Anna Fuchs: Der blaue Liebesknoten

  • Der blaue Liebesknoten: Hannerl ermittelt
    (von Anna Fuchs)


    Inhaltsangabe laut Klappentext bei Amazon:

    Zitat

    Wien 1384. Der Klosterköchin Johanna hat man den Wein weggesoffen, den sie dringend für ihren Essig benötigt. Ihr Grant verschlimmert sich, als ihr die Meisterin Nachhilfe in Frömmigkeit aufs Aug’ drückt. Wie unpassend, dass just jener Mönch, der sie unterrichtet, tot in der Küche liegt! Doch der Anschlag auf die Herzogsfamilie bringt das Fass zum Überlaufen - Hannerl wird als Giftmischerin zum Tode verurteilt! Helfen kann da nur mehr ein Wunder, von denen es in Wien ja Gott sei Dank genug gibt.


    Information zur Autorin laut Buchausgabe bei Amazon:

    Zitat

    Anna Fuchs wurde 1965 in St. Pölten, in Niederösterreich geboren. Ihre Jugendzeit verbrachte sie in Wien. Parallel zu ihrem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Romanistik arbeitete sie im Tourismus. Auch heute verteilt sie ihre Energien gleichmäßig: Hauptberuflich als Bibliothekarin und nebenbei als Fremdenführerin. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Wien.


    Persönlicher Eindruck zu diesem Buch:
    (Achtung: SPOILER)
    Das Buch ist die Fortsetzung zu "Das gelbe Hurentuch" und hat mir als Ganzes sogar besser gefallen als der erste Band. Wem "Das gelbe Hurentuch" gefallen hat, der bzw. die sollte der Fortsetzung eine Lesechance geben. Trotz einiger Anspielungen auf das erste Buch dürfte "Der blaue Liebesknoten" aber auch etwas für Leserinnen und Leser sein, die das erste Buch nicht gelesen haben.


    Im Gegensatz zum "Gelben Hurentuch" ist das Buch geschlossener, es fehlen z. B. nicht sehr geschickte gelöste Zeitsprünge. Die Handlung wirkt insgesamt stringenter. Allerdings gibt es Einschübe, denn wie im ersten Buch werden auch hier Gedanken einer Täterfigur präsentiert, wobei es sich dieses Mal um Rückblenden handelt.


    Außerdem gibt es einen Prolog, der viele Jahre früher spielt, und die Beisetzung von Kaiser Karl IV. zeigt. Hier wird ein Schlaglicht auf eine historische Figur geworfen, die im Roman so etwas wie das passive Zentrum gewisser machtpolitischer Intrigen ist.

    Die ambivalente Darstellung dieser Figur hat mir sehr gut gefallen. Anna Fuchs verzichtet auf die Deutungshoheit und wagt stattdessen eine subtile Annäherung. Ihre Leserinnen und Leser dürfen selbst entscheiden, was von diesem Herrn zu halten ist.


    Ein weiterer Prolog setzt (gräßliche) Akzente für die weitere Handlung, denn hier wird das Leben eines jungen Mannes zerstört, der mit seinem Bruder einen Mächtigen in die Quere gekommen ist. Gleichzeitig zeigt diese Szene auch, dass es nicht nur die unteren Schichten sind, die "Freiwild" sind. Interessant ist jedoch die Form, mit der Anna Fuchs hier die Gewalt zeigt, die dem Opfer (der junge Mann wird sich davon auch nicht mehr erholen, wie seine späteren Auftritte im Buch zeigen) angetan wurde. Alles geschieht hinter der Szene, Details werden nicht gezeigt, das Geschehen erfahren wir, die Leserinnen und Leser, nur durch den Dialog zwischen dem Bruder und einem anderen Gefangenen, doch auch in diesem wird das, was da geschieht, nicht direkt angesprochen. Die Folgen freilich, die werden dann so nebenbei gezeigt, und dies durchaus eindringlich. Sie betreffen nicht nur das Opfer, sondern auch den Vater und den Bruder, wobei es nicht nur um die Betreuung, sondern auch um Schuldgefühle geht. Dass der Bruder indirekte Racheversuche an einem früheren Freund seines Vaters wagt, gegen den er aber nicht wirklich etwas ausrichten kann, erweist sich als verhängnisvoll. Als er dann eine junge, hübsche Bademagd kennenlernt und mit dieser eine Beziehung hat, scheint es, dass ihm endlich einmal auch etwas Gutes zustößt ...


    Auch in der weiteren Handlung fällt auf, dass tatsächliche Gewalt nicht direkt gezeigt wird. Der Blick auf die Tat selbst wird uns Leserinnen und Lesern verwehrt. Was dafür gezeigt wird, sind die Auswirkungen für die Opfer, die davon dauerhaft gezeichnet bleiben, selbst wenn sie es schaffen, mit dem, was war, weiterzuleben oder es verdrängen bzw. sich zurecht biegen.


    Hinzu kommt auch noch die Reaktionen der Umwelt.


