Schriftsteller auf Irrwegen? Handke und Milosevic

  • Schriftsteller sind Menschen wie andere auch.
    Und haben daher ein Recht auf eigene Meinung.
    Niemand zwingt einen, die jeweilige Meinung zu teilen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • magali
    Ich halte es zumindest für bedenklich, wenn sich Künstler nicht davor scheuen für Menschen partei zu ergreifen, die vor einem Kriegsverbrechertribunal stehen und, wie es Handke ja anscheinend auch schon getan hat, begangene Kriegsgreuel verharmlosen bzw. auch ganz leugnen.
    Sich mit Leuten zu "verbrüdern", die sich nachweislich durch Machtmissbrauch so bereichert haben, wie Milovesic und sein Clan, hat m. E. nichts mehr mit Recht auf eigener Meinung zu tun (die ich Herrn Handke gerne belasse), sondern wohl eher mit Defiziten im Charakter.


    Gruss,


    Doc

  • @Doc,


    oh, oh, Handke charakterliche Schwächen vorzuhalten, finde ich ein wenig anmaßend. Was weißt du, was wissen wir über die wirklichen Geschehnisse dort? Handkes Mutter war Serbin. Ich halte es daher für durchaus möglich, dass Handke über Informationen verfügt, die nicht in den Medien standen.
    Aber auch das ist eine Spekulation.


    Peter Handke ist kein Dummbeutel, der mit bestimmten Äußerungen provozieren will, um den Abverkauf seiner Bücher zu steigern oder auf die Titelseite der Bildzeitung zu gelangen. Man mag ihn verbittert nennen, man mag seine Bücher verdammen, doch das Recht auf eine eigene Meinung bleibt ihm unbestritten und sollte akzeptiert werden. Auch das, Doc, ist Demokratie. Und ich bin sehr sicher, dass Herr Handke seine Meinung wohl bedacht hat.

  • Handke hat im Kern nichts anderes gemacht als


    1. auf das schwierige Verhältnis zwischen Deutschen und Serben hinzuweisen, das in Deutschland seit sehr langer Zeit den Blick auf den Balkan trübt


    2. Die Rechtmäßigkeit des Tribunals in Den Haag anzuzweiflen.
    Vielleicht sollte man sich dazu noch einmal die Haltung der USA und ihre Sonderrechte in bezug auf diese Institution ins Gedächtnis rufen.


    3. seine Meinung geäußert.



    Kreuziget ihn!!

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Handke hat seine Meinung geäußert - das ist sein gutes Recht. Ich muss diese Meinung ja nicht teilen. Hat nicht einmal Rosa Luxemburg gesagt, Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Gestehen wir Handke also diese Meinungsfreiheit zu - nur dadurch bleibt die Demokratie überhaupt lebensfähig. Es kann ja nicht auch immer nur Abnicker geben.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Wie ich schon weiter oben schrub: Ich belasse Herrn Handke gerne seine Meinung.


    Ich gebe hier auch nur meine Meinung ab.
    Und eigentlich dachte ich, daß wir hier zusammengekommen sind, um über Meinungen zu diskutieren. Aber ist ja schön, wenn wir jetzt dazu übergehen einfach zu sagen "Jedem seine Meinung" und das war es dann wieder. Auch eine nette Methode. :-)


    Gruss,


    Doc

  • @Doc,


    nun sei nicht beleidigt. Es ist meiner Meinung nach ein Unterschied, ob man eine WERTUNG über eine Person abgibt oder nur eine andere Meinung als eben diese Person hat. Mir schien, du bewertest die Meinung Handkes. Von deiner Meinung war im Grunde nur zwischen den Zeilen zu lesen.
    Auf deine Meinung konnte man nur aufgrund von Handkes "Bewertung" schließen. Zu einer Diskussion gehören aber eben mindestens zwei Meinungen, die gleichberechtigt und zunächst wertfrei nebeneinander stehen können. Denn es geht ja in Diskussionen auch darum, neue Blickpunkte, Argumente, Sichtweisen zu finden. Wenn man aber gar nicht gewillt ist, die Argumente des anderen zu hören, so kann es durchaus sein, dass eine Diskussion überhaupt nicht möglich ist. Dann will der eine den anderen lediglich von seiner eigenen Meinung überzeugen.

  • Ines
    Die Meinung eines Menschen zu bestimmten Dingen fließt doch stets in unsere bewusste und unbewusste Wertung dieses Menschen mit ein, oder nicht?
    Ich kann also keine wertfreie Meinung zu Handkes Ansichten betreffend Milosevic und dessen Verantwortung für Machtmissbrauch und Kriegsverbrechen haben. Handkes Meinung hängt in diesem Fall zumindest bei mir persönlich sicherlich auch mit einer Wertung über ihn als Person zusammen. Das gebe ich gerne zu.


    Gruss,


    Doc

  • Ich muß mich jetzt doch mal einmischen ...


    Nicht daß ich dem Herrn Milosewic sein Menschsein absprechen will, wie das z.B. die allseits geschätzte BILD-Zeitung (unter weitgehender Billigung der Öffentlichkeit) mit dem Herrn Hoffmann macht.
    Allerdings habe auch ich ein gewaltiges Problem damit, dem Herrn Milosevic so unvoreingenommen zu begegnen, wie Peter Handke das tut, und die nachgewiesenen Greuelzustände des Konzentrationslagers Omarska zu leugnen, wie Peter Handke das tut.


    Meines Wissens hat niemand ernsthaft "den Serben" als einem Volk die Schuld an den Greueln in die Schuhe geschoben (wie man z.B. auch heute noch gelegentlich lesen kann, daß Nationalsozialismus, KZs und Holocaust nur in Deutschland hätten passieren können, weil ... ja, äh ... ja, weil ... ja, nun, weil die Deutschen eben so sind, gell?).
    Im Gegenteil: Abgesehen von einzelnen journalistischen Ausreißern (da hat sich allerdings wieder mal die britische Revolverpresse hervorgetan, in der man auch obigen Vorwurf gegenüber den Deutschen immer wieder lesen kann) wurde ständig betont, daß es sich um "serbische/kroatische Nationalisten" (es gab einfach keinen bosnisch-muslimischen "Nationalismus") gehandelt habe, um "(nationalistische) Todesschwadronen" um "Sondereinheiten", "marodierende Banden", die übrigens damals voller Stolz ihre jeweilige ethnische Zugehörigkeit (auch die bosnisch-muslimische) als Rechtfertigung für derlei Übergriffe anbrachten.
    Bürgerkriegssituationen sind extrem unübersichtlich; wenn die Exekutivmacht eines Staates versagt, entsteht ein Zustand der Anarchie, in dem unter dem Deckmäntelchen eingetrichterter Argumente z.B. aus dem Pulverfaß des Nationalismus alle möglichen Privatfeindschaften, Eifersüchteleien und Ressentiments einen Freibrief zur Eskalation erhalten.
    Dennoch gab es tw. systematische Befehle, mit denen sich einige berüchtigte Generäle und Kommandeure während des Bürgerkrieges sogar brüsteten, und von denen sich die damaligen Vordenker wie der Herr Karasic und Machthaber wie der Herr Milosevic nie distanzierten. (Edit:) Und es gab eine systematische, durch die zensierten und gelenkten Medien verbreitete Propaganda, in der die ethnischen Gruppen erst so richtig definiert und gegeneinander aufgehetzt wurden. (Edit Ende) Außerdem war das Lager Omarska eine offizielle Einrichtung. Die Tatsache, daß die Verteidigung des Herrn Milosevic dies heute leugnet, ist ein legitimes Mittel juristischer Verteidigung, mehr nicht.


    In meinen Augen besteht kein Unterschied zwischen Peter Handkes Haltung zu den Brandstiftern der jugoslawischen Katastrophe und derjenigen der Kriegsgeneration, die vor der Realität der Nazigreuel krampfhaft die Augen verschloß, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
    Das ist seine Meinung, aber ich betrachte sie eben als defizitär -- und als eine bodenlose Verachtung gegenüber den Opfern auf allen Seiten dieser Katastrophe, denn über die Opfer von Omarska fiel ihm nix anderes ein, als der Satz: »Wohl wirklich leidend, posierten sie.«


    Sorry, aber ich betrachte Ignoranz diesen Ausmaßes als charakterlich-ethisches Defizit. Ja, das ist eine Wertung.

  • Hat er eigentlich ein Recht auf Irrtum?
    Ich meine, irren ist doch auch menschlich?
    Sind SchriftstellerInnen zu einer Art übergeordneten Moral verpflichtet? Grundsätzlich?
    Und nein, ich habe den neuen Essay noch nicht gelesen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich habe den Essay ebenfalls noch nicht gelesen, aber ich stimme Magali zu und frage euch:



    Wie viel Moral muss den ein Schriftsteller eurer Meinung nach haben? Eine höhere als der Nichtschriftsteller? Warum?


    Wie steht es denn mit der Moral in den eigenen Werken? Ich meine hier nicht nur die Profiautoren, sondern alle anderen, die schon jemals etwas verfasst haben. Welchen moralischen Maßstab habt Ihr angelegt? Verlangt ihr von eurem Bäcker oder Friseur eine ebensolche Moral?
    Warum ist bei Peter Handke etwas moralisch minderwertig und charakterlich bedenklich, was an einem Stammtisch kommentarlos hingenommen wird? Weil er in der Öffentlichkeit steht? Weil viele seine Meinung lesen?


    Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht hier nicht darum, ob Menschenrechtsverletzungen, Völkermord und ähnliches zu verurteilen sind. Ich glaube, wir sind uns da alle einig.
    Es geht um die FORM der Diskussion, darum, ob auch gegenteilige Meinungen GEHÖRT und BEDACHT werden, BEVOR die SACHE an sich bewertet wird.

  • magali
    Sich auf eine "Irren ist menschlich"-Position zu verlegen, macht mir Handkes Äußerungen und Haltung in dieser Sache um keinen Deut verständlicher.


    Mit Deinen (rhetorisch gestellten?) Fragen kann man im Übrigen ja alle möglichen menschlichen Entgleisungen kommentieren.
    "Ich hab das Mädchen doch nur angefasst, weil ich dachte die wäre schon 18. Na hab ich mich halt geirrt, ist doch menschlich."


    Gruss,


    Doc

  • magali, Peter Handke hat dasselbe Recht auf eine eigene Meinung, eine Fehlentscheidung etc. wie ich, du oder Gerhard Frey, um mal ein breites Spektrum aufzumachen.
    Und jeder andere hat das Recht, auch zu eine Meinung über eine Meinung von Peter Handke oder Gerhard Frey, dich oder mich zu haben -- oder etwa nicht? :wow


    Hab ich irgendwo geschrieben, man solle ihm den Mund verbieten? Ihn einweisen? Verbannen?


    Nebenbei bemerkt muß man bei öffentlichen und vor allem kontroversen Stellungnahmen immer damit rechnen, auf Widerspruch zu stoßen.

  • Zitat

    Original von Ines als Gast
    Wie viel Moral muss den ein Schriftsteller eurer Meinung nach haben? Eine höhere als der Nichtschriftsteller?


    Nein, muß er nicht. Wie schon gesagt wurde, ist ein Schriftsteller ein Mensch, wie jeder andere auch. Was aber auch heißt, daß die Meinung eines Schriftstellers, wie jede andere auch diskutiert werden darf.
    Meiner ganz subjektiven Meinung nach sagt in diesem speziellen Fall die Meinung des Schriftstellers Handke eben auch Einiges über den Menschen dahinter aus. Ich mag mich irren, schließlich bin ich nur ein Mensch. ;-)


    Zitat


    Wie steht es denn mit der Moral in den eigenen Werken? Welchen moralischen Maßstab habt Ihr angelegt?


    Die Moral IN den Werken steht doch eh außerhalb von solcher Art Diskussionen, wie wir sie gerade eben hier führen. IN Romanen ist grundsätzlich erstmal Alles als Fiktion zu sehen, so auch die moralischen Maßstäbe, die die Protagonisten handeln oder nicht handeln lassen.


    Zitat


    Warum ist bei Peter Handke etwas moralisch minderwertig und charakterlich bedenklich, was an einem Stammtisch kommentarlos hingenommen wird? Weil er in der Öffentlichkeit steht? Weil viele seine Meinung lesen?


    Auch an einem Stammtisch wird nicht Alles kommentarlos hingenommen, zumindest nicht von mir (und dabei kann ich nun mal nur für mich sprechen). Ja, Handke steht in der Öffentlichkeit und hat dadurch sicherlich eine andere Verantwortung, als Lieschen Müller beim Tupperware-Abend. Wenn Handke hergeht und z. B. propagieren würde, daß es im Dritten Reich nie KZs gegeben hätte, dann hat das eine andere Qualität, als wenn das das Frl. Müller im Kreis ihrer Tupperware-Kolleginnen tut.


    Zitat


    Es geht um die FORM der Diskussion, darum, ob auch gegenteilige Meinungen GEHÖRT und BEDACHT werden, BEVOR die SACHE an sich bewertet wird.


    Das habe ich jetzt nicht verstanden. An der Form, wie im Moment hier diskutiert wird, kann ich nichts Verwerfliches erkennen. Vielleicht kannst Du das nochmal näher erläutern.


    Gruss,


    Doc

  • Seltsam, wenn ich diese Diskussion hier so sehe, dann fällt mir doch gleich die kontroverse Diskussion um Sartre in den 50ern und 60ern ein. Auch seine politischen Aussagen zeugten damals stellenweise von einer Naivität, die ihresgleichen suchte. Und seine Kontrahenten ereiferten sich genau so, wie Doc es grade tut. :lache

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Zitat

    Original von magali
    Hat er eigentlich ein Recht auf Irrtum?


    ja, hat er!


    Zitat

    Original von magali
    Ich meine, irren ist doch auch menschlich?


    ja, da hast du recht!


    Zitat

    Original von magali
    Sind SchriftstellerInnen zu einer Art übergeordneten Moral verpflichtet? Grundsätzlich?


    schriftsteller sind auch "nur" menschen - haben aber in der regel mehr medienaufmerksamkeit. schön, wie man sich nach jahrelanger erfolglosigkeit wieder ins gespräch bringen kann!


    der mann hat sich mit seiner verblendeten sichtweise seit '96 selbst in abseits manövriert. und da gehört er auch hin...


    mehr sage ich nicht zu diesem mann (ich habe extra nicht schriftsteller geschrieben!), weil diese diskussion ihn mehr aufwertet als er verdient hat.


    Zitat

    Original von magali
    Und nein, ich habe den neuen Essay noch nicht gelesen.


    nicht nötig, magali! allerdings weißt du dann, wovon wir hier reden!


    bo :-)