Unterschiedliche Literatur mit gleichem Maßstab beurteilen?

  • Ich gehe eigentlich mit sehr unterschiedlichen Erwartungshaltungen an verschiedene Arten von Literatur. An einen Groschenroman wie John Sinclair & Co. stelle ich andere Ansprüche, als an ein Sachbuch über Schwarze Löcher oder an einen Roman von Terry Pratchett oder Iris Kammerer.


    Ich schränke obige Aussage deswegen mit "eigentlich" ein, weil ich in den letzten Monaten immer wieder feststelle, daß es mir häufiger passiert jede Art von Literatur über den gleichen Kamm scheren zu wollen und so evtl. auch einem Buch mal "Unrecht" zu tun, weil es meinem vielleicht zu kritischen Blick nicht standhält.


    Wie ist das bei Euch?
    Differenziert Ihr und berücksichtigt Ihr in der Beurteilung von Literatur deren Gattung und Zielrichtung oder habt Ihr EINEN Maßstab, an dem sich wirklich ALLES messen lassen muß?


    Gruss,


    Doc

  • Ich war früher mal der Ansicht, dass man verschiedene Messlatten anlegen sollte, beispielsweise für Erstlingswerke.


    Mittlerweile habe ich diese Meinung aber revidiert und lege an alle Bücher denselben Maßstab an. Warum sollte ich Abstriche machen? Ich verlange gute Recherchen, einen ansprechenden Erzählstil, eine nachvollziehbare Handlung, Sprachrichtigkeit undundund Und das von jedem Autor.


    Und warum bin ich so streng?


    Schließlich bezahle ich für die Bücher auch Länge mal Breite. Inhaltlicher oder stilistischer Schwachsinn sind meines Wissens auch kein Grund zur Reklamation oder für Geld-zurück.


    Und ich sehe auch nicht ein, warum ich einem Schreiberling, nur weil er unbedingt sein vielleicht gar nicht so gut geratenes Erstlingswerk kommerziell an die Leute bringen will, sein Hobby finanzieren soll.


    Ich verlange Leistung, und die honoriere ich auch gerne. In meinem Beruf muss ich auch zur Zufriedenheit meines Chefs arbeiten, sonst bin ich weg vom Fenster.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

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  • <Iris streicht errötend über das Lorbeerkränzchen ...>


    Obwohl ich natürlich nicht wirklich beurteilen kann, ob das tatsächlich so funktioniert, wie ich mir das vorstelle, nehme ich mir immer vor, unterschiedliche Maßstäbe anzusetzen und Klassiker nicht nach denselben Kriterien zu beurteilen, nach denen ich die leichte Muse beurteile. Es wäre ja schlichtweg Quatsch. Man kann auch an Bach-Kantaten nicht mit demselben Gradmesser rangehen wie an Songs von den Beatles und an Comics à la Asterix nicht mit denselben wie an Gemälde von Caspar David Friedrich. ;-)


    Allerdings gibt es gewisse Grundvoraussetzungen, die ein Buch erfüllen muß, um mir zu gefallen. Da ich z.B. Die Wanderhure wirklich sehr gerne gelesen habe, sollte klar sein, daß das nicht bedeutet, ein Buch müsse "Hochliteratur" sein (was immer das heißen mag), aber ich erwarte eben, daß nicht offenkundig geschlampt wird und daß ich nicht für dumm verkauft werde.

  • Zitat

    Original von Iris
    Man kann auch an Bach-Kantaten nicht mit demselben Gradmesser rangehen wie an Songs von den Beatles und an Comics à la Asterix nicht mit denselben wie an Gemälde von Caspar David Friedrich. ;-)


    Der Unterschied besteht für mich schlichtweg darin, dass ich eine Bach-Kantate genauso wie einen Beatles-Song ohne weiteres kostenlos hören kann. Und erst wenn mir ein Musikstück voll und ganz gefällt, erwerbe ich käuflich.
    Und wer kann sich schon einen echten Caspar David Friedrich leisten?


    Aber für Bücher muss ich vor dem "Konsum" bezahlen. Sicher: ich kann in der Buchhandlung reinschmökern, aber das sind Blitzlichter, die man hinterher ganz anders bewertet. Und was ich von Rezensionen halte, sage ich lieber nicht.


    Und bevor jemand sagt, ich solle mir ein Buch eben ausleihen: ich hasse diese verschnuddelten Bibliotheksbücher *igitt*

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  • Ich finde nicht, daß man alles Geschriebene über einen Kamm scheren kann.
    Wie Iris schon andeutete, kann man einen Klassiker nicht mit Belletristik "neuerer" Zeit vergleichen - da stimmt der Kontext ja schon nicht mehr.


    Lese ich bspw. ein Sachbuch, ist es für mich ganz klar ein anderer Maßstab, als wenn ich einen Roman lese. Ich kann den Unterschied nicht wirklich erklären - das eine ist wohl eher - für mich - eine Art Nachschlagewerk, das ander Unterhaltung. Aber eines steht fest: merkt man, daß es nicht gut recherchiert ist, fallen beide bei mir unten durch. (Vielleicht schere ich doch über einen Kamm?)


