Michael Wildenhain: Das Singen der Sirenen
Verlag: Klett-Cotta 9. September 2017
ISBN-10: 360898304X
ISBN-13: 978-3608983043. 22€
Verlagstext
Als der deutsche Frankenstein-Experte Jörg Krippen auf dem Campus seiner neuen Londoner Universität umherirrt, hilft ihm die junge Stammzellenforscherin Mae sich zu orientieren. Die Begegnung wirkt zufällig, tatsächlich hat sie diese bewusst provoziert. Kurz darauf führt Mae ein Wiedersehen herbei, um eine Affäre mit dem deutlich älteren Mann zu beginnen. Zugleich scheint sie sonderbar viel über ihn zu wissen.
Im Londoner East End hat niemand auf den Literaturwissenschaftler Jörg Krippen aus Berlin gewartet. Die Kleidung vom Nieselregen durchweicht sucht er nach einer Klingel, als eine junge Frau indischer Abstammung ihn anspricht: »You look so lost«. Sie selbst ist in Brixton aufgewachsen und forscht im Bereich neuer Reproduktionstechnologien. Krippen verliebt sich rasch und heftig – und belügt sie, was seine Familie und seine linke politische Vergangenheit betrifft. Auch sie ist nicht ehrlich und verschweigt, dass sie vor Jahren als Austauschschülerin in Berlin war. Es entspannt sich eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, wie sie beide in der Intensität zuvor nicht erlebt haben. Doch ihre ungewöhnliche Liebe wirft Fragen nach dem Verhältnis von Geistes- und Naturwissenschaft auf.
Der Autor
Michael Wildenhain ist 1958 in Berlin geboren, wo er auch heute lebt. Nach einem Philosophie- und Informatikstudium engagierte er sich in der Hausbesetzerszene - Stoff u. a. für seine ersten literarischen Veröffentlichungen: „zum beispiel k.“, „Prinzenbad“ und „Die kalte Haut der Stadt“. Zuletzt erschienen die Romane „Russisch Brot“, „Träumer des Absoluten“ und „Das Lächeln der Alligatoren“. Für sein literarisches Schaffen wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Alfred-Döblin-Preis, dem Ernst-Willner-Preis, dem Stipendium der Villa Massimo sowie dem London-Stipendium des Deutschen Literaturfonds. „Das Lächeln der Alligatoren“ war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und wurde mit dem Brandenburger Kunstpreis ausgezeichnet. Wildenhain schrieb mehrere Theaterstücke, von denen 2012 ein Auswahlband erschienen ist.
Inhalt
Der Literaturwissenschaftler Dr. Jörg Krippen hat einen Lehrauftrag zum Thema „Literarisches Schreiben“ in einer Londoner „Summer School“. Betreut wird er von der jungen Studentin Mae. Dass Krippen im Abstand von 12 Jahren zweimal in London gearbeitet hat, lässt Gegenwart und Vergangenheit und seine beiden Beziehungen miteinander verschwimmen. Damals ließ Krippen in Berlin Hellersdorf Frau und Kind zurück, weil sie das Geld dringend brauchten, das er in London verdienen würde. In Rückblenden erinnert er sich an verschiedene Situationen mit seinem Sohn Leo und an Kämpfe seiner AntiFa-Gruppe 1990, als Krippen noch eine Zecke mit Dreadlocks war. Leo ist inzwischen 15 und begeisterter Fußballspieler. In London wird Krippen mit einem Sohn konfrontiert, den er angeblich vor Jahren mit Mae gezeugt haben soll. Ein Cousin Maes will ihn unbedingt in London halten und vergibt einen lukrativen Recherche-Auftrag an Krippen, der ihn u. a. nach New York führt. Krippen ist nun auf der Flucht vor Frau und Sohn in Berlin und Frau und Sohn in London. Leon kommt sogar zu Besuch nach London um bei Krippen nachzubohren, wann er nach Abschluss seines Lehrauftrags nach Berlin zurückzukehren gedenkt. Bei einem Besuch im Dresden der Pegida-Demos kommt Krippen schließlich in der Gegenwart an.
Den Einstieg in Michael Wildenhains neuesten Roman fand ich aufgrund der Dopplung mit Mae und Arundhati kompliziert. Auch die verschachtelte Sprache für alltägliche Ereignisse wie den Schwimmbadbesuch mit Leo ebnete nicht gerade den Zugang zur Handlung. Erst in der Mitte, als Ort, Zeit und Ziele der Figuren klarer wurden, fand ich Zugang zum Text. Krippens Reifung in den Jahren seit seiner kämpferischen Studentenzeit wurde leider kaum ersichtlich. Wildenhain gibt unterschiedlichen Milieus und Lebensaltern jeweils einen eigenen Ton, so dass Erzähler und Krippen sich mit fortlaufender Handlung aus ihrer anfänglichen Schachtelsprache freizuschwimmen scheinen. Das Konzept der unterschiedlichen Sprachniveaus gelingt für meinen Geschmack nur teilweise, weil die Figuren und die Erzählerstimme Urberliner Vokabular mit Eigenheiten zugezogener „Schwob‘n“ mischen. Wie ein süddeutsch-österreichischer Tonfall nach Hellersdorf importiert wurde, erzählt Krippens Geschichte nicht.
Fazit
Die verschachtelte und für die Schauplätze nicht immer authentische Sprache empfinde ich als unnötige Hürde gegenüber der Romanhandlung, obwohl mich Figuren, Orte und historischer Hintergrund durchaus interessieren.
6 von 10 Punkten