Anna Kims neuster Roman führt nach Korea und Japan, in die 1960er Jahre. Sie selbst ist Österreicherin. „Die Große Heimkehr“ ist ihr erstes Buch, das in Korea spielt. In ihren anderen drei Büchern habe sie sich auch immer mit der Beziehung zwischen Individuum und Politik beschäftigt. Korea in jener Zeit sei dafür der ideale Ort, weil dort viel Weltpolitik zusammengelaufen sei.
Ihre Mutter wurde 1942 in Korea geboren, die ersten Jahre noch unter japanischer Besatzung und von ihr habe sie viel über den Krieg (1950-1953) und die Flüchtlingspolitik gehört.
Vorbild für die Hauptfigur Yunho sei ihr Onkel aus Korea gewesen. Er sei schon sehr alt und habe ihr sehr viel über koreanische Geschichte erzählt, habe viel persönlich miterlebt. Für die Recherche sei sie drei Monate nach Südkorea gereist und er habe die fast täglichen Treffen genossen.
Kern des Romans sei eine Geschichte über Freundschaft. Hanna, eine junge Frau koreanischer Abstammung, die früh in Deutschland adoptiert wurde, will in Korea ihre leibliche Mutter finden. Zufällig lernt sie Yunho kennen, der sie darum bittet, einen Brief aus den USA zu übersetzen. Dann wurde ein Abschnitt vom Anfang des Romans gelesen.
In diesem Roman spiele Musik eine größere Rolle und sie liebe die Stimme und Lieder von Billie Holiday, in denen es um melancholische Themen ginge, oft um enttäuschte Liebe. Das sei ihre Inspiration für den Ton des Romans gewesen. Eine gewisse Alltagssprache, die Freiheiten bei der Interpretation lasse. Die Geschichte des Romans sei auch keine freudige, daher passe eine melancholische Stimmung.
Es sei ihr wichtig gewesen, eine Erzählebene in der Gegenwart zu haben, nicht nur das große Historiendrama in den 1950er/60er Jahren. Sie wollte nicht die Illusion erzeugen, man sei in einer anderen Zeit. Das käme ihr wie eine Lüge vor. Auch wenn es in dem Buch um Lügen und Propaganda ginge, sei die Gegenwartsebene eine gute Technik gewesen, diese Illusion zu durchbrechen.
Ein wichtiger Punkt sei der Begriff „Heimat“, der auch heute wieder stark politisiert wurde. Damals habe man anders über die Begriffe Heimat und Identität gedacht. Nationalstaaten und Sprache würden sich verändern, auch wenn man sich im Ausland unverändert als Koreaner fühle.
Zuhörer musste eine Figur sein, die von außen kommt, Hanna. Diese ausländische Perspektive sei für Yunho befreiend, denn so wurde er beim Erzählen nicht in ein bestimmtes Korsett gepresst. Einer Südkoreanerin hätte er die Geschichte nicht so erzählen können, ohne in einer bestimmten Schublade zu landen. Bis heute sei der Kommunismusvorwurf in Südkorea virulent und habe einen k.o.-Effekt. Es sei erschreckend, welche Auswirkungen dieser Vorwurf noch heute habe, zumal man das Gegenteil nicht beweisen könne.
Bewusst wählte sie keine allwissende Perspektive, sondern wollte die begrenzten Erfahrungen einer Figur zeigen, basierend auf den eigenen Erlebnissen. Damit wollte sie die Objektivität von Geschichte dekonstruieren, indem sie einen subjektiven Erzähler gegenüberstellte. Geschichtsschreibung sei immer wieder ein Streitobjekt. Das Verhältnis zwischen Subjektivität und Objektivität fasziniere sie.
Eine weitere Figur namens Johnny kommt von Land und trifft seinen Freund Yunho in Seoul wieder, wo die amerikanische Lebensart sehr präsent ist. Inzwischen hat Johnny eine Freundin, die sich Eve nennt und einen Hang zum westlichen Lebensstil hat. Eve habe eine wandelbare Identität und erfinde sich immer wieder neu, instrumentalisiere Identität gezielt um etwas zu bekommen, so wie es in der Politik üblich sei. Mit der Rolle, die Frauen damals üblicherweise in Asien zugewiesen wurde, gebe sie sich nicht zufrieden. Ganz im Gegenteil sei sie eher ein Machtmensch. Johnny sei die schwächste Figur, schaue gerne westliche Filme und sei derjenige, der am meisten um das Überleben kämpfe. Yunho versuche unpolitisch zu bleiben und sei eigentlich ein Romantiker. Er lese gerne, wolle mit seiner Freundin ein gutes Leben haben, werde jedoch aufgrund seiner Herkunft immer wieder in die Rolle des Arbeiters geschoben und solle sich für deren Rechte einsetzen.
