Die jüngste Miss Ward - Joan Aiken

  • Aber Erinnerungen sind wie welkes Laub - so hat er einmal gesagt -, das herunterfällt und den Boden nährt, auf dem dann andere Pflanzen gedeihen. (Seite 432)


    439 Seiten, gebunden
    Originaltitel: The Youngest Miss Ward
    Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann
    Verlag: Diogenes Verlag AG, Zürich 04/2000
    ISBN-10: 3-257-06233-8
    ISBN-13: 978-3-257-06233-5



    Zum Inhalt (eigene Angabe)


    In Jane Austens Roman „Mansfield Park“ spielen die Ward-Schwestern eine Rolle. Diese hat Joan Aiken aufgegriffen, eine vierte Schwester hinzuerfunden und um selbige einen atmosphärisch dichten Roman gewoben, der in die Zeit vor „Mansfield Park“ führt und sowohl auf das Schicksal der schon von dort bekannten Figuren (die allesamt gut wiederzuerkennen sind) eingeht als auch vor allem das der vierten Ward-Schwester Hatty beschreibt.
    Ähnlich wie es einst Fanny Price ergehen wird, schickt sie ihre Familie zu Verwandten nach Portsmouth, wo sie unter anderem Lord Camber begegnet. Nachdem ihre Schwester Fanny durchgebrannt ist, wird sie weggeschickt und muß ihren eigenen Weg finden, was in der damaligen Zeit gar nicht so leicht ist.



    Über die Autorin


    Joan Aiken (1924 - 2004) war eine britische Schriftstellerin, die unter anderem fünf Jane-Austen-Folgeromane verfaßte.



    Meine Meinung


    Als ich klein war, glaubte ich, daß es im Leben immer nur bergauf geht, bis der Gipfel erreicht ist, und daß es, je höher man kommt, desto schöner wird. Jetzt weiß ich, daß das ein Kindertraum war. (S. 432) Es bedarf einer gewissen Klugheit und Erfahrung, um zu diesem Schluß zu kommen. Beides kann man Hatty, der Hauptfigur gewißlich nicht absprechen, vor allem nicht gegen Ende des Buches.


    Über mehrere Jahre hinweg wird die Geschichte der (fiktiven) jüngsten der Ward-Schwestern, die man aus „Mansfield Park“ kennt, erzählt. Dort tauchen Marie (Lady Bertram), Agnes (Mrs. Norris) und Frances (Mrs. Price) auf. Natürlich ist auch hier von ihnen die Rede, wobei es erstaunlich ist, wie gut Joan Aiken die Austenschen Figuren getroffen hat. Zwar sind sie hier einige Jahre jünger, manche Ereignisse, die in Mansfield Park bereits Vergangenheit (bzw. Gegenwart) sind, finden hier erst statt oder stehen noch bevor, aber sie sind doch sehr gut und eindeutig getroffen.


    Die Hauptfigur ist jedoch die jüngste der Ward-Schwestern, die Joan Aiken für diesen Roman hinzuerfunden hat. Nicht so gesellschaftskritisch wie Jane Austen, aber dennoch mit einer gehörigen Portion Ironie schildert die Autorin das Leben von Harriet Ward oder Hatty, wie sie meist genannt wird. Diese hat es nicht leicht und wird des Öfteren von einem zum nächsten geschubst, weil sie entweder unerwünscht ist oder in den Augen der Anderen gegen irgendwelche „Regeln“ oder Konventionen verstoßen hat.


    Verwunderlich ist, wie sie sich unter diesen Umständen zu einer so ruhigen, gefestigten und selbstsicheren Frau entwickeln konnte. Aber mit einem langmütigen Gemüt wie dem ihren kann man wohl ziemlich viel ver- und ertragen, bis irgendwann dann doch der Kragen platzt. Wobei sie mit ihrer Geradlinigkeit durchaus an die Fanny Price des Jane Austen Romans erinnert.


    Daneben gibt es eine Reihe mehr oder weniger sympathischer Figuren, aus denen vor allem Lady Ursula als besonders unerfreuliche Erscheinung hervorsticht. Nun mag auf den zweiten Blick nicht immer alles so sein, wie es auf den ersten erscheint, dennoch zählt sie für mich mit Sicherheit zu den unangenehmsten Figuren, von denen ich je gelesen habe.


    Die Geschichte selbst entwickelt sich sehr folgerichtig, die Figuren handeln im Rahmen ihrer Zeit und Gesellschaft glaubwürdig, die Beschreibungen waren so, daß ich mir alles gut vorstellen konnte und das Kopfkino recht lebhaft lief. Zwar hatte ich zwischendurch das Gefühl, daß sich die Handlung zu düster entwickelt, aber das verflog recht bald wieder. Einzig den abschließenden Brief, der wohl ins 20. Jahrhundert zu datieren ist, hat mir etwas Stirnrunzeln verursacht; das Buch hätte gut ohne ihn zu Ende gehen können.


    Insgesamt hat es Spaß bereitet, etwas von der Vorgeschichte zu Mansfield Park zu erfahren. Ich bin sicher, wenn ich die Vorlage wie einmal lese, werde ich die Ereignisse dieses Buches im Hinterkopf präsent haben.



    Mein Fazit


    Durch die fiktive Harriet Ward erfahren wir einiges über die Geschehnisse und die Welt vor den Ereignissen, die Jane Austen in „Mansfield Park“ beschrieben hat. Joan Aiken hat diese Welt gelungen zum Leben erweckt.


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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • The Youngest Miss Ward - Joan Aiken


    Hier noch die englische Originalausgabe.
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Eine wunderbare Rezi SiCollier, du hast das Buch perfekt zusammengefasst. :wave


    Meine Eindrücke:
    Mansfield Park war mir leider nicht mehr präsent, daher war ich froh dieses Buch in einer Leserunde zu lesen. Dank meiner Mitleser konnte so Zusammenhänge bzw. Bezug nehmende Dinge besser verknüpft werden. Man muss Mansfield Park meiner Meinung nach jedoch nicht unbedingt gelesen haben um an diesem Buch Freude zu haben.
    Die Autorin versteht es, sich an Jane Austen zu orientieren und doch etwas eigenes zu erzählen. Von der Erzählweise her fühlte ich mich sofort wohl mit dem Buch und gut an eine meiner Leiblingsautorinnen erinnert. Die Geschichte wurde logisch aufgebaut und flüssig erzählt, die Figuren entwickelten sich, waren lebendig. Lediglich im letzten Abschnitt wurde es mir persönlich etwas zuviel des Guten. Das Ende erschien mir arg konstruiert, und der letzte Brief hätte partout nicht sein müssen - ich persönlich fand ihn völlig überflüssig und hätte ein Ende ohne diesen viel besser gefunden. Auch schien er mir sehr aus der Luft gegriffen.
    Das hat mir die Freude an dem sonst guten Buch etwas vergällt - der Grund, warum es keine Höchstpunktzahl bekommt.