Donato Carrisi - Der Nebelmann

  • Das Buch beginnt damit dass der römischen Sonderermittler Vogel 62 Tage nach Eintreten des Kriminalfalles unverletzt aber desorientiert nach einem Unfall in den italienischen Alpen aufgefunden wird. Man stellt ihn zur Einschätzung dem örtlichen Psychiater Flores vor. So beginnt dann im Rückblick die Erzählung über den Fall. In einem italienischen Bergdorf wir das 16-jährige Mädchen Anna Lou Kastner seit zwei Tagen vermisst. Sie kommt aus gutem Elternhaus, war noch nie auffällig, sehr gläubig und noch etwas naiv. Ihre Familie ist Teil einer rückständigen sehr strenggläubigen Bruderschaft. Durch das Auffinden von Flussspat und der Eröffnung eines Bergwerkes ist ein Teil der Dorfbewohner sehr reich geworden und der andere Teil verarmt. Vogel nimmt seine Ermittlungen unterstützt vom jungen Kollegen Borghi auf und geht von einer Entführung aus. Er setzt seine eingeschränkten Ressourcen gleich recht unkonventionell ein. Wie die Inhaltsangabe schon verspricht, findet man in diesem Buch mit Vogel tatsächlich einen etwas anderen Ermittler, der die Publicity nicht scheut, sondern einzuspannen weiß.


    Die Geschichte wir in präziser, abwechslungsreicher Ausdrucksweise erzählt und ist außergewöhnlich aufgebaut. In einem fremden, skeptischen Umfeld kommt es zwischen Vogel und der Staatsanwaltschaft gleich zu heftigen Reibereien.


    Die intensiv geschilderte Atmosphäre ist kühl, trüb und winterlich hart. Das habe ich so nicht direkt mit Italien in Verbindung gebracht. So ist es für mich der Schweden Krimi unter den Italienern ;-)


    Der Schwerpunkt der Geschichte liegt darauf, wie die Medien in Kriminalfällen eine Rolle spielen. Eingesetzt werden können, aber auch selbst stark beeinflussen.


    Als gerade ein ermittlungstechnischer Höhepunkt erreicht wird, springt die Geschichte wieder zu dem Gespräch zwischen dem Psychiater Flores und Vogel zurück. Dann wiederum geht die Erzählung zurück zu den Geschehnissen im Dezember und beginnt wieder von vorne, nun erzählt aus der Perspektive des Lehrers Martini. Zeitlich nach diesem Rücksprung wird sie dann gesamthaft weiter geführt. Es kommt zu überraschenden, unvorstellbaren Wendungen. Das komplexe, etwas konstruierte Ende lässt einen zum Teil unzufrieden zurück. Leider geht es in dieser Geschichte nie um wirkliche Gerechtigkeit.


    Vogel ist eitel und es geht ihm alles um die PR des Falles. Mit keiner Figur kann man so richtig mitfühlen oder sich identifizieren.


    Das Cover mit den winterlich kahlen Bäumen, der angedeuteten Männerfigur und der Teilansicht eines Mädchengesichtes passt sehr gut zum Buch. Der Covertext dagegen ist irreführend, da der Nebelmann und die angesprochenen, vor vielen Jahren verschwundenen Mädchen, nur am Ende eine kurze Rolle spielen.


    Fazit: Ein fesselnder Thriller mit einem besonderen Ermittler, aber das Ende kann nicht ganz überzeugen.


    8 von 10 Punkten


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  • Meine Meinung:
    Achtung: Bloß nicht den Klappentext lesen. Der verrät viel zu viel vom Inhalt.


    Gleich der Anfang macht neugierig. Mitten in der Nacht wird der Psychiater Dr. Flores ins Krankenhaus gerufen, um festzustellen, ob Sonderermittler Vogel zurechnungsfähig ist. Der wurde blutverschmiert aufgegriffen und behauptet, einen Unfall gehabt zu haben. Was ist geschehen, das den stets sehr auf sein Äußeres bedachten Kommissar in einen derart derangierten Zustand versetzt hat? Die Handlung springt zwei Monate in der Zeit zurück. Damals kam Vogel in das kleine abgelegene italienische Alpendorf Avechot, um im Fall der seit zwei Tagen spurlos verschwundenen 16-jährigen Anna Lou zu ermitteln. Viele Dorfbewohner sind Mitglied einer strengreligiösen Gemeinde, der auch Anna Lous Eltern angehören und niemand kann sich erklären, wohin das junge, behütete Mädchen verschwunden sein könnte. Der erfolgsverwöhnte Vogel braucht unbedingt einen Ermittlungserfolg, endete sein letzter Fall aufgrund seiner Fehleinschätzung doch in einem Fiasko.


    Auf meisterliche Art erzählt Donato Carrisi eine düstere Geschichte, die man nicht nur als Thriller, sondern auch als Gesellschaftsdrama bezeichnen kann. Die anfänglich ruhige Stimmung im Dorf heizt sich immer mehr auf und droht, auch angefeuert durch die Medien, in Selbstjustiz zu eskalieren.


