Birgit Erwin / Ulrich Buchhorn - Die Herren von Buchhorn

  • Die Herren von Buchhorn
    (publ. 2008, 2. Aufl. 2013)


    Zur Handlung lt. Klappentext bzw. Amazon:
    Anfang des 10. Jahrhunderts beherrschen die Grafen von Buchhorn weite Gebiete des Bodenseeraums. Ihr Sitz befindet sich in Buchhorn, dem heutigen Friedrichshafen. Ihre Geschichte ist geprägt von Kriegen und Machtkämpfen.Vor vier Jahren ist Wendelgard, Gräfin von Buchhorn, in das Kloster St. Gallen eingetreten, nachdem ihr Ehemann auf dem Schlachtfeld für tot erklärt worden war. Doch der grausame Mord an ihrem ehemaligen Diener lässt ihren gerade gewonnenen Seelenfrieden wie ein Kartenhaus zusammenstürzen. Und offenbar gibt es Mächte, die ganz und gar nicht davon begeistert sind, dass die junge Frau in ihre alte Heimat Buchhorn zurückkehren möchte.Auch Gerald, der Sohn des Ermordeten, wird gezwungen sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Als Schmied hat er sich im fernen Bregenz eine Existenz aufgebaut, nun sieht er sich in die Geschicke der Mächtigen hineingerissen. Eine wertvolle Brosche, ein weiser Bischof und eine blonde Magd lenken sein Schicksal in eine neue Richtung.


    Das Autorenduo (Information lt. Angabe bei Amazon)
    "Birgit Erwin", geboren 1974, hat Anglistik und Germanistik in Heidelberg und Southhampton studiert und lebt heute als Gymnasiallehrerin in Karlsruhe. Sie hat mehrere Romane sowie zahlreiche Kurzgeschichten unterschiedlicher Genres veröffentlicht. "Ulrich Buchhorn", Jahrgang 1961, lebt in Heidelberg. Der Althistoriker unterrichtet Latein und ist Autor von Kriminalkurzgeschichten, die in verschiedenen Anthologien erschienen sind...


    Persönlicher erster Eindruck (eher spoilerfrei):
    Eigentlich ist der Gmeiner-Verlag einer jener Verlage, deren Buchsortiment sich zwar durch Quantität auszeichnet, aber die meisten Bücher, die dort erschienen sind, erfüllen leider nicht einmal die Mindestansprüche, die ich an einen guten Trivial- oder Schundroman stelle. Auf gelungene Unterhaltungsromane darf da gar nicht mehr gehofft werden.


    Umso größer die Überraschung und auch die Freude, wenn dort plötzlich durch Zufall ein Buch oder sogar mehrere Bücher auftauchen, die gelungen sind und bei denen das Lesen wirklich wieder einmal Spaß macht. Wobei es mich nachdenklich stimmt, dass ich auf solche Bücher immer nur durch Zufall stoße und dass diese Bücher kaum Beachtung finden.


    Die "Herren von Buchhorn" entführen also in das Jahr 919 und an den Bodensee. Schwimmen kann kaum jemand, Friedrichshafen ist noch Buchhorn und außer dem Bischof von Konstanz, der sein eigenes Boot hat, was er durchaus zu seinem Vorteil einzusetzen weiß, und ein paar Fischern, sind die übrigen Figuren, wenn sie von Buchhorn nach Konstanz wollen, gezwungen, den Weg über Bregenz zu nehmen, einer der wenigen Orte, die es damals schon gab. Gut, einen Wagen oder ein Pferd zu haben. Hinzu kommen noch Bedrohungen, einerseits durch die Ungarn im Osten, gegen die eher erfolglos Krieg geführt wird, und andererseits durch die politischen Verhältnissen, die zurzeit instabil sind. Heinrich der Vogler ist zwar schon zum westfränkischen König gewählt worden, aber dass er einmal als Heinrich I. die Dynastie der Ottonen begründen wird und sein Sohn Otto I. den Beinamen der Große bekommt, das können unsere Protagonisten, selbst der historisch belegte Bischof Salomon von Konstanz noch nicht wissen.


    Die Welt ist recht einfach, es gibt nicht allzu viele Berufe, in Buchhorn kennt jeder jeden, wenn jemand dort Ärger kriegt, reicht es, sich in das für die damalige Zeit noch "ferne" Bregenz abzusetzen, wo es zumindest schon eine etwas reichhaltigere "Infrastruktur" wie eben mehrere Wirtshäuser und ein Badehaus gibt. In Buchhorn dagegen gibt es nur ein Wirtshaus ..., insgesamt wirkt diese "frühmittelalterliche" Welt um den Bodensee, die das Autorenduo mit viel Liebe und plastischen Details gestaltet, sehr authentisch.


