Richard Russo: Ein Mann der Tat

  • Richard Russo: Ein Mann der Tat
    DuMont Buchverlag 2017. 688 Seiten
    ISBN-10: 3832198423
    ISBN-13: 978-3832198428. 26€
    Originaltitel: Everybody's Fool
    Übersetzerin: Monika Köpfer


    Verlagstext
    Eigentlich sollte das Memorial-Day-Wochende für alle Bewohner von North Barth eine Zeit der Ruhe und Besinnung sein. Aber in diesem Jahr ist es, als hätte jemand ungebeten die Büchse der Pandora geöffnet. Chief Raymer, der Leiter der Polizeidirektion, kollabiert auf einer Beerdigung, fällt ins offene Grab und verliert dabei das einzige Beweisstück dafür, dass seine Frau ihn betrogen hat. Die Wand eines Gebäudes, das der impotente Bauunternehmer Carl errichtet hat, stürzt ein. Sein ehemaliger Kontrahent Sully hat alle Hände voll damit zu tun, eine schwere Krankheit vor den Menschen, die er liebt, zu verheimlichen. Und zu allem Übel ist auch noch eine illegal gehaltene Giftschlange entwichen und irgendwo in den Straßen der Kleinstadt an der Ostküste unterwegs.
    Chief Raymer, dem es eigentlich am liebsten ist, wenn die Dinge so bleiben, wie sie immer waren, wird aktiv: Er schreitet zur Tat, um wieder Ordnung in das verheerende Chaos zu bringen. Und um dem Mann auf die Schliche zu kommen, der ihn gehörnt hat. Aber auch die anderen Bewohner der Stadt müssen an diesem Wochenende Farbe bekennen und von ihren gewohnten Mustern abweichen ...


    Der Autor
    Richard Russo, geboren 1949 in Johnstown, New York, studierte Philosophie und Creative Writing und lehrte an verschiedenen amerikanischen Universitäten. Für „Diese gottverdammten Träume“ (2016) erhielt er 2002 den Pulitzer-Preis. 2010 erschien der Roman „Diese alte Sehnsucht“. In seinem neuen Roman „Ein Mann der Tat“, der parallel im Hardcover erscheint, kehrt der Autor zurück in die Stadt und zu den Helden von „Ein grundzufriedener Mann“. Russo lebt mit seiner Familie in Boston und an der Küste Maines.


    Inhalt
    Polizeichef Douglas Raymer aus North Bath in den Adirondacks möchte es allen recht machen, doch wer jedermanns Liebling sein will, ist bald jedermanns Depp. Raymers Sturz in das ausgehobene Grab des verstorbenen Richters Flatt ist nur der Beginn einer Kette grotesker Ereignisse, die selbst für einen Roman einen Tick zu grotesk erscheinen. Raymer war schon als Kind zu sensibel gegenüber Kritik. Den Richter konnte er allein deshalb schwer ertragen, weil seine Frau Becka ihn süß fand. In dem Moment, als Becka ihren Mann verlassen wollte, ist sie tödlich verunglückt und nahm ihr Geheimnis mit ins Grab, mit wem sie ihren Mann jahrelang betrogen hat. Raymer büßt bei seinem Sturz auf dem Friedhof die fremde Garagen-Fernbedienung ein, die er eigentlich im ganzen Ort ausprobieren wollte, um herauszufinden, mit wem Becka ihn betrogen hat. In den Raymerschen Haushalt gehört das Ding jedenfalls nicht. Douglas Raymer, Sully, Carl und ihre Altersgenossen, alle Veteranen des Koreakriegs, fühlen sich noch immer wie große Jungs, die alles mögen, was knallt, Räder hat oder ein paar Tonnen wiegt. Die Wirklichkeit mit Prostataoperationen, Herzschwäche und psychisch angeschlagenen Ehefrauen hat sie jedoch längst eingeholt. Dem Unfall auf dem Friedhof folgt die einstürzende Wand einer heruntergekommen Fabrik und eine entwischte Kobra, die das billige Appartment-Haus unsicher macht, in dem alle unterkommen, die sich keine Wohnung leisten können. Das alles wird begleitet von Unwettern und Erdrutschen, auf deren Gewalt die Baubranche offensichtlich nicht vorbereitet war. Tiefer als ins Morrison Arms kann nur sinken, wer in einem geliehenen Wohnwagenanhänger haust. Als die Dinge in North Bath Raymer längst über den Kopf gewachsen sind, glaubt er lange noch, dass es ohne seine ordnende Hand nicht geht. Doch er muss sich eingestehen, dass er sich immer genauso gegeben hat, wie die Leute ihn gern haben wollten. So lange ließ er sich ausnutzen, und das hat ihm nun im übertragenen Sinn das Kreuz gebrochen.


    Vergnügen bereiten hier die unterschiedlichen Sprachebenen, die einer fernen Oberschicht, über die die Leute sich nach Kräften lustig machen, die normale, die zwischen machohaften Gestalten und ihren Frauen, schließlich die zwischen Raymer und seiner schwarzen Kollegin Charice. In der Kommunikation zwischen Charice und ihrem Chief besteht jedenfalls noch Nachholbedarf, bis auch er über ihre Witze lachen kann.


    Fazit
    In Nebenrollen treten im zweiten Roman über die Helden von North Bath ein paar chronische Nichtstuer und Sozialhilfe-Abzocker auf, von denen mancher schon in der 3. Grundschulklasse ahnte, dass sie so enden würden. Der Zeitpunkt, zu dem „Ein Mann der Tat“ erscheint, ist nicht schlecht gewählt. Wie das weiße US-amerikanische Proletariat tickt, dass für die Abschaffung der eigenen Krankenversicherung votiert, nur damit der Nachbar auch keine Versicherung mehr hat, das lässt sich - grotesk überzeichnet - hier verfolgen. Weil mir „Diese gottverdammten Träume“ ein Stück besser gefallen hat, verdiente 7 von 10 Punkten für Chief Raymer und seine Kumpels.