Kerstin Preiwuß: Nach Onkalo

  • Kerstin Preiwuß: Nach Onkalo
    Berlin Verlag 2017. 240 Seiten
    ISBN-10: 3827013143
    ISBN-13: 978-3827013149. 20€


    Verlagstext
    Matuschek ist vierzig, als seine Mutter stirbt, mit der er das Haus teilte. Ohne ihre Fürsorge weiß er nicht, wie es weitergehen soll. Eine Frau hat er nicht und von dort, wo er wohnt, geht man weg, wenn man kann. Aber Matuschek ist einer, der bleibt, Bewohner des Hinterlands, einer längst von allen aufgegebenen Welt. Zum Glück gibt es Nachbarn. Igor, der Russe, wird zum Freund. Den alten Witt kennt er seit seiner Jugend. Und dann sind da die Tauben, die Matuschek als Junge bekam und seitdem züchtet. Brieftauben haben einen inneren Kompass und kehren stets nach Hause zurück. Das kann schon reichen fürs Leben. Als Matuschek Irina kennenlernt, winkt das Glück. Aber dann geht etwas schief und er beginnt von neuem.
    »Nach Onkalo« zeigt eine Welt am Rand, in der sich die großen Fragen nicht weniger deutlich stellen: was einen zusammenhält und wie man glücklich wird. Matuschek stellt sich diese Fragen nicht, er will nur seinen Alltag meistern. Doch vielleicht befähigt ihn genau das zur Erkenntnis »ob das Leben die Mühe lohnt«.


    Die Autorin
    Kerstin Preiwuß, geboren 1980 in Lübz (Mecklenburg), lebt als freie Autorin mit ihrer Familie in Leipzig. 2006 debütierte sie mit dem Gedichtband „Nachricht von neuen Sternen“. 2008 erhielt sie das Hermann-Lenz-Stipendium. 2012 erschien ihr zweiter Gedichtband »Rede«, der von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in die Liste der Lyrikempfehlungen des Jahres aufgenommen wurde. Zuletzt erhielt sie den Mondseer Lyrikpreis. 2014 erschien ihr vielbeachtetes Romandebüt „Restwärme“, 2016 ihr Lyrikband „Gespür für Licht“ im Berlin Verlag. Im Frühjahr 2017 veröffentlicht sie dort ihren zweiten Roman „Nach Onkalo“.


    Inhalt
    Matuscheks Leben gerät an dem Morgen aus dem Tritt, an dem seine Mutter tot im Bett liegt. Bisher hat sie ihn morgens rechtzeitig vor der Arbeit geweckt, ihn bekocht und seine Wäsche gewaschen. Igor, „der Russe“ von nebenan, kümmert sich spontan um den verwaisten 40-Jährigen, organisiert die Beisetzung und kennt sich mit muckenden Waschmaschinen aus. Der Nachbar sieht Matuscheks Problem, wir müssen dir eine Frau suchen, meint er trocken. Leicht gesagt, in einer sterbenden Gegend, in der schon eine Skatrunde am Fehlen des dritten Spielers scheitern kann. Kein Wunder, dass hier u. a. die Beziehungen von Matuschek zu drei gegensätzlichen Männern im Mittelpunkt stehen; denn Frauen sind aus der sterbenden Region längst in die Großstädte abgewandert. Vielleicht ist Matuschek doch nicht der schlafmützige Loser wie befürchtet, sondern hat das aus seinem Leben gemacht, was zwischen Wolkenformationen und dem Auflassen seiner Tauben hier machbar ist.


    Noch hat Matuschek Arbeit als Wetterbeobachter auf dem Flughafen, aber damit wird bald Schluss sein. Erst einmal lernt Matuschek zu schätzen, wie gut man mit Igor angeln und schweigen kann. Außer Igor hat Matuschek Witt zum Freund, einen ehemaligen Kraftwerksarbeiter, der sich tiefschürfende Gedanken über drohende Atomkatastrophen und die Schlampigkeit der Menschen an sich macht. Beide Männer züchten Brieftauben, um die sie sich täglich diszipliniert kümmern müssen. Sollte einer von ihnen seine Pflicht nicht mehr erfüllen, wäre das in ihrem Leben Zeichen einer viel größeren Katastrophe als eine Kraftwerkspanne. Im Leben ohne Igor bekommt Matuschek Kontakt mit einem windigen Berliner Geschäftsmann, der ihn sogar als Subunternehmer beschäftigen würde. Als Matuschek völlig vor die Hunde zu gehen droht, kommt es zur Wende in seinem Leben. Keine Ahnung, wie Matuschek auf Onkalo gekommen ist. Dass er darauf gekommen ist, lässt ahnen, wie er nach langer Zeit dafür über seinen Gartenzaun hinaus gucken musste …


    Fazit
    Verplante Menschen wie Matuschek können einem beim Lesen gehörig auf den Wecker gehen, während die Zumutungen des Alltags ihnen zusetzen. Der Gedanke, Matuschek, komm in die Puschen, drängte sich auch mir auf. Doch Katrin Preiwuß gnadenlose Konsequenz, mit der sie ein Stück sterbenden Osten aus der Sicht des abgehängten Matuschek beschreibt, hat mich zunehmend gefesselt. Wer sich auf die Paarungen Igor, Matuschek, Witt und Lewandowski einlassen kann, findet hier einen feinfühlig erzählten Text, der mit "Onkalo" einen dezenten postapokalyptischen Schwenk in die Zukunft hinlegt.


    8 von 10 Punkten

  • Nach Onkalo - Kerstin Preiwuß


    Mein Eindruck:
    Der vierzigjährige Matuschek ist natürlich eine problematische Hauptfigur, die man schlecht als Identifikationsfigur akzeptieren kann oder will.
    Anfangs dachte ich, er wäre zurückgeblieben. Emotional gesehen ist er das wohl auch. Betrachtet man die Lebensumstände, gibt es aber auch Gründe dafür. Das macht es nicht unbedingt leichter für den Leser und Kerstin Preiwuß erspart uns auch nicht Details im Denken und Verhalten Matuscheks, die man lieber nicht sehen würde.


    Aber gerade diese Sperrigkeit macht den Roman neben seinen sprachlichen Qualitäten zu etwas besonderen. Ich bin froh, dass das Buch auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017 steht und hoffe, er erreicht als Außenseiter auch die Shortlist!