    Die Handlung ist durch eine Chronik, die über diese Zeit berichtet, aber erst später verfasst wurde, angeregt, wobei der Kriminalplot durchaus schlüssig in die überlieferten Fakten der Quelle eingebaut ist und aus diesen eine Geschichte entwickelt wurde, von der vorstellbar ist, dass sie sich so mehr oder weniger abgespielt haben könnte. Diese Geschichte hat wiederum alles, was einen guten Roman ausmacht:
    - glaubwürdige Figuren, ob historisch belegt oder fiktiv, ist da nicht mehr wichtig,
    - eine spannende Handlung, wobei der Kriminalfall letztlich einen ganzen Strang krimineller Aktionen bündelt.


    Schon der Beginn hat mich positiv überrascht, wenn sich das Autorenduo erst einmal die Zeit nimmt, uns den Schmied in Buchhorn und seine Ehefrau (die Eltern von dem im Klappentext erwähnten Gerald) näher vorzustellen, in dem einige Alltagsszenen geschildert werden, ehe es nach Bregenz geht und wir, Leserinnen und Leser, so das seit vielen Jahren glücklich verheiratete alte Paar näher kennen lernen dürfen. Und umso verstörender ist es, wenn beide noch im Anfangskapitel umgebracht werden, so dass einem der Tod der beiden sympathisch gezeichneten Figuren, die wir doch eben kennen lernen durften, tatsächlich nahe geht. So mag es uns sogar ein großes Anliegen sein, dass ihr Tod aufgeklärt und natürlich gerächt wird, und es fällt auch nicht schwer, sich mit Gerald, dem Sohn des Paares, zu identifizieren. Aber einfach wird es uns nicht gemacht, nicht nur, weil der Kriminalfall kompliziert ist, sondern auch, weil die Schuldfrage nach der Verantwortung dieses Verbrechens letztlich kompliziert ist, was sich noch auf die beiden Fortsetzungen auswirkt.
    SPOILER ACHTUNG!


    Und Gerald ist noch eine Figur, die eine Menge zu lernen und zu bewältigen hat, aber gerade das macht ihn zu einem interessanten Protagonisten.


    Überhaupt sind die meisten Figuren mit viel Liebe gezeichnet, und sie wirken erfrischend normal. Ein gutes Beispiel dafür ist die blonde Magd, Friedrun, die nicht nur auf bessere Verhältnisse hofft, als sie von Bregenz nach Buchhorn aufbricht, um beim dortigen Wirt Hannes Arbeit zu finden, sondern wohl auch durch persönliches Interesse an Gerald dazu motiviert ist. Friedrun mag (zumindest für Wulfhard in den Folgebüchern) eine herzensgute Person sein, dennoch ist sie weder Heilige, Hebamme oder (Wander-)Hure, sondern einfach nur eine bodenständige und tatkräftige junge Frau, die seit frühster Jugend gezwungen war, sich selbst durchzubringen. Ihre medizinischen Kenntnisse sind nicht außergewöhnlich, aber notwendig in einer Zeit, wo eben der Arzt noch nicht zur Dorf- bzw. Stadtgesellschaft gehört hat.


    Der Kriminalfall hat es zwar in sich, doch ist die typische Form eines Mittelalterkrimis hier nur ansatzweise vorhanden, wobei allerdings auch den damaligen Begebenheiten Rechnung getragen wird. Dass Gerald den Tod seiner Eltern aufklären will, ist nachvollziehbar, aber das ist seine private Sache. Erst spät wird ein Ermittler ganz offiziell mit der Aufklärung beauftragt, und dies wird als eine Ausnahmesituation vorgeführt.


    Zur Authenzität der beschriebenen Zeit trägt auch bei, dass Kirche und Religion hier nicht weggelassen oder negativ besetzt sind. Der Bischof, der sich doch sehr für weltliche Dinge interessiert, allerdings ist er eben nicht nur Geistlicher, sondern als Fürstbischof auch in einer politischen Position, ist eine sympathische Figur, ein unscheinbarer Mönch, der nur kurz vorkommt, erweist sich als ganz gerissen, wenn es gilt, dafür zu sorgen, dass gegen die Klosterregel miteinander kommuniziert wird, und auch klösterliche Einrichtungen wie z. B. Inklusiventum der historisch belegten Wiborada werden zumindest nicht lächerlich gemacht, sondern als Lebensform ernst genommen, auch wenn sie nicht für jeden etwas sein dürften und nicht unproblematisch sind.


    Fazit:
    "Die Herren von Buchhorn" sind ein guter Roman, der auch als historischer Roman überzeugt und auch als Kriminalroman, solange kein klassischer Whodunit erwartet wird.


    Noch besser sind allerdings die beiden Fortsetzungen:
    - Die Gauklerin von Buchhorn (trotz eines problematischen Buchtitels)
    - Die Reliquie von Buchhorn


    Dies nicht zuletzt, da die Figuren dort weiterentwickelt werden, die Geschichte zudem aber logisch auf dem Vorgängerband aufbaut. Das Lesen in der chronologischen Reihenfolge ist zu empfehlen (wegen gewisser Details), allerdings kommt auch mit, wenn man es nicht tut.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

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