'Der Nachsommer' - Band 1, Kapitel 1 - 3

  • So, der erste Abschnitt ist gelesen. Naja die Sprache und die Schachtelsätze waren etwas gewöhnungsbedürftig, aber nach einer Eingewöhnungsphase liest es sich sehr schön. Ich habe mir einen Zettel angelegt mit Wörtern, die heute nicht mehr benutzt werden, z.B. Brodkenntnisse, Lebensberuf, Afterstaatsmänner - sind die euch auch aufgefallen?


    ER hat bis jetzt keinen Namen bzw. die ganze Familie wird nur mit Vater, Mutter, Schwester betituliert. Die Bildung steht im Mittelpunkt und wird vom Vater gefördert. Interessant fand ich, daß ER mit 18 Jahren eine kleine Rente vom Vater erhält, um den Umgang mit Geld zu lernen und sich dann nach eigenen Wünschen weiterbilden darf und ER scheint auch sehr wissensdurstig zu sein.


    Bis jetzt gefällt mir die Entschleunigung sehr gut und auch wie er sich selbst immer neue Wissengebiete schafft, auf Reisen geht etc.

  • Bevor ich selbst kommentiere (diesen Abschnitt habe ich auch durch gelesen), kommentiere ich erst mal den Kommentar von Richie (wäre das ein Schulaufsatz, würde ich jetzt wohl Wortwiederholungen angestrichen bekommen :grin).


    Zitat

    Original von Richie
    So, der erste Abschnitt ist gelesen. Naja die Sprache und die Schachtelsätze waren etwas gewöhnungsbedürftig, aber nach einer Eingewöhnungsphase liest es sich sehr schön. Ich habe mir einen Zettel angelegt mit Wörtern, die heute nicht mehr benutzt werden, z.B. Brodkenntnisse, Lebensberuf, Afterstaatsmänner - sind die euch auch aufgefallen?


    Gerade wegen altertümlichen (?) Sprache liebe ich das Buch und Stifter - so ganz mein Geschmack. Wenn ich so ein Buch lese, frage ich mich, weshalb ich eigentlich überhaupt noch später verfaßte Bücher lese - die kommen sprachlich nicht ans 19. Jahrhundert heran.



    Zitat

    Original von Richie
    ER hat bis jetzt keinen Namen bzw. die ganze Familie wird nur mit Vater, Mutter, Schwester betituliert. Die Bildung steht im Mittelpunkt und wird vom Vater gefördert. Interessant fand ich, daß ER mit 18 Jahren eine kleine Rente vom Vater erhält, um den Umgang mit Geld zu lernen und sich dann nach eigenen Wünschen weiterbilden darf und ER scheint auch sehr wissensdurstig zu sein.


    Jetzt kann ich meine gelesenen Einführung und Nachwort dergestalt anführen, daß das beabsichtigt ist. Die Namen tauchen erst später auf, quasi als eine Art Symbol, daß es um den Inhalt und nicht um konkrete Menschen bzw. Figuren geht. Da mir die Namen geläufig sind, muß ich aufpassen, die nicht zu früh zu erwähnen.



    Mehr später.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • So, jetzt muß ich irgendwie anfangen. Es sei zugegeben, daß ich mit etwas flauem Gefühl an das Buch herangehe. Ich habe das vor ungefähr zwanzig Jahren das erste Mal gelesen und irgendwie bis heute nicht wieder, obwohl ich das vor hatte. Nach so langer Zeit ein Buch zu lesen, das so beeindruckt hat wie dieses, kann natürlich bedeuten, daß es jetzt ganz anders auf mich wirkt und möglicherweise die Erinnerung zerstört - ein eher unangenehmer Gedanke. Damals jedenfalls erging es mir so, daß ich einige Wochen nach Beendigung des Buches immer noch eine tiefe Ruhe in mir verspürte, und die - zumindest für kurze Zeit - selbst heute noch aleine beim Gedanken an das Buch „aktivieren“ kann. Ich bin gespannt, wie das nach diesem Lesen sein wird.


    Der Roman scheidet oft die Geister; lt. Nachwort von Joachim Bark in meiner TB-Ausgabe in „Stifter-Gemeinde“ und „die da draußen“.


