Die Terranauten - T. C. Boyle

  • Science Fiction on Earth


    Was wäre, wenn die Erde, unser Heimatplanet, irgendwann ausgebeutet und nicht mehr bewohnbar wäre? Wenn Umweltkatastrophen, ausgelaugte Böden, verseuchtes Trinkwasser, Hungersnöte, Resourcenknappheit, mit Chemikalien belastete Luft uns zwingen würden, den Bestand unserer Art auf einem anderen Planeten, wie etwa dem Mars, zu sichern? Edward Bass, ein Ölmilliardär ( und Umweltaktivist. Lustige Kombination, wie ich finde.) aus den USA, ließ in den Neunziger Jahren in der Wüste von Arizona einen Gebäudekomplex bauen, die Biosphäre 2, um diesen Ernstfall zu erproben. Jeweils zwei Jahre lang sollte ein Team aus acht Terranauten, bestehend aus vier Frauen und Männern, sich dort unter völliger atmosphärischer Abschottung von außen diesem Experiment ausliefern. Eine moderne Arche Noah, ein empfindsames Ökosystem aus Pflanzen- und Tierarten, ein Regenwald, der Kohlendioxid in Sauerstoff verwandelt, eine Wüste, ein Ozean inklusive Korallenriff, Nutztiere in Form von Hühnern, Ziegen, Schweinen, Enten, die erst genutzt, dann geschlachtet werden. Nichts kommt rein, nichts geht raus, bis nach zwei Jahren die "Ablösung" in Form des nächsten Terranauten- Teams erfolgen sollte. Die 1991 bis 1994 tatsächlich stattgefunden Versuche gelten als gescheitert. Zwar dauerte der erste Versuch zwei Jahre an, es musste aber Sauerstoff künstlich eingeleitet werden und eine Terranautin verließ die Luftschleuse aufgrund eines Unfalles, der zweite Versuch und damit letzlich das gesamte Projekt wurden nach sechs Monaten abgebrochen. 2011 ist die Biosphäre 2 in den Besitz der University Of Arizona übergegangen und dient als Forschungszentrum zu Klimazwecken.


    T. C. Boyle erzählt in diesem Roman die fiktive Geschichte der Terranauten des zweiten Versuchs. Er lässt dabei abwechselnd drei Personen erzählen, die für die Nutztiere verantwortliche Terranautin Dawn, den für den Wasserkreislauf und für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlichen Ramsey, und die für "Biosphäre 3" in den Startlöchern sitzende Linda, die Dawn laut Plan nach zwei Jahren ersetzen soll und ihr Leben außerhalb, in einem nahe gelegenen Wohnkomplex für "Mission 3" - Mitarbeiter fristet und Dawn, ihre beste, bzw einzige Freundin regelmäßig am Besucherfenster, das auch für Presse- und Schulklassenbesuche dient, neben Telefon das einzige Tor zur Außenwelt, aufsucht. Boyle lässt seine Protagonisten erzählen über die Entstehung des Experiments, über Jeremiah, den Geldgeber und Chef, von allen nur "Gottvater" genannt, taucht in tiefste Gedanken, Ängste und Eitelkeiten ein.


    Menschen müssen miteinander auskommen, und wir alle wissen, wie schwierig das ist. Erschwerend kommt hier noch die körperliche Arbeit, der Hunger durch immer knapper werdende Lebensmittel, die Einöde, der schlichte Kampf um das tägliche Überleben, die Beziehung der Wissenschaftler untereinander hinzu. Als Dawn und Ramsey sich 'verlieben' und damit Hoffnungen und Gefühle anderer Terranauten verletzen, bricht die Gruppe schließlich immer weiter auseinander.


    Rachel Carson hat gesagt: 'In der Natur existiert nichts nur für sich selbst', und damit meinte sie, dass jedes Ökosystem aus Vernetzung und Interdepedenz besteht. Es ist eine Gemeinschaft von Organismen, die zusammenwirken, um das Ganze zu erhalten. Unsere Gemeinschaft war nicht anders: was einen betraf, betraf auch die anderen.


    Was mich an diesem Buch wirklich beeindruckt ist die Tatsache, dass Boyle es schafft, die Bedrohung des Menschen durch sich selbst ganz banal zu erzählen. Ohne großen Skandal, Mord- und Totschlag oder sonstigem Splatter. Also weit ab von irgendwelchen Dschungelcamp/ Big Brother- Storys, die man da eventuell vor Augen haben könnte. Die Gruppe hat alles, sitzt in einem fertigen Garten Eden mit medizinischer Versorgung und jeglicher Ausstattung, um sich zu versorgen, sobald aber nur ein kleines Rädchen aus dem großen springt, setzen sich Darwinismus und (überflüssig geglaubte) Evolution fort,



    ohne Rücksicht auf kultivierte Zivilisation. Das alles muss vor der Öffentlichkeit gut versteckt, bzw entsprechend inszeniert werden, denn das Wichtigste an diesem Projekt ist letzlich auch ganz profan: der kommerzielle Erfolg, die Vermarktung, die Schlagzeilen auf den Titelblättern der Yellowpress. Das einzige Ziel vor Augen der Wissenschaftler nach erfolgter Mission bleibt letzlich aber das Verlassen der Biosphäre 2, um mit dem SUV in den nächsten McDonalds zu fahren und sich einen doppelten Big Mac mit Bacon Sunday und einen Liter Cola mit Eis reinzupfeifen. Den wohlverdienten Lohn. Nie mehr ein Leben in Askese. Dabei weiß er doch, wie falsch das alles ist.


    Meine Meinung:
    Dieses riesengroße Glashaus in der Wüste hat mich schon immer fasziniert. Schon immer wollte ich das mal sehen, habe es bisher aber nur einmal in die unmittelbare Nähe geschafft. Ein neuer Anfang, eine Chance, alles nochmal besser zu machen. Begreifen, dass "Gott" eigentlich unser Planet ist, ein anderes Wesen, dem man Respekt und Achtung entgegenbringen muss, weil man in einer Symbiose mit ihm lebt. In meinen Augen ist das ein gelungenes, unaufgeregtes Buch, das den Mensch als das entkleidet, was er ist. Ein rasierter Affe mit Urinstinkten, der dafür sorgen wird, dass dieser Planet stirbt. Mich eingeschlossen. Weil er menschlich ist und das immer bleiben wird, auch mit noch so gutem Willen. Das Zeitalter des Anthropozäns ist in vollem Gange und nicht mehr zu stoppen. Und wenn er irgendwann in solch einem Glaskasten auf dem Mars hockt, wird es wieder so sein, dass der Stärkere gewinnt, wenn der andere die größere Banane hat, für die es sich zu kämpfen lohnt.

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

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  • Ich habe das Buch als Hörbuch gehört, hauptsächlich während ich laufend unterwegs war (Marathon-Vorbereitung) und in dem Rahmen hat es mich gut unterhalten, vor allem weil es inhaltlich nicht zu komplex oder stilistisch zu anspruchsvoll war.


    So richtig begeistert hat mich das Buch aber nicht. Ich finde die Prämisse zu einfach (so, was schreiben wir dieses Jahr denn für ein Buch? Hmm, war da nicht mal dieses Biosphere-Projekt? Ja, das schreiben wir, das wird gut) und dann setzt das Boyle zwar gekonnt, aber auch irgendwie viel zu routiniert um. Alles was unter der Kuppel mit den durchaus interessanten Figuren passiert ist durch und durch nahe liegend.


    Was aber zusätzliche Spannung erzeugte waren ein paar Spielereien mit der Erzählperspektive. Details, die von verschiedenen Figuren unterschiedlich wahrgenommen werden, und vor allem das "Erzählen im Rückblick", das vor allem zum Ende hin, zu interessanten, gewollten Unstimmigkeiten führt ("hier stimmt doch was nicht, das wurde mir doch vorher ganz anders erzählt"). Das war gut, macht das Buch aber damit auch nicht gleich zur Hochliteratur.


    Insgesamt ein solider Boyle, den man lesen kann, aber nicht lesen muss.


    EDIT: noch eine kleine Ergänzung, was ich bei Boyle mit nahe liegenden Umsetzungen meine. Für mich ist dieses Buch eine Versuchsanordnung, genauso wie sein eher enttäuschender Roman San Miguel schon eine Versuchsanordnung war. Menschen werden in einem isolierten Raum ausgesetzt und dann beobachtet Boyle wie sich das Ganze entwickelt wenn man die Naturgewalten ihren Lauf lässt. Wissenschaftlich betrachtet kann der Verlauf eines Versuchs und das Resultat ja sehr interessant sein, aber ich habe diese naive und romantische Vorstellung von der Entstehungsgeschichte eines Romans, die einschließt, dass ein Autor ein persönliches Verlangen hat ein bestimmtes Thema zu bearbeiten, dass er ein Buch unbedingt schreiben muss, aber hier, glaube ich, war am Anfang wirklich nur das Wort "Biosphäre". Alles andere hat sich dann halt ergeben. Glaube nicht, dass Boyle diesen Roman groß geplant hat oder im vornherein irgendeine spezielle Intention hatte.

  • Zitat

    aber hier, glaube ich, war am Anfang wirklich nur das Wort "Biosphäre". Alles andere hat sich dann halt ergeben. Glaube nicht, dass Boyle diesen Roman groß geplant hat oder im vornherein irgendeine spezielle Intention hatte.


    Es ist 2017 und Donald Trump ist Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Er zweifelt den Klimawandel an, treibt den Resourcenverschwendungsabbau an, lässt Pipelines durch Naturreservate bauen und streicht der Wissenschaft die finanziellen Mittel. Amerka first, dicke karren und billiges Benzin für alle. Konfliktmetalle? Fake News. Der gesamte afrikanische Kontinent steuert sozusagen auf eine Katastrophe zu, die Weltbevölkerung wächst ins Unermessliche, "Mars One" ist immer noch in den Köpfen niederländischer Fernsehteams. Was wäre da naheliegender, als an die Geschichte von Biosphäre 2 zu erinnern, die es ja immerhin gegeben hat. Inklusive Scheiterungsgründe des Projekts. Meines Erachten nach - nichts. Kann man aber sicher auch anders interpretieren, für mich ist das alles hochaktuell. "Vorhersehbar" finde ich das auch, aber eben sehr wohltuend. Nicht brachial oder blutig. Ganz realistisch, nicht mehr, nicht weniger.


    Ich muss allerdings zugeben, dass das erst mein zweites Buch des Autors ist, das erste war "Hart auf Hart".

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    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • rienchen - versuch mal "Wassermusik" von ihm, damit setzt er Maßstäbe, die er leider oft selbst nicht mehr erreichen kann.


    Ich habe die Terranauten irgendwann enttäuscht abgebrochen. Es war mir zu langweilig. Es ging unglaublich lange und ausführlich um jede einzelne noch so kleine Befindlichkeit. Dann die neidische Außenseiterin, die ja so böse und von Neid zerfressen ist und mit ihren Monologen irgendwann nur noch nervt und die vielen schwarz/weiß gezeichneten Figuren - das kann Boyle eigentlich besser.

  • Zitat

    Original von Eskalina
    rienchen - versuch mal "Wassermusik" von ihm, damit setzt er Maßstäbe, die er leider oft selbst nicht mehr erreichen kann.


    Ich habe die Terranauten irgendwann enttäuscht abgebrochen. Es war mir zu langweilig. Es ging unglaublich lange und ausführlich um jede einzelne noch so kleine Befindlichkeit. Dann die neidische Außenseiterin, die ja so böse und von Neid zerfressen ist und mit ihren Monologen irgendwann nur noch nervt und die vielen schwarz/weiß gezeichneten Figuren - das kann Boyle eigentlich besser.


    Vielen Dank für deine Einschätzung, Eska. "Die Terranauten" werden dann wohl nicht mein erster Boyle werden. Ich werde es mit "Wassermusik" probieren. :-)

  • Zitat

    Original von Eskalina
    rienchen - versuch mal "Wassermusik" von ihm, damit setzt er Maßstäbe, die er leider oft selbst nicht mehr erreichen kann


    Danke für den Tipp, werd ich machen! :) Wird mich ja dann wahrscheinlich komplett aus den Latschen kippen lassen :lache :wave

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  • Ich habe die Terranauten neulich gelesen und es war mein erster Boyle. Direkt danach las ich America. Beide ließen mich zwar zufrieden zurück, aber irgendwie lief es beide mal nicht ganz rund.


    Terranauten ist eine gute Geschichte und es sind interessante Protagonisten, aber das Buch hätte man auch etwas kürzen können, ist etwas zu langegezogen. Auch gibt es keine Highlights sondern es plätschert so vor sich hin, was nicht unangenehm ist, aber dennoch denkt man ab und an, na nun könnte aber mal was richtig dolles passieren. Dennoch hat es mich bis zum Ende fesseln können. Ich wollte natürlich wissen wie sich alles entwickelt, wie die Personen mit der Zeit agieren werden und vorallem wie Dawn mit dieser Extremsituation umgeht.


    Ganz genauso ging es mir übrigens mit America.
    Genau das erzählte ich neulich einem guten Freund, der mir prompt letzten Monat Wassermusik zum Geburtstag schenkte, mit dem Satz: Dieses Buch ist grandios, das muss man lesen." Habe heute mal die erste Seite gelesen und fand sie so anstrengend, dass ich es erstmal auf den Sub gelegt habe. :grin

  • Soap unter Glas


    (4/10)


    Mit diesem Roman nimmt Tom Coraghessan Boyle die vorübergehend leicht vernachlässigte Tradition wieder auf, wahre Geschichte(n) fiktional zu verbrämen und neu zu erzählen. Das war schon immer das, was er am besten gemacht hat, aber es ist leider auch schon das Beste, was man über dieses Buch sagen kann. Und die schon seit längerer Zeit vernachlässigte Tradition, diese Geschichten auf amüsante Weise neu zu erzählen, nimmt er leider auch mit diesem Text nicht wieder auf.


    Anfang der Neunziger wurde in Arizona ein seltsamer Gebäudekomplex geschaffen, der hauptsächlich aus einem überdimensionalen, verschachtelten Terrarium bestand, einer mehr als 200.000 Kubikmeter (um)fassenden Konstruktion aus Metall, Glas, Stein, Sand und viel, viel Flora und Fauna, hermetisch abgedichtet und technologisch so ausgestattet, dass vermeintlich ein selbsterhaltendes System entstand, von der externen Stromversorgung abgesehen. In der Folge sollten jeweils im Zwei-Jahres-Rhythmus acht neue Forscher - so genannte "Terranauten" - in diese Konstruktion einziehen, um vollständig abgeschottet und selbstversorgend den Beweis anzutreten, dass eine künstliche Biosphäre möglich ist, also ein autarkes System, wie man es beispielsweise benötigen würde, um den Mars oder andere Planeten zu besiedeln - oder auf gewaltigen Raumschiffen lange Fernreisen zu unternehmen. Seinerzeit scheiterte der Beweis. Die ersten acht Terranauten hielten zwar zwei Jahre durch, dem System musste aber Sauerstoff hinzugefügt werden, außerdem wurde eine verletzte Frau in der Außenwelt medizinisch versorgt und brachte von ihrem Trip nach draußen allerlei mit. Der zweite Versuch scheiterte nach sechs Monaten, und inzwischen ist das Projekt - das ursprünglich auf nicht weniger als 100 Jahre angelegt gewesen ist - vollständig aufgegeben. Damals hatte übrigens Stephen Bannon die Leitung der "Biosphäre 2" inne, der rechtsextreme "Breitbart"-Betreiber und politische Berater des aktuellen Oberhonks der U. S. of A. Im Buch nennt Boyle diese Figur "GV" - für "Gottvater" -, einen manipulativen, egozentrischen und fast schon auf absurde Weise erfolgsorientierten Narzissten.


    Aus der Perspektive dreier Beteiligter erzählt Boyle nun einen Teil dieser Geschichte nach, wobei er sich grob an den tatsächlichen Geschehnissen orientiert, aber auch einige bekanntgewordene Episoden verarbeitet. Damals war das Projekt zunächst eine Sensation, die Terranauten gerieten schnell zu Medienstars, was auch nötig war, denn man benötigte öffentliches Interesse und zahlende Zuschauer, um das teure System zu finanzieren. Allerdings klang damals wie auch im Roman das allgemeine Interesse schnell wieder ab, denn abgesehen davon, dass die Eingeschlossenen aufgrund der aufgezwungenen Diät immer schmaler wurden, geschah nicht viel, das man durchs Besucherfenster oder per Telefoninterview dokumentieren konnte. An diesem Problem krankt übrigens auch der Roman - unter anderem. Außerdem wurde die wissenschaftliche Bedeutung des Experiments von vielen Experten angezweifelt, vor allem natürlich nach der Unterbrechung des Einschlusses.


    Boyle konzentriert sich auf zwei Frauen und einen Mann, die er im Wechsel ihre Geschichten erzählen lässt. Beide Frauen sind Kandidatinnen für die Nutztierverantwortlichkeit, aber nur eine, die vermeintlich hübschere, medientauglichere - Dawn -, darf zu Beginn unter Glas, während die andere - Linda - draußen bleiben und in der Mission Control darauf hoffen muss, beim nächsten Mal dabei zu sein. Der Mann - Ramsay - ist ein selbstdarstellerischer Beau, von Anfang an verschossen in Dawn, aber er steigt zunächst mit der älteren Gretchen, die fürs Agrare zuständig ist, ins Bett. Der Biosphärentechniker Düsentrieb ist auch scharf auf Dawn. Bei Troy - welche Aufgabe der auch immer hat - weiß man nicht so recht, von der anderen Figur habe ich den Namen vergessen. Ricarda oder Bianca oder so. Außerdem ist da noch Richard, der Arzt, auch älter, aber nicht weniger heiß auf die hübsche Dawn.


    Eigentlich - eigentlich bietet die Ausgangssituation ein tolles Setting. Acht Leute unter Glas, einander auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, aufeinander angewiesen, dabei zugleich Pioniere, Entdecker und Forscher - und jederzeit unter massiver Beobachtung. