Lope de Aguirre von Miguel Otero Silva

  • Für meine erste Buchvorstellung hier im Forum will ich mal einen Klassiker rauskramen.


    "Lope de Aguirre - Fürst der Freiheit" von Miguel Otero Silva.


    Das Buch des venezolanischen Autors erschien 1979 und wurde vom Aufbau-Verlag in Ost-Berlin 1981 in Deutsch rausgebracht (exzellente Übersetzung).


    "Lope de Aguirre" ist eines der lesenswertesten Bücher, die ich kenne, und sehr zu Unrecht heutigentags in Deutschland fast vergessen.


    Über Aguirre, den Konquistador, der an einer Amazonasexpedition teilnahm und als wahnsinniger Schlächter in die Geschichte einging, brauche ich ja sicherlich nicht viel zu erzählen. Die meisten werden ihn aus dem Herzog-Film "Aguirre - Der Zorn Gottes" kennen, mit einem gnadenlos guten Klaus Kinski in der Hauptrolle. Die historischen Quellen, die ja meist von königstreuen Beamten verfaßt wurden, gehen nicht sehr wohlwollend mit dem Hochverräter um, und Silva war der erste Autor, der versucht hat, ein gänzlich anderes Bild von Aguirre zu zeichnen, der versucht hat, die Gründe für seinen Verrat an der Krone und für seine blutigen Morde darzulegen. Er macht aus ihm eine geschundene Kreatur, dessen Schrei nach Freiheit sich nach und nach in brutale Raserei verwandelt.


    Der junge Lope de Aguirre geht nach Südamerika, weil sowohl er als auch seine Familie meint, daß er dort durchaus sein Glück machen und Reichtümer erwerben kann. Aber es dauert nicht lange, bis er all seine Ideale und seine Hoffnungen verliert. Peru zeigt sich ihm als eine von korrupten königlichen Beamten ins Chaos gewirtschaftete, ausgebeutete Provinz. Der König im fernen Spanien ist nur an ihren Reichtümern interessiert und schert sich einen Dreck um jene Kämpfer, die ihr Leben wagen, um diese Reichtümer für ihn zu erobern. Nur die Speichellecker machen ihr Glück; er selbst verliert sein Vermögen und seine geliebte Frau, und alles, was ihm bleibt, ist die Tochter, die er vergöttert, und sein Rachedurst gegen Philipp, den spanischen König.
    Er schließt sich einer Expedition an, die unter dem Kommando von Pedro de Ursúa den Amazonas erforschen soll, um das sagenhafte Goldland El Dorado zu finden. Aguirre ist es, der in seiner rücksichtslosen Art das gefährliche Wagnis immer wieder vorantreibt, während der eigentliche Befehlshaber sich als unfähig erweist. Schließlich reißt er den Befehl über die Konquistadoren an sich und ermordet all jene, die ihm im Wege stehen. Dem König erklärt er offen den Krieg; sein Ziel ist es, ein Königreich El Dorado zu gründen, ein Land der Freiheit für Männer wie ihn, die von der Krone und ihren Beamten mit Füßen getreten werden. Auf einer Insel errichtet er ein Terrorregime, und seine Herrschaft verwandelt sich je mehr in blutige Tyrannei, desto hoffnungsloser seine Lage wird. Seine Rache gegen den König richtet sich gegen all jene, die ihm dienen, und er stillt den Haß, den er in sich trägt, mit ihrem Blute. Schließlich bricht seine Rebellion zusammen. Er selbst wird von königlichen Soldaten ermordet, vorher noch tötet er eigenhändig die geliebte Tochter, um ihr ein Leben in Schande zu ersparen, wenn sie den Feinden in die Hände fällt.


    O-Ton Klappentext:
    "Doch was Lope de Aguirre zum Tyrannen macht, ist sein Haß auf die Tyrannen, was aus ihm einen Mann des Chaos werden läßt, ist seine Sehnuscht nach einer wahren Ordnung. Er stirbt, ohne sein Ziel, Peru den Klauen der königlichen Gewalt zu entreißen, erreicht zu haben, aber in dem stolzen Bewußtsein, sich selbst treu geblieben, Lope de Aguirre, der Fürst der Freiheit, gewesen zu sein."
    Ob diese Darstellung des Lope de Aguirre als gescheiterter Revolutionär, als Vorgänger eines Simón Bolívar, nun historisch korrekt ist, mag dahingestellt bleiben. Das Beeindruckende an dem Buch ist, wie es über die Beschreibung der bloßen Historie hinausgeht und eine Geschichte erzählt, die bis ins Lateinamerika der Gegenwart hinein Aktualität hat. Dabei ist es glänzend recherchiert und fängt auf einmalige Weise das damalige Zeitgefühl ein. Der Stil, in dem es geschrieben ist, ist packend und emotionsgeladen, wie eben nur die Südamerikaner schreiben können. Vor allem die Monolge Aguirres, in denen er all seine Gefühle offenlegt, von der Liebe zur urwüchsigen Wildnis Amazoniens bis zu dem Haß, den er König Philipp förmlich ins Gesicht speit, gehören meiner Meinung nach zu dem Besten, was lateinamerikanische Autoren jemals verfaßt haben.
    Lope de Aguirre ist ein historischer Roman, wie er meiner Meinung nach sein muß: gut recherchiert, exzellent geschrieben, aber mit einer Botschaft, die bis in die Gegenwart hinein Gültigkeit hat und auch in etlichen Jahren noch aktuell sein wird.


    Hermann R. Heim