Viele hätten damals die Fronten gewechselt, auch mehrmals. Soldaten aus den USA, Koreaner aus Nord und Süd. Das wirke unübersichtlich, aber damals sei sehr viel in Bewegung gewesen. Wichtiger als die eigene Überzeugung war das Überleben. Individuen konnten meist nur reagieren, kaum selbst agieren. Es war die Zeit vieler Kriegskrüppel und Südkorea sei sehr arm gewesen, die Industrieanlagen befanden sich im Norden.
Korea war damals japanische Kolonie und deshalb lebten viele Koreaner in Japan. Im Rahmen der Aktion namens „Die große Heimkehr“, sollten möglichst viele Koreaner nach Nordkorea repatriiert werden. Viele dieser Menschen stammten jedoch auch Südkorea. Sie habe zufällig ein spannendes Sachbuch über jene Zeit gelesen und sei sogar nach Genf zum Roten Kreuz gereist, wo sie in den Archiven lesen durfte.
Die Zeit der großen Heimkehr habe sie nicht selbst miterlebt, die Beschreibungen der Orte stammen von ihrer Mutter. Sie selbst wurde 1977 noch dort geboren und wanderte 1979 mit ihren Eltern aus, zuerst nach Deutschland, dann nach Wien. Der Zeitpunkt sei sicher kein Zufall gewesen. Ihre Eltern hätten die Diktatur unter Pak selbst miterlebt, wie hart besonders gegen Studenten und Katholiken vorgegangen wurde. Es sei ein bewusstes Auswandern, keine Flucht gewesen. Paks Tochter wollte gegen Ende ihrer Amtszeit die Geschichtsbücher umschreiben lassen, damit ihr Vater nicht mehr als Diktator dargestellt werden soll.
Eine wichtige Rolle spielt die Nordwest-Jugend. Die Wurzeln der paramilitärischen Organisation lägen in Nordkorea. Es seien gezielt arbeitslose junge Menschen eingesammelt worden, die vor dem nordkoreanischen Regime nach Südkorea flohen. Die Nordwestjugend habe den Kommunismus gehasst und sei von Präsident Pak gezielt eingesetzt worden, um seine Macht zu festigen. Die Idee habe er von Chiang Kai Shek, Mao, Hitler und der Sowjetunion gehabt.
Viele Koreaner seien damals nach Osaka geflohen und sollten Position beziehen. Interessanterweise entschieden sich viele für den Norden, aufgrund der vielen Versprechungen über ein gutes Leben und Bildung.
Früher habe es sie aufgeregt, wenn sie für eine Chinesin oder Japanerin gehalten wurde, obwohl sie akzentfrei Deutsch spricht. Heute finde sie es spannend, wie die Optik die Identität definiere, was die Außenwahrnehmung und die eigene Wahrnehmung bestimme, sowie in welche Auswirkungen dieses Definiert-Werden auf einen selbst habe, je nach dem wo man sich gerade befinde.
Heimat sei immer wieder Thema in ihren Büchern. Ein stark politischer Begriff, der verwendet werde, um zu manipulieren. Es habe sie interessiert, wie die Politik mit den Emotionen spiele, die am Begriff Heimat haften und politische Versprechen an sentimentale Gefühle hefte.
Viel zu schnell war die interessante Veranstaltung vorbei, die einige Wissenslücken bei mir füllte und mich noch neugieriger auf das Buch machte.
P.S. Aufmerksam wurde ich zufällig durch zwei Lesungen von Anna Kim aus ihrem Buch beim Deutschlandradio, die mich sowohl sprachlich auch inhaltlich neugierig gemacht hatten.
Teil 1
https://www.phonostar.de/radio…mkehr/v/134160/2017-02-15
Teil 2
https://www.phonostar.de/radio…chlandfunk/lesezeit/s/189