Simon Strauß: Sieben Nächte
Verlag: Blumenbar 8.7.2017. 144 Seiten
ISBN-10: 3351050410
ISBN-13: 978-3351050412. 16€
Verlagstext
Schließt die Augen und zerbrecht das Glas
Es ist Nacht, ein junger Mann sitzt am Tisch und schreibt. Er hat Angst. Davor, sich entscheiden zu müssen. Für eine Frau, einen Freundeskreis, einen Urlaubsort im Jahr. Er hat Angst, dass ihm das Gefühl abhandenkommt. Dass er erwachsen wird. Doch ein Bekannter hat ihm ein Angebot gemacht: Sieben Mal um sieben Uhr soll er einer der sieben Todsünden begegnen. Er muss gierig, hochmütig und wollüstig sein, sich von einem Hochhaus stürzen, den Glauben und jedes Maß verlieren. Sieben Nächte ist ein Streifzug durch die Stadt, eine Reifeprüfung, die vor zu viel Reife schützen soll, ein letztes Aufbäumen im Windschatten der Jugend.
Simon Strauß erzählt von einem jungen Mann an der Schwelle, der alles aufbringt, um sich Gewohnheit und Tristesse zu verwehren. Er muss gierig, hochmütig und faul sein, neiden und wüten, Völlerei und Wollust treiben. Sich dem Leben preisgeben, um sich die Empfindung zu erhalten. Im Schutze der Nacht entwickelt er aus der Erfahrung der sieben Todsünden die Konturen einer besseren Welt, eines intensiveren Lebens.
»Simon Strauß erzählt von einem, der auszog, um die ewige Jugend zu suchen – und schreibt ein Buch, das so klug und berührend ist, dass man ihm auf der Stelle folgen will.« Theresia Enzensberger
»Was für ein leidenschaftliches, angstfreies, traditionstrunkenes, zukunftsgieriges Kampfbuch gegen die Abgeklärtheit. Gegen die Müdigkeit der In-Spuren-Geher. Der Lebenswiederholer. Ein Pamphlet für die Offenheit der Herzen!« Volker Weidermann
Der Autor
Simon Strauß, geboren 1988 in Berlin, studierte Altertumswissenschaften und Geschichte in Basel, Poitiers und Cambridge. Hospitanzen und eine Gastdramaturgie am Theater. Mitorganisator des Jungen Salons in Berlin. 2017 promovierte er an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer althistorischen Arbeit über »Konzeptionen römischer Gesellschaft bei Theodor Mommsen und Matthias Gelzer«. Er lebt in Frankfurt, ist Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Inhalt
An der Schwelle zum dritten Lebensjahrzehnt muss sich der namenlose junge Icherzähler keinen sonderbaren Riten seiner Clique unterwerfen. Nur eine Person stellt Forderungen an ihn. In sieben Nächten soll er jeweils eine der sieben Todsünden begehen und anschließend darüber schreiben. Bisher war der Icherzähler vermutlich so durch sein Leben gerutscht, ohne sich festzulegen. Mit 30 wird von ihm schon bald Karriere und Familiengründung erwartet. Auch wenn der Erzähler seine Eigenheiten bewusst und selbstkritisch analysiert, wirkt sein Leben wie eine leere Comic-Blase, die erst noch gefüllt werden muss. Einziger Fixpunkt darin war 2011 sein 18. Geburtstag, zu dem in Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft wurde. Allein aus diesem Übergang ins Erwachsenenalter, von nun an ohne Prüfung des eigenen Standpunkts gegenüber dem Wehrdienst, könnte ein Roman mit hunderten von Seiten entstehen. Dem Erzähler fehlt ohne die Wahl zwischen Dienen oder Verweigern ein Initiationsritus, die Auseinandersetzung mit den Kriegserfahrungen von Vater und Großvater, mit denen er sich zuvor hätte befassen müssen, um vor der Prüfungskommission seine Einstellung aufzublättern.
Hochmut, Völlerei, Faulheit, Geiz/Habgier, Neid/Missgunst, Wollust und Jähzorn – es scheint mehr verachtenswerte Eigenschaften zu geben, als in die Liste der sieben Todsünden aufgenommen wurden. Kindliche Größenfantasien, dass die Welt ihn dringend braucht, entstehen in einer dieser Nächte, mit dem Wunsch konkurrierend, sich in Bartleby’scher Manier vor den Anforderungen der Gemeinschaft zu drücken. Das Kapitel über die Faulheit zeigt sich als entlarvende Analyse einer schnelllebigen Gesellschaft, in der Dienstleistungen zwar nachgefragt, aber nicht mehr freiwillig für die Gemeinschaft geleistet werden. Der Neid auf die vorhergehenden Generationen verwundert nicht, von denen eine stolz auf ihre Aufbauleistung nach dem Zweiten Weltkrieg blicken konnte und die folgende gegen den Muff unter den Talaren aufmuckte. Für die Enkel blieben keine Feinde, die zu hassen, keine Umstürze, die zu planen waren. Das Abarbeiten der Sündenliste, mit der der junge Erzähler sich für den Übergang qualifizieren soll, geschieht in wachsender Angst davor, abgehängt zu werden von Altersgenossen, die beruflich und privat ein flotteres Tempo vorlegen, als er sich für sein nächstes Lebensjahrzehnt vorstellen kann.
Fazit
Die Überhöhung der Schwelle zum 30. Lebensjahr durch die, die den Übergang noch vor sich haben, stellt Simon Strauß im Roman seiner Generation meisterhaft und glaubwürdig dar. Je nachdem, ob man selbst die dritte Null noch vor sich oder schon hinter sich hat, überwiegen tragische oder komische Anteile.
9 von 10 Punkten