Schreibwettbewerb Juni - August 2017 - Thema: "Rituale"

  • Thema Juni - August 2017:


    "Rituale"


    Vom 01. Juni bis 31. Juli 2017 - 18:00 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb Juni/August 2017 zu o.g. Thema per Email an schreibwettbewerb@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 1. August eingestellt. Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!



    Achtung: Achtet bitte auf die Änderungen! Annahmeschluß ist ab sofort immer am Monatsletzten um 18:00 Uhr und die e-mail Adresse hat sich wie folgt geändert - schreibwettbewerb@buechereule.de

  • von Serendipity8



    Tonio öffnet die Haustür. Heute ist das Wetter zum Glück wieder etwas kühler. Gestern war es so heiß gewesen, dass er sich nicht sicher war, was er anziehen konnte, um nicht zu wenig zu tragen – so cool wie die Basketballspieler in ihren Sport-Tops war er nicht – und nicht zu viel zu tragen und durch Schwitzen aufzufallen. Heute trug er ein schwarzes T-Shirt und eine blaue Jeans. Bloß nicht auffallen. Er lief bis zur Ampel an der Hauptstraße und dann direkt nach rechts und zur Bushaltestelle. Dort angekommen stellte er sich genau vier Meter neben das Haltestellenschild. Dann drehte er den Kopf nach links und beobachtete die Kurve, bis der Bus dort erschien. Es würde noch zehn Minuten dauern, aber Tonio war lieber zu früh an der Bushaltestelle. Die Frau mit dem kleinen Pudel, die jeden Morgen genau zwei Stationen mitfuhr, war heute etwas später dran. Der Mann mit dem Aktenkoffer saß schon auf der Parkbank. Jetzt fehlte nur noch die junge Frau, die bis zur Berufsschule mitfuhr. Tonio hatte sich genau gemerkt, wer immer mit ihm Bus fuhr und wusste, wo die Personen bevorzugt saßen. Nach weiteren zwei Minuten waren alle aufgetaucht und warteten neben Tonio. Lediglich die ältere Frau mit einem Gehstock, die heute neben dem Anzugsmann auf der Bank wartete, war sonst nicht dabei. Plötzlich hörte er laute Kinderstimmen. Am Ende der Straße war eine Grundschulklasse aufgetaucht und lief in Zweierreihen auf die Haltestelle zu. Tonios Herzschlag wurde schneller. Eine Kindergartengruppe hat zwischen 20 und 30 Kindern. Der Bus hatte um diese Zeit etwa noch 17 freie Plätze. Das würde alles durcheinander bringen. Wo würde sich dann der Mann mit dem Aktenkoffer hinsetzen? Würde Tonio seinen Platz bekommen? Je näher die Kinder kamen, desto mehr steigerte sich Tonios Panik. Doch an der Ampel hielt die Gruppe an und überquerte die Straße. Tonio atmete tief durch. Heute würde alles genau wie immer sein. Als der Bus näher kam, wurde Tonio übel. Erst nach ein paar Sekunden registrierte sein Gehirn, warum. Normalerweise fuhr ein älterer, freundlicher Iraner den 8 Uhr Bus am Mittwoch. Heute saß ein jüngerer hinter dem Lenkrad, den Tonio noch nie gesehen hatte. Schon tauchte das nächste Problem auf. Der Bus hielt nicht genau vor Tonios Füßen, sondern einen Meter weiter vorne. Er versuchte, als erster einzusteigen, doch eine ältere Frau stand näher an der Tür. Er schaffte es nicht und musste sie vorlassen. Sein Puls stieg. Seine Atmung wurde schneller. Die Frau kaufte eine Karte und suchte Kleingeld. Tonio blickte sich nervös um. Er konnte sich nicht an der Frau vorbeiquetschen. Nach sich endlos anfühlenden Sekunden ging sie endlich weiter und Tonio ging schnell durch den Gang bis ganz nach hinten. Hoffentlich hatte alles geklappt. Dann erblickte er seinen besten und einzigen Freund Micha, der in der zweitletzten Reihe links saß und ihm einen Platz freigehalten hatte. Genau wie immer. Tonios Atem beruhigte sich. Er gab ihm die linke Hand und setzte sich dann an den Fensterplatz. Genau wie immer.

  • von polli



    Sie trat ins Freie und blinzelte in die Sonne. Vor ihr lag der Pfad. Er war schmal und führte einmal um die Insel herum. Andere Wege ging sie selten. Sie räkelte sich, dann begann sie zögernd ihren Rundgang.
    Ihr Blick streifte die steinige Böschung, das dunkle Wasser. Wie immer. Ob dieses Mal etwas passieren würde? Das Leben auf der Insel war langweilig. Sie sehnte sich nach Abenteuern, nach Begegnungen mit geheimnisvollen Fremden.
    Das entfernte Grollen zweier Raubkatzen erinnerte sie daran, wo sie war. Sie beschloss wachsam zu bleiben. Aufmerksam verfolgte sie die Windungen des Pfades.


