'Der Nachsommer' - Band 1, Kapitel 4 - 5

  • Anm.: Die Seitenzahlen beziehen sich auf meine Ausgabe; ich füge die vor allem ein, um die Stellen ggf. selbst wieder finden zu können.



    Diesen Abschnitt habe ich gelesen und weiß nun wieder ganz genau, weshalb mir das Buch beim ersten Mal so gut gefiel, daß ich bald darauf sogar den „Witiko“ gelesen habe; ich mag Stifters Stil einfach.


    Das Gewitter kommt also wirklich nicht, und am nächsten Tag gibt es einen Rundgang durchs Haus. Ich bin nun nicht sicher, ob das hier schon so ist, denn ich habe diese Beschreibung als wesentlich länger in Erinnerung. Die Beschreibung des Schreibtisches des Hausherrn (S. 76f) hat eine reale Vorlage: den Schreibtisch Adalbert Stifters nämlich. Nach dem ersten „Nachsommer“ habe ich eine Biographie Stifters gelesen, an die ich zwar nicht mehr zu viele Erinnerungen habe, das jedoch weiß ich noch.


    In der Beschreibung des Schlafzimmers (S. 79) offenbart sich dann, daß es sich keinesfalls um ein Zimmer unserer Zeit handeln kann. Denn da gäbe es wohl keine Utensilien zum Waschen, das erledigt man im Bad. Was es damals wohl in der Form noch nicht gab.


    So ein Haus würde mir übrigens auch gefallen: für jeden Zweck ein Zimmer, das dafür optimal eingerichtet ist. Davon kann man meist nur träumen. Um das so machen zu können, bräuchte ich ein mindestens doppelt so großes Haus. Ich hätte nichts dagegen, aber das wird denn wohl ein Wunschtraum bleiben...


    Schön fand ich den anschließenden Besuch in der Schreinerei. Es wohnt in den alten Geräten beinahe wie in den altern Bildern ein Reiz des Vergangenen und Abgeblühten, der bei dem Menschen, wenn er in die höheren Jahre kömmt, immer stärker wird. Darum sucht er das zu erhalten, was der Vergangenheit angehört, wie er ja auch eine Vergangenheit hat, die nicht mehr recht zur frischen Gegenwart der rings um ihn Aufwachsenden paßt. (S. 83f)
    Ähm ja, das kann ich so :write.


    Auch die Motivation, das Hergekommene zu erhalten und Instandzusetzen, um daraus zu lernen, hat mir gefallen. Etwas mehr von dieser Einstellung würde auch unserer Zeit mehr als gut tun.


    S. 100 „Wenigstens Achtung vor Leuten, die vor uns gelebt haben, könnte man aus solchen Bestrebungen lernen,“ fuhr er fort, „statt daß wir jetzt gewohnt sind, immer von unseren Fortschritten gegenüber der Unwissenheit unserer Voreltern reden zu hören. Das große Preisen von Dingen erinnert zu oft an Armut von Erfahrungen.“
    Eine Aussage, die mE nichts von ihrer Aktualität verloren hat.


    Was mich allerdings schon beim ersten Lesen gewundert oder auch irritiert hat ist, daß der Tag dort anscheinend mehr als 24 Stunden hat. Man steht bei Tageslicht auf, macht einen Rundgang durch Haus und Hof, betrachtet sich eine Unmenge von Zeichnungen mehrfach - und es sind immer noch mehr als ein bis zwei Stunden bis Mittag - bewundernswert. Es kommen noch mehr Stellen im Buch, an denen ich mich gefragt habe, wie die das zeitlich auf die Reihe bekommen. Wenn ich das ergründen und anwenden könnte - es ginge mir bedeutend besser!


    Ah ja, bei mir S. 99, wird der Ort Grünau erwähnt. Das ist die einzige Ortsbezeichnung im Buch, die ein reales Vorbild hat, alle anderen sind fiktiv.


