geständnis bezweckt. Was will sie von ihrer Mutter? Zustimmung, Einspruch, ein mögliches Schuldgefühl teilen? Absolution? Johannas Antwortsalven bleiben aus.
    Tatsächlich hat Johanna sich mit ihrer Zurückhaltung eine weitere Möglichkeit geschaffen, im Konjunktiv zu leben. Ah, die künftigen Stunden, in denen sie grübeln kann: ‚Hätte ich damals doch nur ...’.


    Kurz vor Schluß dann der Höhepunkt, den ich nur als Tiefpunkt lesen konnte. Eine gemeinsame Nacht mit einer der männlichen Hauptfiguren, dem ‚arroganten Russen’ Igor, einem Kunsthändler. Er taucht fast ebenso unvermutet bei Johanna auf, wie Laura kurz zuvor. Der Abend schreitet voran, gehen will er nicht mehr. Seine Absichten sind klar, bloß nicht Johanna. Sie strampelt noch ein wenig herum, läßt sich schlußendlich bitten, eine Schein-Entscheidung. Johanna ist nicht für ihre aktives Handeln bekannt.
    Also verbringen sie eine gemeinsame Nacht. Ich hätte gerne ‚Liebesnacht’ geschrieben, aber um Liebe geht es ganz sicher nicht in diesem Roman, es sei denn um Liebe zu sich selbst. Es geht ums private Glück und so konventionell, wie dieser Anspruch ist, so konventionell und anspruchslos ist die Szene dieser körperlichen Begegnung. Eine Frau, ein Mann, in der Nacht. Die Erfüllung eines archaischen Musters. Als gäbe es keine anderen Formen der Leidenschaften und des Begehrens. Und man ist zugleich so einsam. Man sucht ja nur die Überwindung seiner selbst, die Erschütterung.
    Erschüttert ist man hier nur beim Lesen, wegen der Konventionalität des Konzepts.


    Warum nun Johanna gerade Igor in die Kissen zerrt, bleibt unbeantwortet. Er ist von Anfang an unsympathisch geschildert. Schubladendenken ist das Mildeste, was man seinem Schwadronieren über ‚die’ russischen Frauen und ‚die’ deutschen Männer und vice versa zugestehen kann. Daß er vehement homophob ist, versteht sich dabei von selbst.
    Warum Igor? Wahrscheinlich deswegen, weil Johanna Johanna ist. Für sie mag es von Bedeutung sein, die Leserin zieht schulterzuckend weiter.


    Am Ende, auf der Rückfahrt nach Berlin, kommt Johanna dann im Wortsinn auf den Hund. Auf einem Autobahnparkplatz gabelt sie einen auf, den die Vorbesitzer ausgesetzt haben. Da sie trotz ihres wachen Sinns für Beobachtung von Hunden ebensowenig versteht wie von Menschen, füttert sie ihn mit Würstchen, die er prompt ausspuckt. Um sie nach einer Weile dann doch zu fressen.
    Soll das nun ein Bild dafür sein, daß Menschen, das, was sie ankotzt, letztlich doch schlucken? So wie Johanna, die unbestimmt-geduckt, nebelartig, pastellig durch ihr Dasein huscht?
    Bei mir verschwand der Wunsch, das zu erfahren, mit Johanna im blaßblauen Dunst der Herbstdämmerung.


    Was bleibt, ist die Erinnerung an eine wunderbare Sprache, an glänzend formulierte Schlaglichter auf Menschen in bestimmten Situationen, an die eine oder andere scharf formulierte Einsicht übers Älterwerden. Und an Wilhelmine Encke.
    Seltsam, daß eine Frau, die seit über 180 Jahren tot ist, hier lebendiger wirkt und klarer konturiert ist als die, die meine Zeitgenossin ist.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus