Piedad Bonnett: Wofür es keinen Namen gibt
Ich bin keine Witwe, ich bin keine Waise, ich bin eine Mutter, die ihren Sohn verloren hat.
Verlag: Piper 2017. 160 Seiten
ISBN-10: 3492058590
ISBN-13: 978-3492058599. 18€
Originaltitel: Lo que no tiene nombre
Übersetzerin: Petra Strien-Bourmer
Verlagstext
Piedad Bonnett erzählt in ihrem Buch von der vielleicht schrecklichsten Erfahrung, die Eltern machen können: dem Selbstmord ihres 28-jährigen Sohnes Daniel, der unter Schizophrenie litt. Daniel war zunächst ein ganz normaler junger Mann wie viele andere, er war künstlerisch begabt, und er liebte das Leben, bis seine Krankheit ihn daran zerbrechen ließ. Bonnett begibt sich in ihrem Buch auf die Suche nach ihrem Sohn und stellt Fragen, die er selbst ihr nicht mehr beantworten kann: Wer war Daniel wirklich? Was wusste ich von ihm, und was wusste ich nicht? Hätte ich ihm helfen können in seiner Einsamkeit und wie? Sie schreibt mit der klaren und zärtlichen Sprache des Herzens – mit einer Sprache, die jeden berührt.
Die Autorin
Piedad Bonnett ist Romanautorin, Theaterschriftstellerin und Lyrikerin. Ihre Gedichtbände wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit vielen literarischen Preisen ausgezeichnet. Sie lehrt als Professorin an der Universidad de los Andes in Bogotá.
Inhalt
Daniel Bonnett ist über die Feuertreppe auf das Dach über seiner New Yorker Wohnung gestiegen und hat sich vom Dach gestürzt. Sein Tod steht am Ende einer schweren psychischen Erkrankung, die um sein 20. Lebensjahr herum ausbrach. Mit der Auflösung von Daniels Haushalt beginnend, reflektiert seine Mutter im Rückblick die Jahre der Krankheit. U. a. weil es zu fatalen Fehldiagnosen von Medizinern und Psychologen kam und auch die Angehörigen das Ausmaß der Krankheit erst spät begriffen haben, muss sie sich die Ereignisse von der Seele schreiben. Piedad Bonnett lebt und lehrt in Bogotá/Kolumbien und ist in ihrer Heimat eine bekannte Autorin. Ihr Sohn Daniel hat Kunst studiert und lebte zuletzt in New York, wo er auch Kontakt zu seiner Schwester hatte. Dass Daniel von einem Therapeuten in Bogotá und von Ärzten in New York behandelt wurde und seine Eltern 6 Flugstunden von ihm entfernt lebten, machte die Sache vermutlich nicht einfacher. Der für Außenstehende sichtbare Verlauf von Daniels Schizophrenie erstreckt sich über 5 Jahre. In dieser Zeit hatte er auf einer Reise einen schweren Krankheitsschub, wurde in die Psychiatrie eingewiesen und musste anschließend Medikamente nehmen, deren Nebenwirkungen seine Lebensqualität erheblich beeinflussten.
Piedad Bonnett verarbeitet den Tod ihres Sohnes als Autorin und Literaturwissenschaftlerin, in dem sie u. a. Darstellungen von psychischen Erkrankungen in der Literatur liest und zitiert. In einem entscheidenden Moment liest sie z. B. Virginia Wolfs Beschreibung ihres psychischen Zustands. Der deutsche Untertitel des biografischen Buches befremdet mich, weil der Begriff „verwaiste Eltern“ in Deutschland üblich ist und von Interessengruppen betroffener Angehöriger weiter verbreitet wird. Für Angehörige psychisch Kranker gibt es ebenfalls Selbsthilfegruppen und unterstützende Netzwerke, bei jungen an Schizophrenie Erkrankten sind die Angehörigen oft die Eltern. Dass eine erfolgreiche Autorin ein Buch über die psychische Erkrankung eines Angehörigen verfasst, unterstützt zwar einerseits die Enttabuisierung der Erkrankungen. Aber obwohl ich als Mutter das Bedürfnis nachvollziehen kann, mit einem biografischen Text dieses tragisch kurze Leben nachzuempfinden, finde ich die Form für andere Betroffene weniger hilfreich. Eigene Fehlentscheidungen werden recht kritiklos abgehandelt, z. B. als die Familie dem Arzt praktisch in den Arm fällt, der die erste – sachlich korrekte - Einweisung in die Psychiatrie vornehmen will, weil sie einem Arzt in einer bescheidenen, kleinen Klinik offenbar kein professionelles Handeln zutrauen. Ein anderer Punkt, der nur kurz gestreift wird, ist das Wahren der Fassade innerhalb der eigenen Verwandtschaft durch Tabuisieren von Selbstmord und psychischer Erkrankung. Tabuisieren verursacht u. a. die Strukturen, unter denen die Familie zu leiden hatte.
Fazit
Für Leser Joan Didions finde ich die literarische Form der Verarbeitung durchaus empfehlenswert. An deutsche Leser gerichtet, die von Selbsthilfe-Netzwirken Betroffener wissen, wirkt es auf mich eher befremdlich.
Auch biografische Texte, in denen Selbstmord thematisiert wird, sollten von einer kurzen Information darüber abgeschlossen werden, wo Leser schnelle Hilfe für Angehörige finden, die sie für selbstmordgefährdet halten.
5 von 10 Punkten