Karl-Ove Knausgard las am 23.08.2017 in Edinburgh

  • Das neuste Buch von Karl-Ove Knausgard „Im Herbst“ entstand aus der Idee seiner noch ungeborenen Tochter Briefe über das Leben zu schreiben, das sie erwartet und darüber, was sein Leben in dieser Welt so lebenswert mache. So erzählt er seinem vierten Kind über ihre zukünftige Familie, das Haus und den Garten.


    Dann fasste er den Entschluss, jeden Monat ungefähr 20 Essays zu schreiben, für den ersten Band einer Reihe von insgesamt vier Büchern. Das erste Essay war eine Auftragsarbeit einer amerikanischen Zeitschrift. Gleichzeitig arbeitete er an dem Tagebuch für seine Tochter, das ungefähr 150 Seiten umfassen sollte und ein Geschenk zu ihrem 18. Geburtstag werden. Beides zusammen kann man in "Im Herbst" lesen.


    Als er jünger war, entdeckte er eine norwegische Übersetzung von Gedichten, die France Ponge verfasst hatte. Karl-Ove Knausgard war bis dahin eher Romane gewöhnt und es faszinierte ihn, wie unterschiedlich die Ausdrucksmöglichkeiten von Romanen und Gedichten sein können. Auf maximal zwei Seiten könne er Dinge ganz anders ausdrücken und auch ganz andere Dinge zum Ausdruck bringen als in einem langen Roman.
    Ähnliches wollte er in den Essays versuchen und setzte sich eine Begrenzung von zwei Seiten pro Thema. Einige seien zwar etwas länger geworden, aber in der Regel sei er mit zwei Seiten ausgekommen. Jeden Morgen habe er sich ein Thema ausgedacht und einmal ausgewählt, durfte es nicht mehr geändert werden. Am einfachsten sei es gewesen, über die unscheinbaren, einfachen Dinge zu schreiben. Komplexere Themen wie Liebe seien viel schwieriger. Irgendwann kam er an den Punkt, an dem er seinen Verleger um Themenvorschläge bat.


    Bei seinen vorherigen Büchern habe er stets in sich hineingeschaut. Jetzt änderte sich die Richtung, er schaute nach außen und ließ die Welt hinein. Er liebt Lexika, in der Welt in kleinen Abschnitten erklärt wird, aber stellt schnell fest, dass keine Beschreibung wirklich objektiv sein könne. Knausgards Ziel war, Dinge die wir kennen aus einem etwas anderen Blickwinkel zu beschreiben und verglich seine Essays mit Edvard Munchs Bildern eines Kastanienbaums. Dessen Werke seien ihm sehr vertraut und er war vor vielen Jahren Kurator einer Munch-Ausstellung in Oslo.


    Munch habe auf seinen ersten Bildern immer in sich hineingeschaut, viel von sich preisgegeben. Nachdem er in einer psychiatrischen Klinik war, habe er auf seine Umwelt geschaut, nach außen. Das könne man deutlich bei seinen Bildern sehen. Vorher habe er sein Innenleben gezeigt, später nicht mehr. Er habe wie besessen gemalt, egal ob es ein Meisterwerk wurde oder nicht. Bei van Gogh sei es genau umgekehrt gewesen. Er habe mit schrecklichen Bildern begonnen, viel gelernt und sei brillant geworden.


    In seinem neuen Buch ginge es nicht um Beziehungen oder Menschen, sondern um die Welt wie sie sei. So hätten ihn zum Beispiel Adern fasziniert, die wie Flüsse in uns seien. Obwohl er kein traditionell religiöser Mensch sei, habe er Spiritualismus in der Natur entdeckt, wie zum Bespiel in der Landung eines Adlers. Voller Leidenschaft wollte er das intensivgrüne Gras beschreiben und stellte fest, dass es so gut wie unmöglich sei.


    Auch das menschliche Gehirn könne man nicht begreifen. Es sei vermutlich die komplexeste Struktur im Universum und als er bei einer Gehirn-OP anwesend sein durfte, habe es auf ihn zuerst fast wie ein kleines Tier gewirkt. Dann habe er entdeckt, dass es wie ein eigenes Universum sei, mit Tälern und Flüssen. Auch wenn einige der ausgesuchten Themen unangenehm seien, habe er mit der gleichen Gewissenhaftigkeit über sie geschrieben wie über Autos oder das Gehirn. Er wollte über die Gesellschaft schreiben, über Scham und Identität.


    Zum Schreiben stand er sehr früh auf, in der Regel um 03:30, dass er fertig mit dem Schreiben war, bis seine Familie wach war.


    Warum gebe es Kunst und warum sei diese uns wichtig. Er beneide Maler, denn sie benötigen keine Worte, um ihren Gefühlen oder ihrer Botschaft Ausdruck zu verleihen.


    Für seine früheren Bücher habe er nicht recherchiert. Bei „Im Herbst“ habe er immer zuerst im Internet geschaut, welche Informationen zu dem gewählten Wort angezeigt wurden. Vor allem über die naturwissenschaftlichen Themen habe er viel gelesen.


    Es sei ihm sehr wichtig, ehrlich zu sein und nichts zu beschönigen oder zu verschweigen. Alles aufschreiben und auch veröffentlichen zu können sei wichtiger als die Privatsphäre andere Menschen. Sicherlich sei es schwierig zu entscheiden, wo eine Grenze gezogen werden solle. Aber er sei überzeugt, dass so gut wie alles erlaubt sein solle.


    Umso ehrlicher man selbst sei, umso schwieriger sei es für die andere Person und natürlich gebe es viele verschiedene Möglichkeiten etwas zu betrachten. Aber wenn er z.B. über seinen Vater schreibe und sein Leben mit seinem Vater, warum sollte ihn jemand davon abhalten dürfen. Bekannt wurde er durch seine autobiographischen Bücher, die in Norwegen den Titel "Min Kamp" tragen.


    Er sei wiederholt als frauenfeindlicher Autor bezeichnet worden, weil in seinen Büchern fast nur Männer vorkämen. Für ihn sei es kein Wettbewerb, dass bei fünf Männern automatisch auch fünf Frauen im Buch vorkommen müssten. Anderseits sei ihm auch schon vorgeworfen worden, er schreibe wie eine Frau – woran man so etwas überhaupt festmachen könne.


    Sein letztes Buch „Im Sommer“ habe er aus der Perspektive einer Frau schreiben wollen und sei überzeugt, dass er vom ersten Satz an diese Frau war. Genau dies mache das Schreiben und Literatur zu etwas Besonderem.


    Zum Abschluss las er den Essay über eine Toilettenschüssel.


    Damit endete eine etwas skurrile Veranstaltung mit einem Autor, dessen neustes Buch ich eher nicht lesen werde.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.