    Ebenda S. 692: Stifters Stillstellung der Gegenwart vor dem Einbruch der Zukunft ist ein mit allen Kräften unternommener Protest gegen den geschichtlichen Prozeß selbst. In diesem droht Isolation, Auseinanderfallen der einzelnen Elemente, Zerfall von Ganzheit, auch Verunstaltung des Schönen und Lockerung der menschlichen Bindungen.
    Das klingt für mich ziemlich modern und zeigt mir, weshalb mir dieser Roman schon beim ersten Mal so gefiel.


    Stifter hat sich im „Nachsommer“ eine Welt bzw. ein Leben geschaffen, wie er es selbst gerne gelebt hätte. Aber es ihm bis zu seinem tragischen Ende verwehrt war.


    „Die innere Windstille“ des Werkes läßt uns kaum ahnen, daß Schmerz und Leid sich hinter der Schöpferfreude bergen, und die Resignation, die es verkündet, ist ein freiwilliges Verzichten auf vergängliche Freuden der Welt, läßt einen frohen Ausblick offen auf die künftigen Ziele der Menschheit und ist gepaart mit dem Vertrauen „auf die höchste Macht, die alles bestehende ordnet.“
    So schließt Dr. Gustav Wilhelm sein Vorwort in der Ausgabe im Deutschen Verlagshaus Bong & Co, Berlin/Leipzig, 1926 (S. 44).


    Auf denn.


    Ich lese also die 1981 im Bertelsmann-Club in der Reihe „Jubiläumsbibliothek der Deutschen Literatur“ erschienene Ausgabe, welche eine Lizenz des Winkler Verlages ist, und die eine vollständige Ausgabe nach dem Text der Erstausgabe von 1857 ist.


    Zu Beginn brauchte ich tatsächlich einige Seiten, um ganz in dem Roman anzukommen. Ich hatte den Stil als weitaus ausladender in Erinnerung behalten, aber als dann die Wanderungen des jungen „Helden“ (ich werde seinen Namen noch nicht nennen) begannen, kam die Erinnerung zurück. Und Vollends, als er in dem Haus mit den vielen Rosen ankam. :-] Wie oft habe ich in den Jahren an genau dieses Haus und so manches, was an Beschreibung, vor allem über die Rosen, kommt gedacht. Stifter züchtete in seiner Freizeit Rosen, und viel von seinem Wissen ist in diesem Roman eingeflossen. Jetzt haben wir selbst einige Stöcke auf dem Grundstück und ich hoffe die Stellen zu finden, die auch mir nun von Nutzen sein können.


    Schon ziemlich bald fühlte ich mich ertappt, als nämlich vom Vater die Rede ist, der bisweilen einzelne seiner Bücher in die Hand nahm, betrachtete und wieder zurück stellte. Ähm ja, kommt mir bekannt vor. :rolleyes :grin


    Ansonsten könnte mir ein Leben die dem „jugendlichen Wanderer“ auch gefallen, obwohl ich so jung wie der nun schon lange nicht mehr bin.


    Dieser ganze Abschnitt ist mehr oder weniger noch die Hinführung (in der Musik würde man wohl „langsame Einleitung“ sagen). Mit der Ankunft im ähm „Haus mit den Rosen“ ist ein wesentlicher Handlungsort erreicht und eine wesentliche Person (der Hausherr) tritt auch auf.


    Auf daß es sich entwickeln möge! :-]



    Hm, eigentlich sollte da ein "Goldmann Klassiker mit Erläuterungen" auftauchen. Ich besitze die 2. Auflage von 1991, möchlicherweise wurde im Späteren das Cover geändert.
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Vor vielen Jahren habe ich einen Teil des Buches gelesen, aber war wohl zu jung, um es würdigen zu können.


    Dieses Mal habe ich (und ich kenne jetzt erst das 1.Kapitel) mich so richtig in die Welt der Familie einfühlen können.
    Es gibt strikte Regeln, der Vater ist genau, hat akkurate Vorstellungen und erwartet, dass diese erfüllt werden, die Mutter ist fügsam. Trotzdem herrscht ein freundliches, liebevolles, beschützendes Klima.


    Das Elternhaus fördert die Bildung der Kinder in jeder Hinsicht. So starr sind die Regeln also nicht, dass sie den Freiraum der Kinder beschränken.