    Bei Büchern aus derselben Sparte ist es mir auch egal, ob es ein Autoren-Neuling ist, ein Vielschreiber oder ein Gelegenheitsschreiber. Fesselt mich die Geschichte, ist sie gut geschreiben / beschrieben, dann ist das Buch für mich gut. Ist es umgekehrt, dann eben nicht.


    Wegen der Zielgruppe - ist es ein Kinderbuch, dann hat es natürlich einen anderen Maßstab, als ein Buch für Jugendliche oder Erwachsene.


    Momo

    Momo


    Alles Wissen und alle Vermehrung unseres Wissens endet nicht mit einem Schlusspunkt, sondern mit einem Fragezeichen.
    -Hermann Hesse-

  • Zitat

    Original von Momo
    Aber eines steht fest: merkt man, daß es nicht gut recherchiert ist, fallen beide bei mir unten durch. (Vielleicht schere ich doch über einen Kamm?)


    So ist es, Momo.
    ;)


    Natürlich beziehe ich schon die Zeit, in der ein Werk geschrieben wurde, mit ein. Die Sprache eines Goethe ist natürgemäß eine andere als die einer Iris Kammerer. Aber sowas meinte ich nicht. Beide haben auf ihre Art gute Werke geliefert, für die ich gerne bezahle.

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  • Hallo Doc,


    die von Dir aufgeworfene Frage hat mich darüber nachdenken lassen, wie ich an Literatur herangehe.
    Vorweg: ich gehe an jedes Buch mit einer unterschiedlichen Vorstellung heran. Weniger ausschlaggebend ist dabei, ob es sich um ernsthafte oder Unterhaltungsliteratur, Krimi oder Sachbuch handelt. Wichtig ist der Inhalt bzw. bei einem Sachbuch das behandelte Thema. Von einem Buch, das mich unterhalten soll, erwarte ich nicht unbedingt geistreiche Ergüsse, sollten sie aber auftreten, ist das ein netter Nebeneffekt. Von einem Sachbuch erwarte ich, dass es mich über einen Sachverhalt mit seinen Facetten informiert.


    Auf zwei Sachen lege ich allerdings bei jedem Buch wert, nämlich die Sprache und den Stil, letzteren vor allem bei Sachbüchern. Ein gutes Beispiel für einen Stil, der mich genervt hat, ist von Günther Ogger "Die Ego-AG". Meine Erwartunghaltung ging bei diesem Werk in die Richtung, dass ein Wirtschaftsjournalist (er bezeichnet sich selbst so) in der Lage sein sollte, einen Sachverhalt chronologisch zu ordnen und ihn für den Leser entsprechend aufzubereiten. Ebenfalls hätte ich mehr Sachlichkeit erwartet. Stattdessen bekam ich beim Lesen den Eindruck, der Autor wollte die Leser seines Werkes gegen bekannte Unternehmen und Kommunalpolitiker aufhetzen. Die Information stand letztlich im Hintergrund.



    LG
    Salonlöwin

  • Zitat

    Original von Alice


    So ist es, Momo.
    ;)


    Das bringt mich jetzt echt zum Nachdenken...


    V.a. auch meine Erwartungen, die ich an ein Buch stelle, bevor ich den ersten Satz gelesen habe, bzw. bevor ich das Buch im Buchladen auf den Thresen lege.


    Momo

    Momo


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    -Hermann Hesse-

  • Sagen wir so: Es gibt gemeinsame Maßstäbe, die mein Gefallen betreffen, aber durchaus auch unterschiedliche, nach denen ich die tatsächliche Qualität eines Textes, seinen Wert, beurteile, und die liegen in den unterschiedlichen Techniken (z.B. bei fiktionaler vs. non-fiktionaler Literatur) und dem jeweiligen Hintergrund.

  • Ich finde es aber gar nicht so leicht, z. B. nach einem wirklich gut geschriebenen Roman gehobener Güte die Messlatte wieder niedriger anzusetzen, wenn ich danach beispielsweise einen Jugendroman lese.


    Mir ist das beispielsweise bei Eschbachs "Das Marsprojekt" so ergangen. Beileibe kein schlechtes Buch, aber ich hatte schon Probleme den Roman halbwegs fair zu beurteilen, eben weil ich kurz vorher eine ganz andere Art von Literatur mit Begeisterung verschlungen habe. Dann habe ich diesen für Jugendliche konzipierten Roman gelesen und war insgeheim ein bischen enttäuscht, wobei das aber mit großer Sicherheit an mir bzw. meinem Anspruchsdenken gelegen ist und nicht am Buch selbst.


    Gruss,


    Doc

  • Für die meisten Genre habe ich ein einheitliches Kriterium:


    So wenig Logikfehler wie möglich, außer, es ist wirklich vom Autor gewollt (siehe Eco)


    Denn, es unterscheidet sich ein guter Autor von schlechten Autoren, indem er sorgfältig und bedacht arbeitet.


    Gruß

  • es gibt gewisse Ansprüche die ich an jedes Buch stelle: Erzählfluß, interessantes Thema, Ausdruck, Gliederung, logischer Aufbau


    und dann gewisse Ansprüche je nachdem Genre des Buches: ein Thriller ist was anderes als ein historischer Roman und wieder was anderes als Fantasy.
    In jedem Bereich erwarte ich mir bestimmte Aspekte.

  • Zitat

    Original von taciturus
    es gibt gewisse Ansprüche die ich an jedes Buch stelle: Erzählfluß, interessantes Thema, Ausdruck, Gliederung, logischer Aufbau


    und dann gewisse Ansprüche je nachdem Genre des Buches: ein Thriller ist was anderes als ein historischer Roman und wieder was anderes als Fantasy.
    In jedem Bereich erwarte ich mir bestimmte Aspekte.


    :write Kann ich 100% unterschreiben. Allerdings fällt mir auf, dass meine Ansprüche wachsen, je mehr Bücher ich in einer bestimmten Zeit lese.

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Ich finde es aber gar nicht so leicht, z. B. nach einem wirklich gut geschriebenen Roman gehobener Güte die Messlatte wieder niedriger anzusetzen, wenn ich danach beispielsweise einen Jugendroman lese.


    Warum muß die Meßlatte bei einem Jugendroman niedriger hängen? Jugendliche sind doch nicht dümmer, oder? :lache
    Ein wirklich gutes Jugendbuch, ja selbst ein wirklich gutes Bilderbuch erfüllt durchaus auch Ansprüche, die über Äcktschn und Achwieniiiiiiiiiedlich hinausgehen. :grin


    Ich für meinen Teil habe keine Probleme mit meinem Anspruchsdenken -- auch nicht damit, daß ich frühere Lieblingsschmöker heute ganz anders bewerte.


    Man entwickelt sich eben weiter -- und das ist gut so. :lache

  • Zitat

    Original von Iris
    Warum muß die Meßlatte bei einem Jugendroman niedriger hängen? Jugendliche sind doch nicht dümmer, oder? :lache


    Okeeh. Das war etwas unglücklich von mir formuliert. Ich meinte damit eigentlich, daß es mir einfach z. Zt. schwerer fällt mein Anspruchsdenken, meine Erwartungshaltung, einem Buch bzw. dessen "Zielgruppe" oder "literarischen Zugehörigkeit" anzupassen.


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Ich meinte damit eigentlich, daß es mir einfach z. Zt. schwerer fällt mein Anspruchsdenken, meine Erwartungshaltung, einem Buch bzw. dessen "Zielgruppe" oder "literarischen Zugehörigkeit" anzupassen.


    Ist das wirklich ein Problem deines Anspruchsdenkens? Oder nicht eher die Befürchtung, nicht den richtigen Stoff zuhause liegen zu haben? :lache


    Das wird schon wieder!

  • Ein Buch muß eine gute Geschichte gut erzählen, das ist m.E. alles. Es gibt weder Gründe, vor den sog. "Klassikern" ehrfürchtig auf die Knie zu fallen, noch solche, sog. "Trivialliteratur" zu verteufeln. Der Schöpfungsprozeß stimmt weitgehend überein. Ansonsten gilt der Eingangssatz.

  • Zitat

    Original von Iris
    Oder nicht eher die Befürchtung, nicht den richtigen Stoff zuhause liegen zu haben? :lache


    Du könntest recht haben...
    ...vielleicht mutiere ich aber auch einfach nur zu einer Frau, stehe vor dem überfüllten RUB und rufe verzweifelt: "Ich hab' nix zu lesen!"


    Gruss,


    Doc, der ein Déjà Vu hat

  • Mir reichen meine Ansprüche im Berufsleben für die monatliche Enttäuschungsdosis schon völlig. Da kann ich nicht auch noch bei jedem Buch, dass ich in die Finger kriege, Enttäuschungen verkraften. ;-) Deshalb liegt die Messlatte ziemlich unterschiedlich. An ein Sachbuch habe ich den Anspruch, dass es keine Fehler enthält und sorgfältig und informativ aufbereitet ist.
    Bei Romanen, die in erster Linie eine Unterhaltungsfunktion haben, bin ich nicht ganz so pingelig. Da lege ich nicht jedes Wort auf die Goldwaage, solange es keine absolut anachronistischen Patzer enthält. Natürlich freue ich mich auch da über wirklich gut recherchierte Geschichten.


    Allerdings steigen meine Erwartungen durchaus, wenn ich von einem Autor mehrere Bücher gelesen habe, die mir gefallen haben. Dann kann es schon mal sein, dass ich ein Buch nur anlese.


    Ansonsten lege ich Wert auf eine gut durchdachte Story ohne logische Fehler, die mich fesselt und auch lange beschäftigt. Einen Bonus für Erstlingswerke im Sinne von muss-noch-nicht-perfekt-sein gibts nicht. Mein Geld ist ja auch nicht fehlerhaft. ;-)