Joan Weng
Das Café unter den Linden
Aufbau Taschenbuch Juli 2017
304 Seiten
Inhalt
Berlin 1925: Auf der Suche nach einem neuen Leben verlässt die junge Fritzi die Provinz und kommt in die pulsierende Weltstadt. Ihr Traum ist es, Drehbuchautorin zu werden. Und im Café unter den Linden hofft sie, die richtigen Personen zu treffen, um ihm ein Stück näher zu kommen. Zunächst aber nimmt sie eine Anstellung als Tippfräulein an. Doch statt wie erhofft die Memoiren des Grafen von Keller zu schreiben, findet sie in seiner Grunewald-Villa die Künstler-Avantgarde Berlins versammelt. Fasziniert von ihrem bohèmehaften Leben, erobert Fritzi mit ihnen die Tanzlokale und Varietés (…).
(Quelle: abgetippt von Seite 2 des Buches und um eine irreführende Aussage gekürzt – da hatte der Klappentexter das Buch nicht aufmerksam gelesen)
Autorin
Joan Weng, geboren 1984, studierte Germanistik und Geschichte und promoviert über die Literatur der Weimarer Republik. Im Aufbau Taschenbuch sind ihre Romane „Noble Gesellschaft“, „Feine Leute“ und „Das Café unter den Linden“ lieferbar.
(Quelle: Homepage des Aufbau-Verlags)
Meine Meinung
„Das Café unter den Linden“ hat mir viel Spaß gemacht, zumal die Leserunde auch noch sehr nett von der Autorin begleitet wurde / wird.
Das Personal gefällt mir: die Guten sind nicht immer nur perfekt, die Bösen nicht immer nur ekelhaft, die auf den ersten Blick schrägsten Gestalten (z.B. Wlad und Rosa) entpuppen sich manchmal als erstaunlich normal - und umgekehrt. Vor allem die Hauptfigur Fritzi ist mir in ihrer Mischung aus Naivität, Tatendrang und spritzigen Ideen, die sie unverblümt äußert, sehr sympathisch. Ich finde es bei vielen Figuren schön gemacht, wie sie einerseits Fortschrittlichkeit und in anderen Belangen ganz konservative Ideen in sich vereinen, sich aber auch im Laufe der Handlung ändern dürfen – sie sind als Menschen im Prozess des Werdens dargestellt und keine starren, fertigen Pappfiguren.
Berlin in den Zwanzigerjahren, die Künstlerkolonie, die Welten des Films und der schreibenden Zünfte bilden ein spannendes Setting mit diesen auf verschiedene Weise verrückten Künstlern, mittendrin der mysteriöse Graf, und dem Gegensatz zwischen dem Landei Fritzi und den ganzen Flappers, zu denen sie sich gern dazumausern möchte und doch im Innern viel progressiver tickt als manche von ihnen, die sich modern geben, aber weiterhin von Männern abhängig bleiben.
Das ganze Buch ist frisch und gut lesbar geschrieben, v.a. die Dialoge finde ich spritzig und amüsant. Dabei finden die großen Fragen des Lebens genauso Platz wie die kleinen, und sei es der süße Trost durch Schokostückchen in Vanillepudding. Der Autorin gelingt es, immer wieder neu Spannung aufzubauen; am Schluss ist mir das Tempo der dramatischen Wendungen und ihrer dann doch recht schnellen Auflösung sogar ein bisschen zu hoch und ich hätte mir da ein langsameres Ausklingen gewünscht. Das hat das Lesevergnügen aber kaum beeinträchtigt.
Getrübt wurde es allerdings durch falsche Erwartungen, die im inneren Klappentext geschürt und dann nicht erfüllt werden, und durch ein bisschen zu viele (übersehene oder eingebaute) Fehler seitens des Korrektorats.
Ich bin schon sehr gespannt darauf, Hans und Fritzi in einem anderen Roman der Autorin wiederzutreffen, und würde mich auch über eine Fortsetzung vielleicht zehn Jahre später freuen, wo der historische Hintergrund der Dreißigerjahre nochmal ganz andere Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins eröffnen würde und das Ganze sicher etwas weniger umfassend happy-endig gestaltet werden könnte. Aber auch jede andere Fortsetzung würde von mir gelesen werden.
9 Eulenpunkte von mir.