Der ideologische Wettstreit zwischen BRD und DDR zeitigte nicht selten Kurioses. Dem Westen bescherte er das Sandmännchen, dem Osten - den Western.
Die recht erfolgreichen Karl-May-Verfilmungen der frühen sechziger Jahre in der BRD ließen auch bei der DEFA den Gedanken an Filme aufkommen, die im Wilden Westen spielten. Den Gedanken umzusetzen war nicht leicht. Die Vorlagen hatte man nicht mehr, denn die Filmrechte an den Karl May-Büchern waren in den Westen verkauft worden. Gut angesehen war das Genre auch nicht, es brauchte schon Mut, Erfindungsreichtum und viel Energie, eine so wagemutige Idee umzusetzen. Aber, wie der spätere Star der DDR-Western, Goiko Mitic in einem Interview von 2003 schlicht erklärte: Man kann ja nicht immer bloß Filme über Partei-Sekretäte drehen. Außerdem sanken die Zuschauerzahlen in den Kinos rapide.
Geschichten zu finden war eigentlich nicht so schwer. Wer braucht Karl May, wenn er Liselotte Welskopf-Henrich hat? Ihr sechsbändiges berühmtes, hervorragend recherchiertes und spannend zu lesendes Epos über das Sterben der Dakota, 'Die Söhne der Großen Bärin' war ja da. Welskopf-Henrich (1901 - 1979) war noch dazu als Antifaschistin und Professorin für Alte Geschichte an der Humboldt-Universität quasi unangreifbar. Regiesseure und Kameramänner waren es nicht, weshalb man diese Stellen vorsorglich mit Leuten aus der Tschechoslowakei besetzte. Drehort war Jugoslawien.
Der erste Film, der den gleichen Titel trug wie die Buchvorlage, kam 1966 in die Kinos der DDR. (Erstaufführung 18. Februar).
Die Kritik war entsetzt. Ich habe diesen Film am vergangenen Wochenende im Kino gesehen und muß der Kritik recht geben. Dennoch: die ZuschauerInnen 1966 liebten ihn und auch sie haben recht. Er hat Atmosphäre, tolle Kameraschwenks, ausgezeichnet choreographiert Kampfszenen, wilde Ritte, böse Bösewichte und vor allem eins: die überzeugende Parteinahme für die Indianer. Ein Genre war geboren und ein Held: Tokei-ihto hatte die Leinwand erobert und mit ihm Goiko Mitic.
Die DEFA entschied nach dem Gefühl. Von nun an wurde jedes Jahr ein Indianerfilm gedreht und sie wurden besser und besser und besser. Die Erzeugnisse der 70er Jahre, um die sich DEFA-Regisseure, Kameraleute und SchauspielerInnen inzwischen rissen, halten mühelos dem Vergleich mit der internationalen Konkurrenz stand. Die westdeutschen Produkte lassen sie weit hinter sich.
Längst fand man eigene Geschichten in der Geschichte des Aufeinanderprallens der Indianer-Kulturen mit der der Weißen. Faszinierend ist die Vielfalt: es geht nicht nur um Dakota, sondern auch um Apachen, Seminolen, Sioux, Delaware....
Die Ausstattung ist von geradezu hingebungsvollen Liebe zum Detail geprägt, es gibt keine zwei - und dreimal gewendeten Kostüme oder Perücken und auch keine gewendeten Drehbücher.
Der dargestellte Zeitraum erstreckt sich vom Anfang des 19. Jahrhundert bis zu seinem Ende, bestimmte historische Ereignisse der Vertreibung und Ermordung der Indianer machen das jeweilige Thema immer genau lokalisierbar und damit greifbar. Hier gibt es keinen vagen 'Wild West' und Ritte in den Sonnenuntergang, keine elegisch in der Wüste stehenden Helden und Schmacht-Musik nur in geringen Dosen. Überhaupt zeichnen sich die Filme durch einen erfrischenden Mangel an Sentimentalität und große Worte aus. Es gibt auch keine platte Schwarz-Weiß-Malerei, man hält sich an die bekannten Fakten.
Einfach gehalten sind auch die Beziehungen, es gibt nur in den seltensten Fällen überhaupt ein love interest und mit 'interest' meine ich 'interest'. Entweder ist der Held schon verheiratet oder eine Schöne wirft ihm mal von Ferne einen indianisch (jugoslawisch-rumänisch-bulgarisch grusinisch) -verlockenden Blick zu. Das garantiert immerhin für die ZuschauerInnen, daß sich der Held auf das Wesentliche konzentrieren kann und daß er, wenn er die öffentliche Beziehungskrise, den Kampf mit dem Gegner, überstanden hat, nicht auf der Schwelle des heimischen Tipi gleich von der privaten Beziehungskrise überfallen wird. Die Sache mit dem Haupt - und Nebenwiderspruch ist hier dialektisch eindeutig gelöst.
Trotzdem sind die Filme ansehenswert. In der DDR wurden sie noch in den 60ern beim jährlichen Sommer-Filmfestival gezeigt, wo sie bis zu 12.000 Zuschauerinnen anlockten. Auch wenn man immer wieder versuchte, sie in die Jugendfilmecke zu stellen, kann man davon ausgehen, daß sie jeweils von bis zu 11 Mio ZuschauerInnen gesehen wurden.
Damit keine Zweifel aufkommen: sie gehen nie gut aus. Am Ende sie tot, die Bösewichte und der größte Teil der Indianer. Kämpfen lohnt sich, sagen die Filme, immer, aber der Kampf hat seinen Preis.
Ein knappes Dutzend der Filme war am Wochenende hier in Berlin anläßlich des 65. Geburtags von Gojko Mitic zu sehen. Ich habe es durch Zufall entdeckt, die Entscheidung fiel spontan. Der Besuch hat sich entschieden gelohnt. Die Reaktion im ferneren und näheren Bekanntenkreis auf meine Ankündigung, wie wir Samstag und Sonntag zu verbringen gedachten, reichte von einem amüsiert-entsetzten 'Ach, du Scheiße' (West) über eine sehr lebendige Beschreibung eines Beinahe-Ohnmachtsanfalls bei einer realen Begegnung mit dem Star ('der sah ja so guuuuuuuuuuuut aus' - Ost) und einem 'Rote Rothäute? Klingt voll geil' (West) zu einem tiefüberzeugten: BAHHH! Das Weichei!!! (Ost)
und zeigt, daß man sich auch 2005 über die real existierende Meinungsvielfalt in diesem unseren Lande keine Sorgen zu machen braucht.
Übrigens: Mitic spielt seit 1992 Winnetou in Bad Segeberg.
Ich wage nicht zu entscheiden, ob das ein Witz oder ein Zeichen für erfolgreiche Vereinigung ist.