J.D. Vance: Hillbilly-Elegie: Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise

  • du aber durch deine extrem freie Verwendung, die ich willkürlich nannte, zu dieser Inflation maßgeblich beiträgst.

    Dass ich sogar maßgeblich beitragen soll, überrascht mich. Ich hatte meine Reichweite eher so mittelhalbniedrig geschätzt. 8)


    Aber, wo wir dabei sind. (Nicht nur, aber maßgeblich) als jemand, dem nachgesagt wird, hin und wieder auch etwas zu produzieren, das im weitesten Sinn als "literarisch" bezeichnet werden könnte, finde ich den Begriff "autofiktional" komplett bescheuert, und das, seit ich ihn zum ersten Mal gehört habe. "Fiktion" ist "Erdachtes, Erfundenes", und da in diesen Prozess immer nur eine Person involviert ist, ist es auto-matisch auto. Diese Fiktion ist deshalb immer auch in gewisser Weise autobiografisch, denn die Autobiografie der erzählenden Person hat wesentlichen Einfluss darauf, wie sie erzählt, auch, wenn sie nicht von sich erzählt. Anyway, der Begriff "Autofiktion" für Romane, die auf wahren, selbst erlebten Geschehnissen basieren, ist semantisch völlig neben der Kappe und davon abgesehen überflüssig. Für autobiografisches Erzählen gibt und gab es bessere, allerdings, zugegeben, weniger kompakte Begriffe.

  • Aber, wo wir dabei sind. (Nicht nur, aber maßgeblich) als jemand, dem nachgesagt wird, hin und wieder auch etwas zu produzieren, das im weitesten Sinn als "literarisch" bezeichnet werden könnte, finde ich den Begriff "autofiktional" komplett bescheuert, und das, seit ich ihn zum ersten Mal gehört habe. "Fiktion" ist "Erdachtes, Erfundenes", und da in diesen Prozess immer nur eine Person involviert ist, ist es auto-matisch auto.


    Ich stimme dir tatsächlich sogar zu und halte den Begriff hauptsächlich für eine Marketing-Erfindung. Zumindest sollte man vielleicht die Verwendung auf die Franzosen beschränken, denen wir diesen Begriff zu verdanken haben.


    Du wirst ja auch wissen, dass die Literaturwissenschaft oder Literaturkritik weiterhin stur die totale Abgrenzung von Autor und Erzähler behauptet, was natürlich in der Praxis Unsinn ist. Insofern verstehe ich schon, dass die autobiographischen Anteile auch in fiktiven Stoffen fließend sind.


    Ich finde den Begriff aus zwei Gründen nicht komplett sinnlos und uninteressant:

    1. Autofiktion impliziert die mögliche Fiktionalisierung autobiographischer Stoffe. Der Wahrheitsanspruch von Memoiren wird also entschärft. Für eine gute autofiktionale Geschichte kann man auch gestalten.
    2. Autofiktion impliziert generell mehr literarische Gestaltung. Während Memoiren sich der Literaturkritik oft versperren (wie z. B. "Die Figur ist unglaubwürdig, so war die Figur nun einmal"), muss sich Autofiktion den Kriterien für gute Geschichten und gute Literatur stellen.

    Inzwischen interessieren mich aber nur noch sehr selten autofiktionale Stoffe, aber die Bücher, die damit spielen, zum Beispiel "Shards" von Bret Easton Ellis, finde ich umso interessanter. Autofiktion als Phänomen finde ich also spannender als in der reinen literarischen Umsetzung.

  • Satire ist schlechte Satire, wenn man sie erklären muss, entsprechend war es schlechte Satire. Ich habe die Hillbilly-Elegie nicht gelesen, bekomme den Inhalt aber nicht mit dem J.D. Vance der letzten Jahre zusammen, der eben nicht wie jeder "Hillbilly" nun Jahre von Peter Thiel und Co. gefördert wurde, dem lukrative Managerpositionen zugechancet wurden, für die er nicht qualifiziert war, und nun entsprechend als politische Marionette aufgebaut wurde, dem nun reihenweise Aussagen aus dem Mund fallen, die ich einfach nur abstoßend und abscheulich finde. Und da er nun Teil dieses politischen Establishments ist, dem Geld und Macht nur so zufliegt. hat er sich auch als Sprecher der amerikanischen Unterschicht disqualifiziert. Entsprechend stimme ich übrigens Tom zu, dass man doch vielleicht lieber zu Demon Copperhead greifen sollte und dass es bestimmt weitere bessere Stimmen gibt, die diese Schicht repräsentieren.


    Beantwortet das ungefähr die Frage, ob ich es ernsthaft als Glücksfall empfinde, dass er Vizekandidat ist?

    Ja, danke.

  • Ich stimme dir tatsächlich sogar zu und halte den Begriff hauptsächlich für eine Marketing-Erfindung

    Das ist er allerdings nicht nur; tatsächlich wird (sogar in relativ sinnvoller Weise, was den Begriff selbst nicht entblödet) eine Unter-Unterform beschrieben, aber die Begrifflichkeit wird halt von vielen sehr viel allgemeiner eingesetzt. Wobei ich die Definition, wie ich zugeben muss, nicht ganz raffe. Aber so, wie ich sie verstehe, würde ich beispielsweise "The Shards" nicht dazuzählen, weil Ellis zwar seine eigene Biografie und sich selbst als Person in den zentralen Fokus der Erzählung zieht, aber eine bzw. mehrere rein fiktionale Ebenen einzieht. Ich verstehe "Autofiktion" als fiktionalisierte progressive biografische Erzählung, wie etwa in Glavinics "Das bin doch ich", wo er eigentlich die ganze Zeit er selbst war, sich aber eine Eigenschaft und Haltung angedichtet hat, für die das eben nicht galt, und beides sozusagen in Realzeit. Aber, wie gesagt - ich habe die Definition nicht ganz begriffen. Sie ist vermutlich doch eine fast reine Marketingerfindung. Automarketingerfindung. Genau genommen ist diese dezidierte Abgrenzung nicht nötig, und verstanden wird sie offenbar auch nicht von allen.


    Aber interessant.

  • Aber so, wie ich sie verstehe, würde ich beispielsweise "The Shards" nicht dazuzählen, weil Ellis zwar seine eigene Biografie und sich selbst als Person in den zentralen Fokus der Erzählung zieht, aber eine bzw. mehrere rein fiktionale Ebenen einzieht.

    Das ist wieso ich bei "The Shards" davon redete, dass er mit dem Genre spielt. Ich halte den Roman natürlich nicht für Auto Fiction, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet zu der Hochzeit dieses Genres jemand zufällig ein Buch schreibt, bei dem Name der Hautfigur (beinah, weil er da ja nur "Bret Ellis" heißt), die frühe Autorenbiografie, Setting und Erzählhaltung passen. Würde es das Phänomen Auto Fiction nicht geben, dann hätte es diesen Roman so in dieser Form nicht gegeben, zumindest wäre er anders geschrieben oder präsentiert worden.


    The Shards Trailer


    Ich finde die Spielerei dabei so genial, weil er im Verlauf des Romans dann durch die Thriller-Komponenten so übertreibt, dass es natürlich nur noch Fiktion sein kann. Der Roman ist schon eine sehr clevere Selbstinszenierung.