    Die Geschichte wird in Rückblenden in die Zeit kurz vor und nach dem Schwinden Anna Lous aus verschiedenen Perspektiven heraus erzählt. Im Verlauf der Handlung rückt der Auslöser der Geschichte, das Verschwinden des jungen Mädchens, immer mehr in den Hintergrund und macht der Selbstdarstellung nicht nur Vogels, sondern auch einiger anderer Personen, Platz.


    Meine anfängliche Sympathie für Vogel schwand schnell dahin, denn geschickt lässt der Autor ihn, je mehr man über ihn erfährt, in einem immer ungünstigeren Licht erscheinen.
    Vogel ist ein eitler Selbstdarsteller, der seine ganz eigenen Ermittlungsmethoden hat und gern die Medien für sich einspannt. Wohin das führen kann, wird in diesem Roman auf sehr eindrucksvolle Weise geschildert.
    Psychiater Dr. Flores, Staatsanwältin Rebecca Mayer, Anna Lous Eltern, der Lehrer Martini, Reporterin Stella Honer, fast alle Charaktere in diesem Buch schaffen es auf der Sympathieskala nicht sehr weit nach oben.


    Je tiefer man in die Geschichte eintaucht, desto deutlicher wird, dass hier das „Nichts ist, wie es scheint“ perfekt in Szene gesetzt wurde. Das letzte Viertel des Buches wartet mit einer Spannung auf, so dass ich unbedingt ohne Pause durchlesen musste. Am Ende war ich von dem genial durchdachten und auf den Punkt konstruierten Thriller verblüfft. Der überraschende Schluss ist spektakulär und ein echter Hammer.

  • Ich habe natürlich Jane's Hinweis, das der Klappentext zuviel verrät, viel zu spät gelesen. Deswegen habe ich mich auch während des Lesens gefragt, wie er zum Inhalt passt.


    Aber auf Donato Carrisi ist Verlass. Ich kenne alle 4 Bücher, die bisher von ihm erschienen sind. Das erste hat mich damals total umgehauen. Es war so anders, als alles, was ich bis dahin gelesen hatte. Seitdem habe ich ihn im Auge behalten. In seinen Stories geht es immer um Manipulation. Und so ist es auch hier.


    Betty und Jane haben eigentlich schon alles zum Inhalt und Aufbau gesagt. Da hätte ich nicht viel hinzuzufügen. Carrisi ist einfach ein zuverlässiger Lieferant von ungewöhnlichen und eigenwilligen Krimis. Hier geht es um die Zusammenarbeit von Polizei und Medien und wie die Berichterstattung die Meinungen beeinflusst. Da gibt es zwar keine überraschenden Neuerkenntnisse. Dennoch wirken sie so auf den Punkt gebracht erschreckend.


    Mein einziger klitzekleiner Kritikpunkt wäre, das es ein sehr langsames Buch ist. Die Story wird recht behäbig erzählt. Zum Ende zieht sie dann aber an und wartet mit Überraschungen auf. Da ich Carrisi inzwischen etwas kenne, war der Twist zum Schluss keine wirkliche Überraschung. Naja, vielleicht der allerletze Twist. Aber er passt perfekt zu seinem Stil. Es ist ein sehr düsteres Buch, das, wie beim ihm gewohnt, die sehr niederen Instinkte des Menschen anzeigt und wie leicht wir alle zu manipulieren sind, wenn denn einer versteht, die richtigen Knöpfe zu drücken. Man sollte auch kein Problem damit haben, keine positive Identifikationsfigur in diesem Buch zu finden wenn man das Buch liest.


    Carrisi bleibt weiterhin ganz weit oben auf meiner Must-Read-Liste. Er ist einfach gut.

  • Ich habe das Buch heute beendet, war aber zweimal drauf und dran, das Lesen abzubrechen.


    Die Geschichte selbst ist spannend geschrieben, es gibt einige Überraschungen, die ich nicht voraus ahnen konnte. Z. B. dass mitten im Buch ein Perspektivwechsel erfolgt und man zeitlich wieder an den Anfang zurück springt. Das ist natürlich ein starker Effekt, vor allem dann, wenn man so langsam mit bekommt, wie sich die Handlungen der beiden Personen verweben. Das fand ich sehr gut gemacht. Auch der Schluss hat mir gefallen, wenn er auch etwas konstruiert erschien. Aber die bis dahin noch offenen Fragen werden beantwortet.


    Die Personen sind gut charakterisiert, behalten aber ihre Geheimnisse und geben im Lauf der Geschichte nicht alle davon preis. Insbesondere aus dem Ermittler Vogel und seiner ganzen Entourage bin ich nicht schlau geworden. Hier hätte ich mir etwas mehr Tiefe erhofft.


    Darcy schrieb oben, dass es bei Carrisis Büchern immer um Manipulationen geht - ich wusste das nicht, denn dies war mein erstes Buch von diesem Autor. Und genau diese Manipulationen oder Lügengebilde machten mir das Lesen so schwer, haben mich regelrecht getriggert. Vielleicht war der Zeitpunkt, dieses Buch zu lesen, für mich gerade ungünstig. Das war der Grund, warum ich mir zweimal überlegt hatte, das Lesen abzubrechen. Ob sich das Durchhalten gelohnt hat, kann ich jetzt noch nicht mal sagen. Erstmal bin ich erleichtert, das Buch "abhaken" zu können.