    Da – hinter dem hochgewachsenen Gras – schimmerte etwas Helles. Sie hielt den Atem an. Sacht schob sie die Halme auseinander und griff zu. Es war ein Kästchen. Vorsichtig hob sie es an ihr Ohr, schüttelte es sanft. Ein leises Geräusch im Inneren. Voll.
    Ihre Neugier wuchs. Bruno hatte immer lustige Einfälle. Letztes Mal hatte er ihre Mahlzeit nicht ins Haus gebracht, sondern einen Weidenkorb in den Kastanienbaum gehängt. Er hatte sich versteckt und gelacht, als es ihr gelungen war, sich den Korb zu angeln. Sie hatte ihn gern, nicht nur, weil er sie jeden Tag ihrer Gefangenschaft mit Essen versorgte. Wie erreichte er eigentlich unbemerkt die Insel?
    Egal. Die Neugier war stärker. Sie schlug mit der flachen Hand auf das Kästchen, schüttelte es kräftig hin und her. Öffnen, öffnen. Brunos Späße zwangen sie immer zu überlegen. Öffnen.


    Eine Ameise krabbelte heran. Sie zerdrückte das Tier mit dem Daumen und leckte ihn ab. Säuerlich.
    Öffnen. Öffnen, schließen.
    Genau, sie musste den Schlüssel suchen. Aber wo? Im Kastanienbaum? Nein.
    Wo hatte er neulich das Obst versteckt? Ach ja, hinter dem morschen Baumstumpf nahe der Böschung. Leicht zu finden, sie war einfach dem süßlichen Duft der Birnen- und Bananenstücke gefolgt.


    Schlüssel, Schlüssel. Schloss. Ja – das war es! Sie sprang auf. Der Schlüssel steckt im Schloss, das Schloss ist in der Tür. Aufgeregt ließ sie das Kästchen fallen. Mit schnellen Schritten hastete sie zum Haus zurück. Richtig, die Tür stand offen, ein unbekannter kleiner Schlüssel steckte im Schloss. Mit einem eleganten Pinzettengriff zog sie ihn heraus. Geschafft!
    Die Zuschauer applaudierten. Meist gelang es ihr, die Menschen auf der anderen Seite des Wassergrabens zu ignorieren, doch dieses Mal genoss sie ihre Bewunderung. Sie kehrte mit hüpfenden Schritten zum Fundort des Kästchens zurück. War Bruno in der Nähe? Sie sah sich um, kratzte sich, zog eine Grimasse.


    Es fiel ihr schwer, das Kästchen aufzuschließen. Sie rutschte mehrmals mit dem Schlüssel ab. Zuletzt hielt sie ihn so fest, dass ihre Hand schmerzte, und nun gelang es ihr, den Schlüssel in das Loch zu schieben und mühsam zu drehen.
    Neuer Applaus. Vorsichtig klappte sie den Deckel auf. Sie entdeckte ihr Lieblingsfutter, eine Handvoll Makadamia-Nüsse. Glücklich griff sie zu. Bruno war gut zu ihr. Jeden Tag.

  • von Johanna*
    *mit Unterstützung von Fipsi



    Mir ist da doch eine wunderliche Geschichte passiert. Fast wäre es nicht zu glauben, hätte ich es nicht selbst erlebt.


    Da ging ich eines Tages, so wie jeden Tag, mit Schnaps spazieren. Schnaps, das ist mein kleiner Hund, der allerbeste Hund der Welt versteht sich.
    Am jenem ungewöhnlichen Tag, als wir durch das Unterholz streiften, wurde Schnaps auf einmal unruhig, begann zu bellen und flitzte plötzlich los. Ungewöhnlich für den alten Herren, denn immerhin war er auch nicht mehr der Jüngste.
    An einen hohen Gebüsch holte ich ihn schließlich ein und sah gerade noch etwas kleines durch die Luft auf mich zu fliegen.
    Genau vor mir landete eine Brille.
    Ich vernahm eine leicht knarzige Stimme, die wimmernd meinte:“ Mist, jetzt sehe ich nix mehr, was ist denn da so laut auf mich zugestürmt?“
    Verwundert sah ich genauer hin, sah Schnaps hechelnd vor der Hecke stehen, in dem Bemühen, hinüberzuspringen. Was er natürlich nicht schaffen konnte. Aber hinter der Hecke lugte ein Gesicht hervor.


    Ein merkwürdiges Geschöpf sah mir da entgegen. Grün, mit schuppiger Haut und einer langen, echsenähnlichen Schnauze.
    „Ist das Deine Brille?“ fragte ich in Ermanglung einer anderen Idee, was ich zu einem noch nie gesehenen Geschöpf ansonsten hätte sagen können.
    „Ja“ piepste es.


    Ich setzte dem Wesen die Brille auf die Schnauze und fragte es:“ Bist Du eine Echse?“
    „Nein, ich bin ein Dino, ich heiße Lexi“.
    “Aha. Warum kannst Du sprechen?“ fragte ich überrascht. „Bisher war ich der Meinung, es gäbe keine Dinos mehr und sprechende schon mal gar nicht“.
    „Eigentlich können wir von Menschen gar nicht gesehen, geschweige denn, gehört werden, aber manchmal funktioniert es eben doch, dass uns ganz besondere Menschen wahrnehmen können. Warum das so ist, wissen wir auch nicht“. Knarzte Lexi.
    „Wir?“ fragte ich erstaunt. „Gibt es denn noch mehr Deiner Art?“
    „Aber natürlich“ antwortete Lexi fast entrüstet.


    Und so kam es, dass Schnaps und ich dem kleinen Dino folgten, der uns in ein kleines, verstecktes Dorf führte. Dort herrschte reges Treiben und tatsächlich, noch mehr der kleinen grünen Wesen wuselten dort herum.


    Lexi stellte uns vor und erzählte, dass ich wohl zu den besonderen Menschen gehöre, der in Lage seien, sie zu sehen.
    Wir verbrachten den halben Tag im Dinodorf.
    Und sowohl Schnaps als auch ich hatten sehr viel Spaß mit den Dinos. Ich führte lange Gespräche mit den Ältesten der Dinos, die mir von ihrer Geschichte erzählten und dass es eben in selten Fällen vorkäme, dass sie von den Menschen erblickt wurden.
    Nur warum das so ist, konnte sich niemand erklären.


    Aber wer weiß, vielleicht bekommen wir es ja eines Tages heraus, denn dass Schnaps und ich daraufhin unsere tägliche Route änderten und unsere neuen Freunde oft besuchten, muß ich wohl nicht besonders erwähnen.


    Allerdings hütete ich mich davor, jemandem etwas davon zu erzählen. Ich wollte ja nicht, dass das Dorf und seine Bewohner gefunden wurden um dann als Sensation ausgeschlachtet zu werden.
    Und auf meinen Schnaps konnte ich mich verlassen, der würde garantiert niemandem ein Wort verraten.

  • von Inkslinger



    „Wo willst du denn heute mit mir hin?“
    „Lass dich überraschen. Ich verspreche dir, so gut hast du lange nicht mehr geschmaust.“
    „Eigentlich habe ich gar keine Lust. Können wir nicht ein andermal dorthin?“
    „Ach, Schatz, bitte! Ich habe doch schon Plätze für uns ausgespäht! Wenn wir da jetzt nicht auftauchen, schnappt uns der blöde Alfons von nebenan wieder das Beste weg und prahlt tagelang damit rum! Und du weißt, wie er sich dann immer aufplustert.“
    „Ist gut. Ich komme ja mit. Aber sei diesmal ein bisschen weniger gierig. Deine Tischmanieren sind in letzter Zeit kaum noch vorhanden. Das ist mir peinlich...“
    „Okay, okay, ich benehme mich. Versprochen. Ich werde essen wie ein Täubchen. Jetzt aber mal los! Sonst sind unsere Plätze weg.“


    „Puh, das war knapp. Fast wäre Alfons uns zuvor gekommen. Dieser schmierige Aasfresser! Wieso lässt du dich auch jeden Abend so lange bitten?“
    „Jetzt beruhige dich doch. Du hast versprochen, dich zu benehmen. Wie ich dir schon seit Jahren immer wieder sage, werde ich gerne umschmeichelt. Ich brauche etwas Aufmerksamkeit bevor wir zum Bankett gehen. Du bist den ganzen Tag unterwegs und ich hocke alleine rum.“
    „Ja, Schatz, entschuldige. Lass uns anfangen, bevor er kalt wird. Welches Stück hättest du gerne: Auge oder Nase?“
    „Ich nehme heute das Auge, wenn's dir recht ist.“
    „Klar. Für meinen Schatz nur das Feinste.“


    „Mhm, das war köstlich.“
    „Finde ich auch, Schatz.“
    „Meinst du, es ist noch was übrig wenn wir morgen zurück kommen?“
    „Bestimmt. Die Menschen sorgen schon dafür, dass wir immer genug zu fressen finden. Krieg ist echt was Schönes. Zumindest für uns Krähen.“