    Ich meine, irgendwo vorher im Abschnitt hat sich der „Wanderer“ über die Gedanken des Hausherrn gewundert, weshalb er ihn eingeladen hat. Hier (S. 153) beim Abschied könnte man fast meinen, der Hausherr wünscht eine Rückkehr des Gastes, als ob er dabei Hintergedanken hätte. Nun, wer weiß. Wenn ja, werden wir es sicher noch erfahren.


    Ah, ich habe die Stelle gefunden, die ich meinte (S. 86), beim Besuch der Schreinerei:
    „Es sind der Wege sehr verschiedene“, erwiderte ich, „die die Menschen gehen, und wer weiß es, ob der Weg, der mich wegen eines Gewitters zu Euch herauf geführt hat, nicht ein sehr guter Weg gewesen ist, und ob ich ihn nicht noch einmal gehe.“


    Am Ende wird dann endlich der Name genannt, aber es sind deren zwei, von denen nur einer stimmt. Also nenne auch ich ihn noch nicht. Immerhin ist nun sein früherer Beruf bzw. Stand bekannt.


    Insgesamt bin ich bisher hochzufrieden mit dem Buch. Es gefällt mir mindestens so gut, wie beim ersten Lesen, und hat schon die beruhigende Wirkung, von der ich im ersten Abschnitt schrieb, begonnen auszuüben. :-] Viel zu lange habe ich nichts mehr von Adalbert Stifter gelesen!

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich fand diese detaillierte Beschreibung des Hauses und der Einrichtung toll. Dann eine "Anstalt für Geräte des Altertums", in der alte und vorelterliche Dinge wieder aufbereitet werden - einfach super.


    Und die ganzen Beschreibungen des Wetters, der Vögel bzw. Tiere und der Pflanzen. Es gab sogar ein Kakteenhaus und ein Gewächshaus für Ananas, Citronen und Orangen. Außerdem einen Sonnenschutz mit Leinen vom Dach herunter für die Rosen - unglaublich! Welche Recherche muß Adalbert Stifter da betrieben haben, um dies alles derart beschreiben zu können :gruebel


    Der Abschied läßt darauf schließen, daß der Hausherr ihn gerne wieder beherbergen möchte. ER nennt das Anwesen in Gedanken Rosenhaus, was ich sehr gut verstehen kann.


    Wirklich ein tolles Buch, es fasziniert mich!

  • Zitat

    Original von Richie
    Welche Recherche muß Adalbert Stifter da betrieben haben, um dies alles derart beschreiben zu können :gruebel


    Das frage ich mich auch immer wieder - vor allem in Zeiten lange vor Internet & Co.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Zitat

    Original von SiCollier


    Das frage ich mich auch immer wieder - vor allem in Zeiten lange vor Internet & Co.


    Provokante These meinerseits: Vielleicht waren die Menschen damals auch einfach gebildeter und an Allgemeinwissen mehr interessiert als wir heute? ;-)

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Ich kann mich ja noch gut an das Vor-Internetzeitalter erinnern, man hat schlicht und ergreifend in Büchern nachgeschlagen und für die Recherche (zu irgendeinem Thema) eben länger gebraucht.


    Aber zu Stifters Zeiten waren natürlich auch diese Möglichkeiten noch nicht so umfangreich vorhanden

  • Ich bin noch nicht ganz durch. Entschleunigtes Lesen. :lache


    Ja, die Beschreibungen von dem Haus und Garten finde ich super toll. Als ER mit dem Mann durch den Garten geht und die ganze Botanik isdt 1A, keine Insekten die etwas anfressen, alles super grün, die Blumen 1A - toll.


    Als er im Ausruhzimmer das offene Fenster betrachtete, überlegte ich, seit wann es eigentlich Fliegengitter gibt.