    In diesen Szenen scheint sich dann doch einmal zu bestätigen, dass sich die Menschen trotz unterschiedlicher Gesellschaften nicht geändert haben, ist doch das Mittelalter, das Anna Fuchs zeigt, zur Abwechslung kein "Gegenwart-Mittelalter".


    Allerdings ist eine solche subtile Beschreibung von Gewalt, Leid und Verbrechen für den Buchmarkt des 21. Jahrhunderts eher unüblich. Das mittelalterliche Wien der Anna Fuchs ist keine heile Welt, wo die taffe Heldin zwar eine Menge Gewalt (darunter mindestens eine Vergewaltigung) erleiden muss (die auch ausführlich gezeigt wird), aber dafür am Schluss doch für ihr Leiden Belohnung erfährt und trotz schlimmer Erfahrungen als schöne, heile Frau in die glückliche Zukunft schreitet. (Bis mit der Fortsetzung diese ein wenig aufgeschoben wird.)


    Im "blauen Liebesknoten" dagegen gibt es nur den einen oder anderen tröstlichen Lichtblick und vielleicht auch die eine oder andere menschliche Beziehung, die sich letztlich als wirkliche Freundschaft erweist. Dabei gibt sich das Buch, das in den Szene um Hannerl und vor allem, wenn es um die unteren Schichten geht (hier wird in den Dialogen auch ein zum Teil recht derber Dialekt eingesetzt), lustig und oft sehr deftig. Aber Lachen ist hier auch der einzige Ausweg.


    Hannerl bildet zwar im Buch so etwas wie das Zentrum, worauf auch das Personenverzeichnis Bezug nimmt, gezeigt wird allerdings ein sehr vielschichtiges Stadtpanoptikum, das von Landesfürsten, denen nicht zu trauen ist, auch wenn sie ganz leutselig sein können, intriganten Hofbeamten und solche, die doch nicht ganz so schlimm sind, Händlern und Apothekern, freien Töchter der Stadt Wien (Huren) (einer von ihnen ist immerhin der Aufstieg zur "Hurenwirtin" gelungen) sowie Bauhütte und Universität besiedelt wird. Dazu kommen noch Figuren von außen, die es in die Stadt verschlägt, ein Student, der sich mit Humor und scheinbarem Gleichmut durchschlägt, ein dicker Mönch, der in seiner Malerei aufgeht und nebenbei ganz naiv, einem Hund zweimal rettet und ein junger Baumeister, der eigentlich nichts dafür kann, dass er als Sohn vom Parler, einem anderen, der den Wettbewerb gewonnen hat, die Arbeit wegnimmt. Und auch im gar nicht so fernen Prag werden die Intrigen gesponnen, die manchmal allerdings auch ein groteske Ende nehmen.
    Bei aller Komik und Derbheit ist dieser Roman insgesamt düsterer als "Das gelbe Hurentuch" und wohl auch ambitionierter.



    Was mich auch sehr beeindruckt hat, war der Umstand, dass hier nicht nur die Datumsangaben nach den Heiligen erfolgen, was inzwischen in vielen Büchern, die im Mittelalter oder in der früheren Neuzeit spielen, üblich ist, sondern "Der blaue Liebesknoten" ist auch das erste Buch, bei dem für mich nachvollziehbar war, dass diese Heiligen den Menschen damals auch so etwas wie eine zeitliche Orientierung gaben.


    Weiter beeindruckend ist der Aufbau des Buches, der unaufdringlich, aber gekonnt mit Symbolik arbeitet, und dadurch eine bemerkenswerte und eindringliche Dichte hat, etwas, das seit dem 20. Jahrhundert und gerade im 21. Jahrhundert leider am Buchmarkt kaum mehr zu finden ist. Der Handlungszeitraum, der sich über ein Jahr erstreckt, die Platzierung der entscheidenden Wendepunkte und verschiedene weitere Motive geben dem Buch eine schöne und wirkungsvolle Struktur.


    Dazu zwei Beispiele:
    Achtung SPOILER
    - die Weinmetapher:


    - Die Idylle, die im Frühjahr in der Küche von St. Hieronymus um den Priester Lenz (Wenzeslaus) entstehen kann,


    Ob der Klappentext zu viel verrät, hängt wohl von der Leserin oder vom Leser ab. Für mich hat er selbst war er durchaus akzeptabel, da ich beim Lesen mit diesem Vorwissen, eine ganz andere Art der Spannung erlebt habe: es ging mir z. B. nicht um die Frage, ob Hannerl überlebt

    , sondern die Spannung lag auf dem wie: Wie ist sie in diese Lage geraten, wie ist die Rettung ...


    Wer historische Romane in erster Linie nur liest, um sich zu bilden, bekommt hier als Zuckerl übrigens einige nette Extras: eine Skizze mit den wichtigsten Orten, einige Anmerkungen zum historischen Hintergrund und eine Liste mit ausgezeichneter Fachliteratur.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

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