    Ich freue mich, wieder ein Buch in "alter", wirklich schöner Sprache zu lesen. Und dass vielleicht manches Wort nicht mehr dem heutigen Sprachgebrauch entspricht, stört mich nicht. Manches erschließe ich aus dem Zusammenhang, und den Rest kann ich ja immer noch googeln - oder euch fragen :-)

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Zitat

    Original von Lesebiene
    Ich wollte eigentlich gestern anfangen - aber erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Jetzt habe ich die ersten 10 Seiten gelesen. :grin


    :grin Kenne ich irgendwoher. Bei mir kam es auch anders - ich wollte eine andere LR gestern beendet haben, bin in dem Buch aber hängen geblieben - vielleicht auch, weil ich mich so auf den "Nachsommer" gefreut habe. Da ich jenes andere Buch aber schon einmal gelesen habe, ist das nicht so schlimm. Stifter hat mich eingefangen, da kommt erst mal kein anderer dagegen an.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich habe gestern mit dem Buch angefangen und bin bis ca. zur Hälfte des ersten Abschnittes gekommen.
    Mir gefällt das Buch, die Sprache und der Erzählstil bis jetzt ausgesprochen gut. Es ist definitiv ein Buch zum entschleunigen und zum genießen. Ich lese es wirklich sehr gerne und hatte auch keinerlei Schwierigkeiten mit der altertümlichen Sprache, ganz im Gegenteil.
    Allerdings habe ich das Gefühl, dass ich für dieses Buch eine Ewigkeit brauchen werde. Es wird bei mir bestimmt zu einem Langzeitprojekt werden. Dann auch wenn ich es bis jetzt sehr gerne lese, habe ich das Gefühl, immer nur kleine Abschnitte davon auf einmal lesen zu können.


    Zitat

    Original von Richie


    ER hat bis jetzt keinen Namen bzw. die ganze Familie wird nur mit Vater, Mutter, Schwester betituliert.


    Mir ist das ehrlichgesagt gar nicht aufgefallen, dass bis jetzt noch niemand einen Namen hat. Aber es ist schon ungewöhnlich.
    Mir gefällt auf jeden Fall die Beschreibung von der Familie und wie der Vater versucht beide Kinder auf die bestmögliche Weise zu fördern und ihre Ausbildung breit gefächert anlegt.
    Ich habe im ersten Kapitel eine so schönen Satz gefunden, den musste ich mir gleich anstreichen:
    "...der Mensch sei nicht zuerst der menschlichen Gesellschaft wegen da, sondern seiner selbst willen. Und wenn jeder seiner selbst willen auf die beste Art da sei, so sei er es auch für die menschlichte Gesellschaft"
    Diese Einstellung des Vaters gefällt mir.
    Ich freue mich auf jeden Fall jetzt schon sehr, dass wir dieses Buch für eine Leserunde ausgewählt haben. :-]

  • Wie gesagt, die Namen kommen noch später.


    Was ich gestern vergessen habe: irgendwo im ersten Abschnitt war von entstehenden Fabriken, die Städter gebaut haben, die Rede. Da fiel mir unwillkürlich Gustav Freytags "Soll und Haben" ein. Der dortige Baron von Rothsattel lebt im Winter in der Stadt und baut auf seinem Landgut eine Fabrik, allerdings rund zwanzig Jahre nach den Ereignissen des "Nachsommer". Denn die hiesige Handlung dürfte um 1825 angesiedelt sein. (Stifter schrieb einmal, daß die vor dreißig Jahren sei, das ergibt dann um 1825).


    Übrigens sind alle Ortsbezeichnungen im Buch erfunden, bis auf eine (ich finde das jetzt gerade nicht in einem meiner "Nachworte"). Die große Stadt, aus der der "Wanderer" (ich nenne seinen Namen noch nicht) kommt, ist Wien. Das Landgut ist irgendwo in Oberösterreich zu verorten.



    Zitat

    Original von Rouge
    Ich freue mich auf jeden Fall jetzt schon sehr, dass wir dieses Buch für eine Leserunde ausgewählt haben. :-]


    Freut - und beruhigt mich, denn ich habe das Buch ja so oft erwähnt, bis es zur Leserunde kam. Wenn ich dann der einzige wäre, dem es gefiel, das wäre wohl übel...

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    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Momentan stört es mich überhaupt nicht, dass die Charaktere (noch) keine Namen haben. Da der Ich-Erzähler lange Zeit allein handelt, kommt es auch zu keiner Verwirrung.


    Ich habe das Kapitel "Der Wanderer" mit großem Interesse gelesen und bin fasziniert. Für mich grenzt es an Besessenheit (die ich bewundere), wie der junge Mann seinen Horizont erweitert, wie er jede Einzelheit verstehen und erforschen will. Schön finde ich auch, wie ihn der Vater unauffällig und unaufdringlich unterstützt und zur Selbständigkeit hinführt.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Die Sätze sind schon etwas eigenartig. Und ich meine jetzt nicht Schachtelsätze, denn wer bei Gericht gearbeitet hat, kennt Schachtelsätze aus dem Effeff. :grin


    Auf Seite 10 musste ich glatt 3x lesen. "Wer Gutes tut, weil das Gegenteil dem menschlichen Geschlechte schädlich ist, der steht auf der Leiter der sittlichen Wesen ziemlich tief."
    Da dachte ich eh? Warum steht steht der tief, der Gutes tut. :grin

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Zitat

    Original von Lesebiene
    Auf Seite 10 musste ich glatt 3x lesen. "Wer Gutes tut, weil das Gegenteil dem menschlichen Geschlechte schädlich ist, der steht auf der Leiter der sittlichen Wesen ziemlich tief."
    Da dachte ich eh? Warum steht steht der tief, der Gutes tut. :grin


    :grin Das ging mir mit dem Satz genau so. Ich habe ihn auch erst beim zweiten Lesen kapiert. :rolleyes :chen

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Rouge


    Ich freue mich auf jeden Fall jetzt schon sehr, dass wir dieses Buch für eine Leserunde ausgewählt haben. :-]



    Dem stimme ich voll und ganz zu, denn ansonsten hätte das Buch bei mir bestimmt nochmal ??? Jahre geschlummert. Und bei den nächsten 2en - Krieg und Frieden und (der Name fällt mir grade nicht ein) die Februar-LR - ist es genauso. An dieser Stelle nochmals danke lieber SiCollier für deine Initiativen :-]




    Übrigens, daß ER und seine Familie noch keine Namen haben stört mich auch nicht.

  • Ich bin jetzt fertig mit dem Abschnitt.
    Der unbenannte Ich-Erzähler ist schon in einer beneidenswerten Position. Er hat genügend Geld zur Verfügung, so dass er keiner Arbeit zum Gelderwerb nachgehen muss. Und auch sonst scheint er keinerlei Verpflichtungen zu haben. Er kann den ganzen lieben langen Tag tun und lassen was er möchte und sich seinen zahlreichen Studien und Wissenschaften widmen. Das ist doch wirklich ein sehr angenehmes Leben. Da bin ich gerade echt ein wenig neidisch auf seine Situation. ;-)

  • Zitat

    Original von Rouge
    Der unbenannte Ich-Erzähler ist schon in einer beneidenswerten Position. Er hat genügend Geld zur Verfügung, so dass er keiner Arbeit zum Gelderwerb nachgehen muss.


    Allerdings. Und auch das hat mich an Gustav Freytag erinnert; der ist zwar nicht so durch die Welt gewandert, war aber finanziell so gut gestellt, daß er auf kein zusätzliches Einkommen angewiesen war und sich demgemäß ganz seinen Vorlieben (also Privatdozent, Schriftsteller) widmen konnte.


    Hm, ich denke, so ein Leben könnte mir auch gefallen. :grin ;-)



    @ Lesebiene


    Diese Bezeichnungen sind mir vor nicht allzulanger Zeit schon einmal in einem Buch begegnet (mir fällt nur gerade nicht ein, in welchem). "Mittag" steht für Süden, "Sonnenuntergang" demgemäß für Westen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Auch ich kenne die Bezeichnung der Himmelrichtungen nach dem Sonnenstand.


    Osten - Sonnenaufgang
    Westen - Sonnenuntergang
    Süden - Mittag
    Norden - Mitternacht

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde