Teil 14 – In dem ein König endlich ans Ziel kommt, trotzdem Eine von der Königin gelangt bekommt und fast jeder bekommt, was er will.
„Stimmt.“, sagte der König zu dem Mann im grauen Gewand. „Wir haben jetzt tatsächlich ein Problem.“ Er zog mit diesen Worten sein Schwert aus der Scheide, streckte beiläufig seinen Schwertarm aus und prüfte mit zusammengekniffenen Augen die Klinge. Der Mann sprang aus seinem Stuhl und blickte entsetzt zwischen dem Schwert und dem König hin und her, dessen Aufmerksamkeit anscheinend voll und ganz dem blitzenden Stahl galt.
„Aber..aber…“, entfuhr es dem Mann. Er hob beschwichtigend die Hände und machte den grauen Strick um seinen Hals lockerer. „Ohne die Amtszeitbescheinigung kann ich Euer Gesuch nicht genehmigen. Jeder Antragssteller muß eine Mindestamtszeit von einer vollen Regierungsperiode vorweisen.“, beeilte sich der Mann mit zittriger Stimme zu erklären. Hinter dem König war ein weiteres Glöckchenklingeln zu vernehmen, als die Königin ihr Schwert zog und mit dem Narren nach vorne trat. Auch der Narr hatte sein stumpfes Schwert gezogen und machte einen entschlossenen Gesichtsausdruck.
„Ich glaube, daß ich mit Vorlage dieser drei Schwerter, im Übrigen zwei davon sehr scharf geschliffen, keine weitere Bescheinigung benötige. Oder wie seht Ihr das, werter Herr?“, fragte der König in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, welche Antwort er von dem seltsamen Kerl erwartete.
„Sicherlich, sicherlich…“, erwiderte der Mann in seiner grauen Gewandung aufgeregt. Auf seiner Stirn hatten sich inzwischen einige Schweißtropfen gebildet. Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl, um eifrig mit dem goldenen Stempel zu hantieren. Als er das Formular zur Hand nahm und den Stempel mit zittriger Hand darauf niedersausen ließ, „Bonk!“, erklang ein melodiöser Glockenklang.
Auf der leeren Wand gegenüber des Eingangs erschien plötzlich eine goldene Tür, die ein regenbogenfarbenes Schimmern umgab. Dem König klappte der Mund auf, der Narr rieb sich die Augen und die Königin brachte immerhin ein entzücktes „Ach, sieht das aber schön aus!“ zustande. Der Mann im grauen Gewand schien der Anblick kalt zu lassen. Er hielt dem gaffenden König das abgestempelte Formular unter die Nase.
„Gebt dies dem Schlüsselmeister hinter der Tür und quittiert ihm bitte den Empfang unten rechts im grün umrandeten Feld.“, erläuterte er dem König, der immer noch die schimmernde Tür anstarrend wortlos den Zettel entgegennahm.
Der König schritt auf die Tür zu. Die Königin und der Narr folgten ihm dicht auf den Fersen. Sie hielten den Atem an, als sie durch die Tür schritten. Auf der anderen Seite angelangt standen sie in einer riesigen Halle, der die Größe des Thronsaals bei Weitem übertraf. Die Wände waren glatt und hatten eine graue Farbe. In der Mitte schwebte ein leuchtendes Gebilde über einem Sockel aus Stein, der etwa hüfthoch zu sein schien. An der Wand links von ihnen, sahen sie unzählige Bilderrahmen, die Porträts enthielten. Allerdings waren sie zu weit weg, um Details auf den Bildern erkennen zu können. Als der König sich zur Königin und dem Narren umdrehte, sah er gerade noch, wie die schimmernde Tür sich in Luft auflöste und eine kahle Wand zurückließ.
„Äh..die Tür ist verschwunden.“, deutete der König auf die Wand hinter ihnen und die Königin und der Narr drehten sich nun ebenfalls um und starrten eine leere graue Wand an.
„Wie…wie…wie kommen wir dann wieder hier heraus?“, stotterte der Narr mit ängstlicher Stimme.
„Ich geleite Euch zum Ausgang sobald Ihr mir den Empfang des Jadeschlüssels der Weisheit quittiert habt.“, ertönte plötzlich eine helle Stimme hinter ihnen. Sie zuckten erschrocken zusammen und fuhren herum. Vor ihnen stand eine ausgesprochen attraktive junge Frau, die ihnen ein freundliches Lächeln schenkte. Sie hatte ein rotes kurzes Kleid an, das wie Seide schimmerte. Der König musterte sie aufmerksam und nicht ohne Wohlwollen.
„Ähem…und Ihr seid, wertes Fräulein?“, fragte der König ohne das sich seine Augen von den wohlgeformten Kurven der jungen Frau lösen konnten.
„Ich bin Susi, die Schlüsselmeisterin.“, lächelte sie ihn an, wandte sich um und lief auf das leuchtende Gebilde in der Mitte der Halle zu. „Wenn Ihr mir bitte folgen wollt…“, rief sie dem staunenden König über die Schulter zu.
Sie trotteten hinter Susi, der Schlüsselmeisterin her. „Ihr habt sehr hübsche Schuhe an.“, bemerkte der König, als er sich beeilte mit ihr Schritt zu halten und dabei kaum den Blick von ihren hin und her schaukelnden Hüften und dem verführerisch geformten Hintern abwenden konnte. Auf einmal klatschte ihm die Hand der Königin gegen den Hinterkopf.
„Schöne Schuhe, bah!“, murmelte die Königin, die seine Blicke mürrisch verfolgt hatte.
„Also Eure Schuhe finde ich aber auch sehr hübsch, Hoheit.“, wollte sich der Hofnarr bei der Königin anbiedern. Die sich vereengenden Augen der Königin, die ihn daraufhin taxierten, ließen ihn schnell irgendetwas Hochinteressantes zu seinen Füßen entdecken.
Die Schlüsselmeisterin blieb direkt vor dem steinernen Sockel mit dem schwebenden Leuchtgebilde stehen. Jetzt konnte man auch erkennen, daß es sich um eine Kugel aus Licht handelte in deren Inneren ein grüner Schlüssel zu sehen war. Sie streckte dem König die Hand hin: „Gebt mir bitte das unterschriebene Formular.“ Dabei hielt sie ihm einen Stift hin.
„Narr, ich brauche mal kurz Euren Rücken.“, befahl der König, breitete den Zettel auf dem Rücken des Narren aus und unterschrieb in dem Feld, daß ihm der seltsame Mann in dem grauen Gewand genannt hatte. Die Schlüsselmeisterin nahm das Formular, faltete es und steckte es sich in den Ausschnitt. Sie trat einen Schritt zur Seite und bedeutete dem König näherzutreten.
„Ihr müsst nur zugreifen. Dann gehört der Jadeschlüssel Euch.“, erklärte sie und schenkte dem König ein freundliches Lächeln.
„Was kann ich dann damit tun? Welche Tür wird mit dem Jadeschlüssel geöffnet?“ In der Stimme des Königs lag eine Mischung aus Misstrauen und Unsicherheit.
Die Schlüsselmeisterin lächelte immer noch als sie antwortete: „Keine. Ihr könnt nichts mit dem Jadeschlüssel erringen, was Ihr mit dem Erreichen dieser Halle nicht schon errungen hättet.“
„Ihr sprecht in Rätseln.“, erwiderte der König und runzelte die Stirn.
Die Schlüsselmeisterin nahm ihn am Arm und wandte sich der Porträtwand zu. Während sie langsam mit dem König quer durch die Halle spazierte, fing sie an zu erklären.
„Ihr seid rasant zum König aufgestiegen, nur hattet Ihr nicht die Fähigkeiten eines Königs. Ihr hattet nur ein paar listige Gedanken und das Glück, daß Euer Vorgänger ein noch schlechterer König war. Euch hätte das gleich Los wie er und das zig anderer schlechter Könige zuvor ereilt.“ Sie blieben stehen und sie sah ihm direkt ins Gesicht. Er schwieg betreten.
„Ihr habt Euch aber entschlossen den Schlüssel der Weisheit zu finden. Dabei habt Ihr all jene Fähigkeiten und Charakterzüge entwickelt, die ein guter und gerechter König benötigt. Heldenmut, Tapferkeit, Mitgefühl, Leidenschaft, Urteilsvermögen, Entscheidungsfreude und viele mehr. Ihr habt nun Alles, was Ihr braucht um ein blühendes Königreich zu erschaffen und zu regieren.“
Der König schluckte seinen Kloß im Hals herunter. „Und der Schlüssel?“, versuchte er mit räuspernder Stimme hervorzubringen.
„König, Ihr werdet nicht ewig leben. Es werden Euch Könige nachfolgen, die ebenso wie Ihr nicht von Natur aus all diese Fähigkeiten mitbringen. Auch für diese Könige soll der Jadeschlüssel ein Ansporn sein, sich weiterzuentwickeln und vielleicht zu dem König zu werden, den das Königreich dann wieder braucht.“
Der König blickte nun an der Porträtwand hoch. Auf allen Bildern sah er glücklich lächelnde Könige, die neben dem Jadeschlüssel posierten. Und als er so hochsah und dabei Bild um Bild betrachtete, bemerkte er erst gar nicht, daß er selbst zu lächeln anfing.
Immer noch vor sich hinlächelnd ging er mit Susi in die Mitte der Halle zum Jadeschlüssel zurück. Narr und Königin hoben wortlos die Schultern und sahen die Beiden neugierig an.
„Darf ich nun ein Bild von Euch machen?“, fragte die Schlüsselmeisterin und zog dabei auf einmal einen seltsamen handlichen schwarzen Kasten hervor, der auf der Vorderseite ein kleines rundes Fenster hatte. Der König stellte sich neben den schwebenden Jadeschlüssel und sah so glücklich aus, wie schon lange nicht mehr. Man hörte ein leises Summen aus dem kleinen Kasten der Schlüsselmeisterin, dann wurde er von einem Blitz geblendet.
Der König rieb sich die Augen. Tage schon hatte er im Thronsaal zugebracht, Streitigkeiten geschlichtet und Entscheidungen gefällt. Dann gab es bereits seit einer Woche Spanferkel zu essen, weil der Hofnarr wieder angefangen hatte seinen Ferkeltrick vorzuführen. Mit mäßigem Erfolg. Er war müde, nein, er war erschöpft und freute sich schon auf das vor ihm liegende Wochenende. Er wollte mit der Königin die nächsten zwei Tage nur im Bett verbringen, lange schlafen und den einen oder anderen schmutzigen Gedanken mit ihr zusammen in die Tat umsetzen. Nur noch ein Bittsteller war allein im Thronsaal zurückgeblieben. Den musste er noch anhören, dann konnte er Feierabend machen.
„Was ist Dein Begehr?“, winkte er den zersaust aussehenden Alten zu den Stufen des Throns heran. Sein fleckiger Mantel schleifte auf den Steinfliesen, als er heranhumpelte.
„Ich leide Not, Hoheit…“, ächzte der alte Mann, stolperte und fiel vor dem Thron zu Boden. Der König sprang auf und eilte dem Alten zu Hilfe. Der war aber mit einem Mal recht flink auf den Beinen und zog unter seinem Mantel einen langen blankpolierten Dolch hervor.
„…seit Ihr Euch meinen Thron unter den Nagel gerissen habt, Halunke!“, schrie der alte Mann ihn an und warf den zerschlissenen Mantel weit von sich.
Der König taumelte und wich die Stufen hinauf zurück. „Ihr seid es!“, entfuhr es ihm erschrocken. Der frühere König machte einen erneuten Vorstoß mit dem Dolch und trieb so den König auf den Thron. Der stolperte ausweichend rückwärts und saß nun gefangen und ohne weitere Rückzugsmöglichkeit in dem massiven Stuhl. Triumphierend und boshaft grinsend hielt der alte König seinem Nachfolger den Dolch vor die Brust.
„Nun werdet Ihr Euer schändliches Treiben büßen.“, knurrte der Alte und in seinen Augen blitzte die Mordlust. Der König kniff die Augen zusammen und erwartete den Todesstoß, als er ein leises Bimmeln vernahm.
Er riss die Augen auf und sah erschrocken, wie eine Schwertspitze sich von hinten durch die Brust des ehemaligen Königs gebohrt hatte. Der sank mit einem überraschten Gesichtsausdruck stöhnend auf die Stufen und blieb dort leblos liegen. Die Königin sah traurig und erleichtert zugleich aus, in einer Hand hielt sie ihr liebgewonnenes Aussteuer-Schwert. Der König erhob sich mit zitternden Beinen, nahm ihr das Schwert aus der Hand und legte es nieder. Sie sah ihn mit tränennassen Augen an, dann umarmten sie sich fest und standen noch lange eng umschlungen auf den Stufen des Throns.
Epilog – In dem noch ein paar salbungsvolle Worte fallen und sich der Erzähler verabschiedet.
Auch wenn es Viele von Euch nicht glauben mögen, so ist dies doch eine wahre Geschichte. So und nicht anders hat es sich zugetragen, denn mein Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater oder zumindest einer von denen, die vor langer Zeit gelebt haben, war dabei.
Heute wissen wir natürlich nichts mehr von bimmelnden Schnabelschuhen und Glöckchenschwertern, oder von Dingen, die gerne „Bonk!“ machen. So nach und nach ging dies Alles im Schleier der unaufhaltsam vergehenden Zeit verloren.
Doch das Königreich um die Ecke ist gar nicht so weit entfernt, wie es für Manche den Anschein hat. Einige wissen, wie man dort hinkommt und halten sich immer wieder unbemerkt dort auf. Wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man diese Menschen an ihrem Lächeln im Gesicht und einem kaum wahrnehmbaren Bimmeln, wenn sie über die Straße gehen. Hoffentlich gehören recht Viele von Euch da draußen auch zu diesen Glücklichen.
Irgendwann gibt es vielleicht wieder etwas Neues aus dem Königreich um die Ecke zu erzählen, doch bis dahin lasst uns diese Tür leise schließen.
„Bonk.“
(c) Doc
edit: Aaarghs...diese Tippfehler machen mich noch fertig.