Marina Heib - Drei Meter unter Null

  • Infos zum Inhalt
    Sie wollte Pippi Langstrumpf werden, schwang sich wie Tarzan mit Lianen durch ihr Kinderzimmer und bastelte sich ein Tipi wie Winnetou. Sie wollte werden wie ihre Helden aus den Büchern, die sie las, ja verschlang. Sie hatte eine großartige Kindheit, ihre Eltern liebten sie über alles – und doch wurde sie später etwas, womit niemand rechnete, niemand rechnen konnte. Sie wurde Serienmörderin …


    Daten zum Buch


    Autor: Marina Heib
    Titel: Drei Meter unter null
    Seiten: 256
    Erscheinungsjahr: 2017
    Verlag: Heyne
    ISBN: 978-3453271111


    Rezension


    Bücher aus der Täterperspektive gibt es nicht gerade wie Sand am Meer, von fast 400 Büchern, die ich gelesen habe, waren genau drei davon dabei. Das erste war Paul Cleaves Debütroman Der siebte Tod, an das zweiten kann ich mich nur schemenhaft erinnern – es war nicht sonderlich gut – und das dritte ist Drei Meter unter null – und ist mit Abstand das beste.


    Ich kannte Marina Heib vorher nicht, wusste auch nicht mehr, was mich bei Drei Meter unter null erwartet, obwohl ich Wochen zuvor eine Rezension dazu gelesen habe. Doch bereits auf den ersten Seiten wird klar, was einem hier begegnet – oder auch nicht. Denn die erste Hälfte ist komplett anders als die zweite. In der ersten Hälfte begegnet man einer Frau, die Mitte 30 und erfolgreich in ihrem Beruf ist, eine Eigentumswohnung in Berlin-Mitte hat, sich eine Jacht kaufen will und Leute ermordet. Das tut sie scheinbar willkürlich, egal, ob das der wohlhabende Hermann oder der versoffene Penner Henryk ist. Man kennt auch ihr Motiv nicht, denn weder hatte sie eine schreckliche Kindheit, noch legte sie die klassische Bettnässer-Tierquäler-Feuerleger-Karriere hin, die man als Serienkiller ja offenbar absolviert haben muss. Würde die Geschichte nur aus der ersten Hälfte bestehen, Psychologen würden sich die Zähne an dem Fall ausbeißen.


    Doch ab dem Moment, ab dem der Buchtitel in der Geschichte zum ersten Mal fällt, beginnt man zu verstehen – die Geschichte, die Hintergründe, das Motiv, die Person. Ab dann wird alles klar, man kann die Motive nachvollziehen, man versteht, wieso die Mörderin im Kindergarten grundlos andere Kinder verprügelt hat, man versteht, wieso sie Alpträume hatte, man versteht alles, und man kann so gut nachvollziehen, warum sie heute tut was sie tut. Die zweite Hälfte ist so emotional wie die erste es nicht ist. Die erste ist eine kühl geschilderte Geschichte einer Frau, aus der Sicht dieser Frau, eine Geschichte über Hinz und Kunz, über Krethi und Plethi; Namen sind Schall und Rauch in dem Buch, die Protagonistin hat selber keinen, zumindest keinen, zu dem sie steht. Die zweite Hälfte ist das emotionalste, das ich jemals gelesen habe und sorgt für eine Menge Gänsehaut und mehr.


    Das Buch ist ein innerer Monolog mit relativ wenigen Dialogen, das einen sprachlichen Spagat zwischen gebildet und roh vollzieht. Der Showdown kommt ohne Pistolenschüsse, Verfolgungsjagden oder Explosionen aus, sondern ist ruhig, gefühlsbetont und ergreifend – eben, weil die Geschichte kein x-beliebiger Thriller ist. Drei Meter unter null beginnt mit prächtigstem Sonnenschein und endet in dunkelster Finsternis.


    Fazit: Ich habe davor nie etwas von Marina Heib gehört, geschweige denn gelesen, aber dieses Buch hat sich mir ins Hirn gebrannt und ich werde vermutlich zum Serientäter werden – schuldig im Sinne der Anklage.

  • Danke für diese interessante Rezi. Gut, dass ich das Buch schon auf meinem SUB habe. :-)

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Die namenlose Ich-Erzählerin beschließt im Alter von 34 Jahren, ihr normales Leben aufzugeben und zur Mörderin zu werden. Akribisch bereitet sie sich auf jede Tat vor und beschreibt ihr Vorgehen in allen Einzelheiten. Schnell wird deutlich, dass es sich hier nicht um eine wahllos tötende Serientäterin handelt, sondern um eine zu allem entschlossene Frau, die nach einem sorgfältig ausgearbeiteten Racheplan vorgeht.
    Aufgewachsen bei liebevollen Eltern, merkt sie schon früh, dass sie anders ist als andere Kinder. Sie neigt zu Gewaltausbrüchen. Wer als Kind gern Pippi Langstrumpf oder Winnetou gewesen wäre, kann kein schlechter und grausamer Mensch sein. Oder doch?


    Auf 249 Seiten erzählt Marina Heib eine bemerkenswerte Geschichte von Liebe, Rache und Vergebung. Mit jeder Stimmungsänderung der Protagonistin ändert sich auch der Schreibstil. Erinnerungen an Kindheit und Jugend werden in einem ausschweifenden, poetischen Stil erzählt, die Gegenwart dagegen in knappen, kurzen Sätzen wiedergegeben.


    Die Protagonistin lässt tief in ihr Innerstes blicken und versteht es doch, den Leser mit ihrer nüchternen Art auf Distanz zu halten. Bei aller Faszination blieb sie mir fremd, auch wenn sie mir nicht unsympathisch war und ich trotz ihrer grausamen Taten am Ende Verständnis für sie aufbringen konnte. Man möchte ihr zurufen: Verschwende doch nicht dein Potential! Doch schließlich nach einer letzten unerwarteten Wendung habe ich das Buch zufrieden zugeklappt und mir war klar, dass sie gar nicht anders handeln konnte.