Die Veranstaltung fand im Konfuzius-Institut in Leipzig statt.
Sascha Hommer ging 2011 für einige Monate nach Chengdu. Dort lebten Freunde von ihm, die er schon 2006 besucht hatte. Diesmal war sein Ziel, eine Graphic Novel über sein Leben dort zu entstehen zu lassen. Der Blick des Westens auf diese Stadt aus der Perspektive eines Ausländers, der kein Chinesisch versteht.
Dann folgte eine längere Präsentation einiger Abschnitte aus "In China", untermalt mit Musik und zu den Bilder passenden Geräuschen (Verkehr usw.). Sascha Hommer las dazu mit sehr sachlicher Stimme die deutschen Texte.
Die Figuren haben ausdruckslose Gesichtsmasken, er selbst trägt anfangs eine Katzenmaske, später wechselt er zu einer Maske der Sichuan-Oper. Seine Freunde, ein Deutscher und dessen chinesische Freundin tragen andere Masken, die ebenfalls nie ihren Gesichtsausdruck verändern und keiner speziellen Kultur zugeordnet werden können. Die Umschrift der chinesischen Zeichen ist mal im aktuellen Pinyin, mal in einer älteren Version. Der Hintergrund bleibt eher vage, schwarz-weiß und mit wenig Details.
Die Erzählung über seine Ankunft in Chengdu und die Wohnungssuche dort wird unterbrochen von Visionen über die Vergangenheit oder Zukunft, in denen Katzen die Hauptfiguren sind. Chengdu lag an einer Kreuzung bedeutendes Handelswege und man sieht z.B. wie die Katzen auf die 20.000-jährige Geschichte (sic) Chengdus zurückschauen. Eine andere Vision zeigt, wie Ausländer Rauschblätter in die Heimat der Katzen brachten und diese dann als Währung galten, jeder dem Müßiggang frönte und irgendwann das Faustrecht galt. In einer dritten Vision wechselt der Schauplatz auf den Mars, auch mit den Katzen im Mittelpunkt.
1961 habe Chengdu so viele Einwohner wie Hamburg gehabt, heute seien es 14 Millionen. Die Stadt und Kultur hätten ihn sehr interessiert, auch das Essen habe ihm geschmeckt. wichtig.
Dann folgten Fragen aus dem Publikum.
Wie er darauf gekommen sei, 2005 und 2011 nach China gehen, warum nach Chengdu.
Ein Freund aus seiner Zivizeit sei dorthin ausgewandert und habe dort mit seiner Freundin ein englischsprachiges Stadtmagazin herausgegeben. Dank ihrer Hilfe und Erfahrungen habe er nicht nur die typische Touristenperspektive erlebt. Schon bei seinem ersten Buch habe er ein grafisches Tagebuch geführt und sich 2008 sehr über die Berichterstattung in den deutschen Medien geärgert, während der Olympischen Spiele in Peking und als das Erdbeben war. Ihm sei eine ehrliche Darstellung sehr wichtig.
Er sei überrascht gewesen, wie sehr sich Chengdu innerhalb von fünf Jahren verändert hatte. Beim ersten Besuch 2006 habe sein Freund am Ende einer Straße gewohnt, umgeben von Baustellen. 2011 waren überall Häuser, die Straßen und Häuser eingesäumt mit Pflanzen.
Um das Alltagsleben simulieren (sic) zu können, habe er sich dort eine eigene Wohnung und einen Arbeitsplatz gesucht. Von Anfang an sei ihm klar gewesen, dass er rund 2,5 Monate brauchen würde, um sich an die anderen Geräusche und Gerüche, Gewohnheiten im Alltag zu gewöhnen. Die Geräuschkulisse und der Verkehr hätten das Einleben sehr schwierig gemacht, vermutlich hätte er mehr Zeit gebraucht.
Auf die Frage, warum das Buch komplett in Schwarz-Weiß gehalt sei, antwortete er, dass er Chengdu und das Leben dort so wahrgenommen hätte – obwohl China oft so bunt sei, überall grelle Lichterreklamen usw. Doch durch den Smog und Regen sei es ihm eher grau vorgekommen.
Seiner Wahrnehmung nach, sehen Europäer in Chengdu eher seltsam aus, daher auch die Masken, die an Tiere und Aliens erinnern sollten. („aliens“ kann Ausländer und Außerirdischer bedeuten) Die chinesischen Figuren sollen eher menschlich wirken, jedoch alle gleich. Europäer seien ihm wie übersteuerte Individualisten vorgekommen, die sich dort anders ausleben konnten als in ihrer Heimat.
Die Maske habe immer den gleichen Gesichtsausdruck, um zu verhindert, dass der Leser sich in diese Figur einfühle. Er habe bewusst das einfühlende Lesen verhindern sollen. Es ginge um die Stadt und seine Freunde, nicht ihn. Seine Figur sei eher passiv und beobachtend.
Die traumartigen Einschübe seien eine Mischung aus Reise- und Sprachführer, sowie eine Anspielung auf einen Verhaltensratgeber aus der Kolonialzeit, sowie „Die Stadt der Katzen“ von Lao She an, das auf dem Mars spielt. **
Seine chinesische Probeleserin habe ständig gelacht und die Darstellung ihrer Stadt sehr treffend gefunden, inklusive der Ratten, des Verkehrs und des Drecks. So sei ihre Stadt nun mal.
Eine andere Zuhörerin hatte den Eindruck, dass der gezeigte Ausschnitt des Buchs recht gewöhnliche Szenen zeige, die auch anderswo hätten stattfinden können. Sascha Hommer antwortete, dass er nicht im Ausnahmezustand des Backpackers verweilen wollte und es auch speziellere Szenen gebe.
Es sei ihm um eine Darstellung des normalen Alltags gegangen, um zu zeigen, dass vieles auch für Europäer eher normal ist. In den Medien hier gebe es keine Einblicke in das Alltagsleben der chinesischen Bevölkerung, sondern es ginge immer um größere politische Themen. Es klinge trivial, aber die Menschen dort hätten auch ein ganz normales Leben mit den gleichen Sorgen wie die Menschen in Deutschland.
Anfangs habe er ein politisches Buch schreiben wollen, jedoch schnell festgestellt, dass er das nicht könne. Er könne mit einzelnen Menschen sprechen, aber es fehle ihm an Wissen über Land und Sprache.
Im Buch seien auch Interviews mit Karl und Linda, die in den USA geboren wurde und einen chinesischen Elternteil hat. Karl wollte gerne in Chengdu bleiben, Linda hatte das Gefühl, die Stadt verkürze ihre Lebenszeit. Ein weiterer Besuch bei ihnen sei nicht möglich, da die beiden sich getrennt hätten und Linda wieder in den USA lebe.
Sascha Hommer bzw. der Erzähler seines Buchs sei ohne Chinesisch-Kenntnisse völlig abhängig von den beiden gewesen. (Andererseits gibt es Szenen, in denen er alleine ein WG-Zimmer suchen geht.) Die beiden seien als Expats Experten über das Leben dort, sie könnten die Sprache und hätten jahrelange Erfahrungen. Aber andererseits würden auch sie Aliens bleiben, würden nie zu Chinesen werden.
Eine Chinesin aus dem Publikum merkte kurz an, dass das Buch viele Wahrheiten enthalte.
Die letzte Frage war, ob die Geschichte (Graphic Novel) „Transit“ auf dem Quart Heft 19 ihn inspiriert habe, die Handlung sei sehr ähnlich. Laut Sascha Hommer sei die Ähnlichkeit rein zufällig. Auf Nachfrage antwortete er, dass er "Transit" mal gesehen habe. (Genauere Informationen zu dieser anderen Geschichte konnte ich leider nicht finden.)
Danach wurde noch signiert.
Damit endete eine Veranstaltung, die mich etwas ratlos zurückließ. Vieles in dem Buch wirkte auch auf mich sehr beliebig, zu oberflächlich und sehr sprunghaft. Der Roman von Lao She ist auf meinem Wunschzettel gelandet. Aber ich bin vermutlich auch nicht die Zielgruppe des Buchs.
** (von Amazon)
Lao She (1899-1966) gehört mit Werken wie Der Rikschakuli und Das Teehaus zu den wichtigsten Schriftstellern der chinesischen Moderne. Die Stadt der Katzen entstand Anfang der dreißiger Jahre, nachdem der junge Autor von einem mehrjährigen Englandaufenthalt in die Heimat zurückgekehrt war. Zu Beginn der Kulturrevolution hielten ihm Rote Garden die Satire als Nestbeschmutzung vor. Er kam unter tragischen Umständen ums Leben. Die »Stadt der Katzen« liegt auf dem Mars, und doch wird der Besucher vom Planeten Erde mit nur allzu vertrauten Verhaltensweisen konfrontiert. In der Katzengesellschaft herrschen Selbstsucht und Verlogenheit, alles Trachten richtet sich auf den betäubenden Genuß der Rauschblätter. Selbst als schließlich der Feind die Grenzen überschreitet, kann nichts und niemand diese degenerierte Gesellschaft aus ihrer Lethargie reißen. Sie ist zum Untergang verurteilt. Der Roman ist eine durch das Gewand der Utopie nur notdürftig verhüllte Satire auf das China der dreißiger Jahre, das zu einem Spielball der ausländischen Mächte herabgewürdigt worden war und sich in Bürgerkriegen zerfleischte. Die Rauschblätter spielen dabei eine ähnlich verhängnisvolle Rolle wie das Opium.