Wär mein Klavier doch ein Pferd. Erzählungen aus den Niederlanden

  • Wär mein Klavier doch ein Pferd. Erzählungen aus den Niederlanden
    Hrsg. Doris Hermanns
    Verlag: edition fünf 2016. 200 Seiten
    ISBN-10: 3942374757
    ISBN-13: 978-3942374750. 19,90€


    Verlagstext
    Niederländische Erzählkunst von Elisabeth Augustin, Maria Dermoût, Esther Gerritsen, Sanneke van Hassel, Josepha Mendels, Marga Minco, Margriet de Moor, Ellen Ombre, Helga Ruebsamen, Annie M. G. Schmidt, Jill Stolk, Anneloes Timmerije, Manon Uphoff, Maartje Wortel.
    Lakonisch, direkt, mit einem klaren Blick für die Absurditäten des Lebens erzählen die Autorinnen aus dem Land an der Nordsee. Knapp und eigenwillig, aus oft schräger Perspektive richten sie den Blick auf das Persönliche, das immer auch geprägt ist durch die Historie: die nationalsozialistische Besatzungszeit und deren Nachbeben etwa oder das Verhältnis zu den ehemaligen Kolonien in Südostasien. Im Zentrum ihrer Geschichten stehen Schlüsselmomente der Kindheit, Brüche und Weichenstellungen im Erwachsenenleben, Dramen, die an den Grundfesten des Daseins rütteln.
    Die Nahaufnahmen aus über hundert Jahren niederländischer Literatur beleuchten höchst unterschiedliche Situationen – manchmal alltägliche, manchmal skurril-komische, manchmal tragische Momente – und haben doch einen gemeinsamen Tenor: Sie alle loten auf ihre Weise die Grenze zwischen dem Ich und der Außenwelt aus und fragen, wo die Wahrung des Eigenen in Intoleranz mündet. Das Bild, das sie dazu von unserem Nachbarland, den Niederlanden, zeichnen, ist uns vielleicht ähnlicher, als man auf den ersten Blick vermuten mag.


    Inhalt
    Von den 15 Nahaufnahmen aus dem Leben niederländischer Frauen waren 13 bisher noch nichts ins Deutsche übersetzt. Ausnahmen sind die Erzählungen Elisabeth Augustins und Margriet de Moors. Elisabeth Augustin als 1903 in Berlin geborene Emigrantin aus christlich-jüdischer Familie verkörpert beispielhaft die Brüche im Leben dieser Autorinnen, die teils in den ehemaligen niederländischen Kolonien geboren wurden und in ein ihnen fremdes Land zurückkehrten, oder die vor dem Nationalsozialismus flohen und im Zweiten Weltkrieg bei der Besetzung der Niederlande wieder von ihren Verfolgern eingeholt wurden. Drei der Erzählungen berichten von der Verfolgung von Juden während des Nationalsozialismus. Jill Stolk ist 1952 geboren und widmet ihre Kurzgeschichte Kindern, deren Eltern interniert waren und ihr Trauma an die nächste Generation weitergaben; auf verstörende Art durchlebt ihre Heldin an einem einzigen Tag in einem Ferienlager die Internierung ihres Vaters in einem Lager. Neben Margriet de Moor sind Helga Ruebsamen in Deutschland bekannt (Das Lied und die Wahrheit 1998) und Annie M. G. Schmidt als Kinderbuchautorin. Die älteste hier vertretene Autorin ist mit Jahrgang 1888 Maria Dermoût - geboren auf Java, die jüngste mit Jahrgang 1982 Maartje Wortel. Wortel zeigt eine Produzentin, die im Rahmen einer Dokumentarserie Frauenporträts dreht und eine Frau selbst erzählen lässt, die nach dem Krieg nach Kanada emigrierte. Außer Emigration und Kolonialismus (und der daraus entstehenden Begegnung unterschiedlicher Kulturen) werden das Anderssein und verschiedenste Grenzüberschreitungen thematisiert. Von konfessionsverschiedenen Ehen, über das Geheimnis um die Herkunft eines Kindes, die erste Begegnung einer Bauernfamilie mit Elektrifizierung in den 20er Jahren, einen Besuch im Hamam bis zum Tod eines Lehrers.


    Fazit
    Durch die Ichform und die biografischen Anteile der Texte erhält der Band thematisch eine besondere Geschlossenheit. Wie immer in der edition fünf ist das Buch bibliografisch sorgfältig bearbeitet mit Kurzbiografien der Autorinnen und Übersetzerinnen und einem informativen Nachwort der Herausgeberin, das auf die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden verweist, die gern einmal übersehen werden.


    10 von 10 Punkten