Jessica J. Lee: Mein Jahr im Wasser. Tagebuch einer Schwimmerin
Berlin Verlag 2017. 336 Seiten
ISBN-10: 3827013348
ISBN-13: 978-3827013347. 18,00€
Originaltitel: Turning. A swimming memoir
Übersetzer: Nina Frey/Hans-Christian Oeser
Verlagstext
Niemals hätte Jessica J. Lee gedacht, dass ausgerechnet die Seen rund um die deutsche Hauptstadt ihrem Leben eine neue Wendung geben würden. Geboren und aufgewachsen in Kanada, hat sie später viele Jahre in England verbracht. Berlin mutet ihr zunächst unwirtlich an. Als Lichtblick erscheinen ihr die unzähligen Seen rund um die Stadt. Und die passionierte Schwimmerin beschließt: 52 der über 3000 im Brandenburger Land versteckten Gewässer wird sie im Laufe eines Jahres testen – ganz egal, ob die Augusthitze über dem Nymphensee brütet oder die klirrende Kälte den Schlachtensee gefrieren lässt … Mit zarter Lakonie erzählt »Mein Jahr im Wasser« von Verlorenheit und Fremdheit, von frühen Verletzungen und kindlichen Ängsten, aber auch von seidig-klarem Wasser auf der Haut und der meditativen Wirkung, die das Schwimmen in offenen Gewässern haben kann. Am Ende lösen sich nicht alle Probleme, aber es wächst ein Gefühl von Zuhause quer über alle Kontinente hinweg.
Die Autorin
Jessica J. Lee, geboren 1986 in Ontario (Kanada), hat Umweltgeschichte studiert und in diesem Fach auch promoviert. Anlässlich ihrer Doktorarbeit über die berühmte Londoner Hampstead Heath betrieb sie ausgedehnte Feldforschungen und entdeckte bei den Winterschwimmerinnen im Park ihre eigene Passion für das eiskalte Wasser. Die kanadisch-britische Autorin lebt und schwimmt seit 2014 in Berlin.
Inhalt
Die Autorin Jessica J. Lee hat in London in Umweltgeschichte über die Verwandlung der Hampstead Heath in eine Waldlandschaft promoviert und gelangte dort in Kontakt zu den Schwimmerinnen vom Ladies Point. Ein Forschungsstipendium führte Lee nach Berlin, wo sie auf der Suche nach sich selbst beschloss, in 52 Wochen in 52 Seen in Berlin und Brandenburg zu schwimmen. Die Zahl ist als Mittelwert zu verstehen, in den Sommermonaten waren es mehr Begegnungen mit fremden Gewässern als im Winter. Die angeschwommenen Seen liegen um Berlin, Potsdam, Wandlitz und Köngis Wusterhausen herum. Unterwegs ist Lee mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Rad und zu Fuß. Zwischen Toronto, London und Berlin und nach einer gescheiterten Ehe wirkt die Autorin anfangs entwurzelt, sie kämpft auch spürbar gegen wiederkehrende Ängste vor dem unbekannten Gewässer oder vor unerfreulichen Begegnungen mit Fremden. Ihre Ängste zeigen sich z. B. in der spontanen Frage, wie ein See sicher sein kann, wenn dort gerade keine Menschen zu sehen sind, oder wo im Wasser Schwermetallablagerungen von Kraftwerken zu finden sind. Ab und zu wird sie auf ihren Erkundungen der Brandenburger Seenlandschaft von Freunden begleitet. Lee ist Kind von Einwanderern nach Kanada, ihr Vater stammt aus Wales, ihre Mutter aus Taiwan. Wichtig zu wissen, dass sie als Kind Schwimmen lernte (lernen sollte?), weil ihre Eltern es nicht konnten und wollten, dass ihre Töchter es einmal besser haben. Jessica Lee schwamm als Kind eine Weile im Verein und in jener Zeit in Schwimmhallen. Als Wissenschaftlerin hat sie zu ihrem Projekt limnologische Fachliteratur gewälzt, aber auch Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg und John von Düffels Bücher gelesen. Trotz seines ernsten Tons und des üppigen Quellenverzeichnisses habe ich Lees Projekt des Slow Tourism an keiner Stelle wie aus dem Elfenbeinturm verfasst erlebt. Eher ist es eine sinnliche Begegnung mit einer durch die Eiszeit und den Braunkohlenabbau des Menschen geprägten Landschaft, bei der ich glaubte, der märkische Sand würde zwischen meinen Zehen hervor rieseln. Sehr sympathisch wirkt Lees Beschäftigung mit der deutschen Geschichte, dem Zweiten Weltkrieg und der deutschen Teilung. Dass sie sich einige Male exakt dort befindet, wo früher die Mauer verlief und die Menschen eben lange nicht schwimmen durften, dessen war sie sich bewusst.
Fazit
Am Ende ihrer 52 Wochen in Berliner und Brandenburger Seen hat Jessica Lee sich aus ihrem alten Leben buchstäblich freigeschwommen, ihre Leser nicht gelangweilt und die Übersetzer Nina Frey/Hans-Christian Oeser haben diesem persönlichen Text mit regionalem Bezug eine runde, authentische Sprache gegeben.
9 von 10 Punkten