'Der Nachsommer' - Band 3, Kapitel 3

  • Jetzt entwickelt sich das Buch so, wie ich es in Erinnerung habe, handlungsmäßig ohnehin, aber auch lese- und empfindungsmäßig. Ohne, daß ich es an irgendetwas festmachen könnte, habe ich das Gefühl, daß sich das Buch verändert und meiner Erinnerung angeglichen hat. Warum auch immer - mir ist es recht. :-]


    Durch das ganze Kapitel hindurch merkt man immer wieder, daß es in einer ganz anderen Zeit geschrieben wurde und auch in einer ganz anderen solchen als unsere heutige spielt. Wer würde sich in Sachen Partnerwahl noch alles so vom Urteil von Eltern und Umgebung abhängig machen wie die beiden hier im Buch? Und wer würde sich seine Liebe gestehen, und sich dann mehr oder weniger freiwillig über Monate nicht sehen? Oder zumindest auf der Rückreise mit Klotilde nicht kurz Station auf dem Sternenhof machen?


    Überhaupt ist mir in diesem Kapitel die wundervolle Sprache Stifters bewußt geworden. Ich empfinde sie weitgehend nicht als altmodisch (obwohl er heute außer Mode gekommene Begriffe verwendet), sondern es ist „einfach“ absolut schönes Deutsch. Das findet man heute nur noch sehr selten, wenn überhaupt.


    Relativ zu Beginn, im Gasthof angekommen, versucht Klotilde gleich, das, was sie sieht, zu malen. Da wird mir wieder bewußt, daß das Buch noch vor Erfindung der Fotografie angesiedelt ist. Wollte man sich etwas bildlich in Erinnerung behalten, gab es nur eine Möglichkeit: selbst malen / zeichnen. Vielleicht konnten die Menschen das damals auch deswegen besser als wir heute, weil sie zwangsweise mehr Übung damit hatten?!


    Ob es auch damit zusammen hängt, daß die Kunst (Malerei) damals eher bis nur gegenständlich war, während sie im Verlauf der Jahrzehnte immer abstrakter geworden ist? Jetzt gibt es ja Fotografie, da muß man nicht mehr erkennen können, was gemalt ist?


    Bei der Beschreibung der Wanderung des Icherzählers mit Kaspar (S. 582) kam mir unwillkürlich ein Bild von Caspar David Friedrich in Erinnerung, und zwar „Der Wanderer über dem Nebelmeer“.


    Die Schilderung dieser Wanderung las sich sehr gut. Es war mir, als ob ich die beiden mit begleitet hätte. Über Schnee schreiben konnte Stifter, siehe auch „Bergkristall“ oder seine Erzählung „Aus dem Bairischen Walde“, wo er von einem selbst erlebten Schneesturm berichtet.


    Dann endlich beginnt die Erzählung des Freiherrn von Risach über sein Leben. Was er (S. 611) über den Staatsdienst, was notwendig ist und was man „privatisieren“ (wie man heute sagen würde) sagt, trifft mMn vollumfänglich auch heute noch zu. Nur daß man heute bedenkenlos privatisiert ohne auf die Folgen zu achten, während man damals wohl eher alles in Staatsverantwortung behalten hat.


    Interessant auch seine Ausführungen über Kunst im Allgemeinen (S. 615f). Das wäre für mich eine Erklärung für die moderne Kunst (der ich mehr als skeptisch - bis ablehnend - gegenüber stehe).


    Jedenfalls ist nun der Boden bereitet, daß der Freiherr von Risach seine Lebensgeschichte erzählen kann. Allerdings hier wohl erst nach dem Neustart der „Büchereule“ nach dem Forenupdate.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Dieses Kapitel gefiel mir nun wieder recht gut. Auch ich habe die schöne, sorgfältige Sprache genossen und geschätzt.


    Die beiden Reisen - mit dem Vater und dann mit der Schwester - fand ich sehr idyllisch. Dass X allerdings mitten im Winter mit der ungeübten Schwester Berge und sogar Gletscher besteigt, ist für mich ein Ausflug ins Reich der Fabel. Wer auch nur ein wenig Ahnung vom Bergsteigen hat, wird den Unsinn des Behaupteten erkennen. Aber lassen wir es als dichterische Freiheit durchgehen.


    Und endlich stellt sich der Gastgeber vor. Was eigentlich niemanden mehr interessiert, aber trotzdem nett ist.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde