Österreichisch für Anfänger. Ein heiteres Lexikon - Robert Sedlaczek

  • In welche Rubrik stellt man bitte ein heiteres Lexikon? Humor und Satire? Wäre auch möglich gewesen. Ich habe mich jetzt für die seriöse Ecke entschieden und die Buchvorstellung hier bei den Nachschlagewerken geparkt. Es gibt ja schließlich auch den einen oder anderen Erkenntnisgewinn.


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    Robert Sedlaczek: Österreichisch für Anfänger. Ein heiteres Lexikon illustriert von Martin Czapka, Wien 2017, Amalthea Signum Verlag, ISBN 978-3-99050-076-7, Hardcover, 108 Seiten mit farbigen Illustrationen, Format: 10,6 x 1,2 x 16,5 cm, Buch: EUR 12,00, Kindle Edition: EUR 8,99.


    Gatschhupfer, der Ein geländegängiges Motorrad oder ein Mountainbike. Auch der Besitzer eines derartigen Gerätes kann so benannt werden. Gatsch ist in Österreich und Bayern eine breiige Masse oder – wie in diesem Fall – eine aufgeweichte Erde. (Seite 28)


    Zugegeben: Ein wirklicher Österreichisch-Anfänger bin ich nicht. Eher jemand, der mangels Übung dabei ist, seine Muttersprache zu verlernen. An Nachschlagewerken wie diesem habe ich meine Freude, weil sie die Vokabeln schriftlich fixieren, die andernfalls meiner Erinnerung langsam entgleiten würden.


    Begriffserklärungen mit einem Augenzwinkern
    Garetzen und oanigeln, Halawachel und Arschkapplmuster, Gfrieß und Gfrast, graupat und gugerscheckat, gnädig und krawutisch ... das kenne ich alles. Ich weiß auch, was „sich tummeln“ bedeutet, strawanzen, miachtln und matschkern. Und was ein Ramasuri und ein aufg’stellter Mausdreck sind, das weiß ich auch. Nur habe ich die Begriffe zum Teil seit Jahren nicht mehr gehört, geschweige denn benutzt. Deshalb habe ich mich so auf dieses Buch gefreut. Es ermöglicht mir eine Wiederbegegnung mit altbekannten Vokabeln. Und ein Wiederhören, denn manche Wörter muss man einfach genüsslich laut aussprechen - und dann herzlich lachen.


    Verblüffende Erkenntnisse
    Die Begriffserklärungen sind aufschlussreich und bieten mitunter staunenswerte Erkenntnisse über die Herkunft der Wörter. Man stellt verblüfft fest, dass man Jahrzehnte lang einer falschen Volksetymologie aufgesessen ist. Den Ausdruck „gschamster Diener“ habe ich, wie viele andere auch, stets von „gehorsamster“ Diener hergeleitet. Den Zusammenhang, den Autor Robert Sedlaczek im Buch aufzeigt, habe ich nie gesehen, obwohl ich die entsprechende Vokabel kenne. In Österreich kommen eben viele verschiedene Sprachen/Sprachfamilien als (Inspirations-)Quelle in Frage: slawisch, italienisch, jiddisch, ungarisch, lateinisch ... Da kann man schon mal aufs falsche Pferd setzen.


    Auch über das schöne Wort „pudern“ weiß das Buch etymologisch Erhellendes und Einleuchtendes zu erzählen. ;-)


    Das Buch will nicht belehren, sondern unterhalten, heißt es im Vorwort. Sagen wir so: Es liefert auf unterhaltsame Art wissenswerte Informationen. Mit einem Augenzwinkern erläutert es Begriffe der Standardsprache, der Umgangssprache und der regionalen Dialekte. „Ernsthafte“ Ausdrücke der alten Mundarten findet man hier genauso wie scherzhafte Wortkreationen und moderne Neuschöpfungen. Denn „(...)obwohl die Mundarten auf dem Rückzug sind, gibt es auch immer wieder neue Ausdrücke“. (Seite 7)


    Auch Fachtermini aus der Amtssprache sind vertreten: „Abfertigung“ bedeutet in Österreich etwas ganz anderes als in Deutschland und mit „Anonymverfügung“ und „Malversation“ fängt man als gewöhnlicher Piefke gar nichts an. Hier erfährt man, was dahintersteckt.


    Manchmal hätte man es lieber nicht so genau gewusst. Dass die Palatschinke (der Pfannkuchen) sprachgeschichtlich mit der Plazenta verwandt ist, ist zwar hochinteressant, aber auch ein wenig unappetitlich.


    Manchmal fehlt die Erklärung
    Bei anderen Gelegenheiten bleibt die Erklärung leider aus. Was ist denn jetzt ein „Backhendlfriedhof“? Okay, ich weiß es. Aber wer das Wort noch nie gehört hat, wird aus den Ausführungen im Buch womöglich nicht so recht schlau. Auch die Bedeutung von „Blechweckerl“ erschließt sich erst so richtig, wenn man Martin Czapkas Illustration betrachtet. Den „Hausbesorger“ wird man wohl googeln müssen, wenn man das Wort nicht kennt. Außerdem wissen wir, nachdem wir den entsprechenden Abschnitt im Buch gelesen haben, jetzt zwar, was das Verb „schurln“ ursprünglich mal bedeutet hat, aber in welchem Zusammenhang man es heute verwendet, erfährt der Österreichisch-Anfänger nicht.


    Dem Anspruch, ein Lexikon zu sein, wird das unterhaltsame Büchlein nicht immer in vollem Umfang gerecht. Man lernt trotzdem eine ganze Menge, während man sich köstlich amüsiert. Die kreativsten und treffendsten Vokabeln findet man eben im Dialekt!


    Eine gleichberechtigte Varietät
    Ich wollte, es hätte das Büchlein schon gegeben, als ich (in Deutschland) zur Schule ging. Dann hätte ich meinen Lehrern diesen Textpassus aus dem Vorwort zeigen können: „In Wirklichkeit ist das Österreichische eine Varietät der deutschen Sprache – es steht gleichberechtigt neben dem deutschländischen Deutsch und dem schweizerischen Deutsch.“ (Seite 5) Von der irritierenden Kindheits-Erfahrung, dass man ausgelacht wird, wenn man hierzulande „Zwetschken“ statt „Zwetschgen“ schreibt und „Panier“ statt „Panade“ sagt, habe ich mich nie wirklich erholt. Ich hab’ mein persönliches Zwetschken-Trauma. ;-) Also, hört ihr? Gleichberechtigt sind die Varianten, gell?


    Lasst den Menschen ihre Mundart, ihre verschiedenen Begriffe und Schreibweisen! Würde man alles angleichen, einebnen und glattbügeln, würden die wundervollen alten und neuen, originellen und bildhaften Begriffe aus diesem Buch aussterben – und noch viele andere mehr. Und das wäre wirklich ein Jammer!


    Am Schluss des Buchs kann man noch ein kleines Sprachquiz absolvieren und testen, wieviel man bei der Lektüre gelernt hat. Reicht es zur Höchstpunktzahl und der Wertung „Du bist a Jass!“? Oder wenigstens zu „leiwand“, „klass“ oder „guat“? Oder outet man sich am Ende als Mundart-Depp und kassiert das Urteil „genier di!“? Das kommt auf einen Versuch an ...


    Der Autor
    Robert Sedlaczek, geboren in Wien, Studium der Germanistik, Anglistik und Publizistik, Dr. phil. Autor zahlreicher Bücher über die Sprache (u. a. »Das österreichische Deutsch«, »Wörterbuch des Wienerischen«, »Das unanständige Lexikon«) und zu kulturgeschichtlichen Themen (»Die Tante Jolesch und ihre Zeit. Eine Recherche«, »Die Kulturgeschichte des Tarockspiels «). Schreibt wöchentlich eine Sprachkolumne in der »Wiener Zeitung«. www.robertsedlaczek.at


    Der Illustrator
    Martin Czapka, geboren in Wien, Studium der Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien, Mag. rer. soc. oec. Seit 1976 selbstständig tätig als Grafiker, Designer und Illustrator. www.czapka.net

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

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