    Als sie auf der Bank im Garten sassen und der Junge kam, überlegte ich, ob das nicht alles ein Traum sei. Auch bei IHM zu Hause war alles ordentlich an seinem Platz. An der Glastür zur Büchervitrine war ein Vorhang angebracht. Auch sein Vater stellte jedes Buch nach dem Lesen zurück in den Schrank. Traumte er auf Wanderschaft von seinem Vater, weil er Heimweh hatte? :gruebel

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Da kann ich beiden vorherigen Posts nur zustimmen.


    Ich entsinne mich, vor Jahren (also weit vor Erfindung des Internest und sogar des PC) habe ich mich des öfteren in der Schloßbibliothek meiner Heimatstadt Aschaffenburg im Lesesaal eingefunden und nachgeschlagen. Da standen nämlich zum Gebrauch im Lesesaal eine ganze Anzahl von (auch alten) Lexika und Nachschlagewerken.


    Und auf Allgemeinbildung wird heute sowieso kein Wert mehr gelegt. Wenn ich daran denke, was meine Tochter in der Schule gelernt, das heißt eigentlich meine ich nicht gelernt hat, was zu meiner Zeit noch Stoff war, ist es kein Wunder, wenn man heute ohne Smartphone und Navi aufgeschmissen ist, damit man dauernd nachgucken bzw. sich den Weg zeigen lassen kann. Denn Hintergrundwissen gibt es nicht mehr, und Kartenlesen kann auch kaum jemand noch.


    Einige Dinge im Buch jedoch entstammen auch Stifters privaten Leidenschaften, er züchtete Rosen und war auch ein Kakteenliebhaber, da wird er einiges an Wissen gehabt haben. Und seine Position als Schulrat und Landeskonservator war sicherlich auch hilfreich.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • @ Lesebiene


    Also träumen tut hier, glaube ich, niemand. Stifter beschreibt eine Idealwelt, eine Welt und ein Leben, wie er es gerne gehabt hätte (und wenn ich es recht überlege, würde mir das auch so gefallen).

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Der Junge und der Mann und der perfekte Garten, das perfekte Haus - schon ein wenig wie bei ihm zu Hause. :wave


    Das Fenster im Ausruhraum mit dem Fliegengitter/Fliegenschutzstoff: Weiß jemand, seit wann es eigentlich Fliegengitter gibt?

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

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  • Zitat

    Original von Lesebiene
    Das Fenster im Ausruhraum mit dem Fliegengitter/Fliegenschutzstoff: Weiß jemand, seit wann es eigentlich Fliegengitter gibt?


    Nein, weiß ich leider nicht. Nicht mal Google hat mir das jetzt beantwortet.


    Ich habe den Nachdruck des ersten Brockhaus "Bilder-Conversations-Lexikon für das deutsche Volk" von 1838. Da steht unter dem Stichwort "Fiege" nur, wie man sie aus der Wohnung vertreiben kann, nicht jedoch, wie man sie abhält, in die Wohnung zu gelangen:


    "Um Fliegen aus Wohnungen zu vertreiben, hat man verschiedene Mittel, als: Milch und Pfeffer abgekocht, Tabackslauge mit Honig oder ähnlichen süßen Sachen vermischt, Vogelleim, Fliegenschwamm in heißer Milch aufgebrüht, und viele andere."
    (Zitiert nach: Bilder-Conversations-Lexikon für das deutsche Volk. Ein Handbuch zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse und zur Unterhaltung in vier Bänden. Zweiter Band F-L. Leipzig, F. A. Brockhaus 1838. Illustrierte Faksimilieausgabe, Verlag Enzypklopädische Literatur, München 1979/1980)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Also ich sag mal Fliegengitter, wie es sie heute gibt, sind eine ganz moderne Erfindung.


    Früher gab es auf dem Lande (bei meinen Großeltern auf der Hühnerfarm) diese Klebestreifen, die von der Decke hingen. Vielleicht kann sich noch jemand erinnern?

  • Zitat

    Original von Richie
    Früher gab es auf dem Lande (bei meinen Großeltern auf der Hühnerfarm) diese Klebestreifen, die von der Decke hingen. Vielleicht kann sich noch jemand erinnern?


    Yep, bei meiner Tante hingen die. Ich kann mich noch an die zappelnden Fliegen erinnern, die die Unvorsichtigkeit beginnen, diesen Klebestreifen zu nahe zu kommen...


    Als wir 1992 bei unseren (damals) zukünftigen Vermietern waren, hing auch so ein Streifen von der Decke herab. Die gibt es also anscheinend immer noch.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich stecke noch mitten in dem Abschnitt, ich komme nur langsam voran.
    Ich habe mir heute nach einem anstrengenden Arbeitstag eine Badewanne eingelassen und dann Stifter gelesen. Das Buch ist absolut zum runterkommen geeignet. Ich merke richtig, wie ich beim Lesen ruhiger werde. Ich finde es echt interessant: das meiste in dem Buch sind ja Beschreibungen und Aufzählungen von Landschaft, Garten, Pflanzen, Geräten.... Es gibt ziemlich wenig echte Handlung. Und trotzdem empfinde ich es nicht als langweilig beim Lesen.
    Allerdings schaffe ich an meinen Arbeitstagen am Abend meist nur so 20-30 Seiten zu lesen. Deswegen werde ich bestimmt noch lange mit dem Buch beschäftigt sein....


    Die Beschreibungen der einzelnen Zimmer in dem Haus fand ich auch schön. Allerdings kam mir das Anwesen bei der Aufzählung der Räume echt riesig vor. So viele verschiedene Zimmer und Gänge und Treppen. Und dann wohnt dort nur der eine Herr mit seinem Pflegesohn.
    Ich dachte ständig: was für eine Arbeit das sein muss, alles sauber zu halten und zu putzen. ;-)

  • Ich staune gerade sehr: Stifter muss ja ein richtiger Ornithologe gewesen sein! :wow
    Ich bin echt baff, dass es zu der damaligen Zeit schon so etwas wie Nistkästen für Vögel gegeben hat und dass man sich Gedanken über die Vögelfütterung und den Nutzen der Vögel für die Menschen gemacht hat. Das hätte ich nicht erwartet.
    Ich muss gestehen, ich bin da von meinem Vater her etwas vorgeschädigt. :chen Mein Vater ist der größte Vogelliebhaber, den ich kenne. Und seit meiner Kindheit redet er am liebsten über Vögel und wie man die gefährdeten Arten am besten schützen kann und welcher Vogel was als Fütterung braucht usw.
    Ich habe ihm gestern eine kleinen Abschnitt aus "Nachsommer" vorgelesen und er hat gemeint, das wäre alles korrekt was da über die Bruthöhlen usw. geschrieben wird.
    Schon erstaunlich, welche Kenntnisse sich Stifter damals angeeignet haben muss.

  • Buchmessebedingt habe ich hier seit Dienstag Abend pausiert, jetzt geht es wieder weiter.



    Von dem Haus habe ich versucht, mir beim Lesen ein genaues Bild im Kopf zu entwerfen, ich muß allerdings zugeben, daß mir das nicht gelungen ist. Die Vorstellung ist doch recht verschwommen. Ich denke, es ist eine Art "Gutshof", also das "Herrenhaus" für ein größeres Anwesen. Der Garten erscheint mir, wie er beschrieben wird, allerdings eher so etwas wie ein "Parkgarten" zu sein.



    Zitat

    Original von Lesebiene
    Was hat es mit dem Wagen und die 2 Frauen auf sich?


    Da habe ich eine Vermutung, wer das sein könnte, will die hier aber nicht äußern, denn wenn die stimmt, wäre es ein ziemlicher Spoiler.



    Über das Wissen von Adalbert Stifter staune ich auch immer wieder. Die Autoren damals mußten das ja wirklich wissen (bzw. sich erarbeiten), denn einzelne Details mal schnell nachschlagen ging nicht. Mangels Nachschlagewerken - und Wikipedia gab es ja auch noch nicht. ;-)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")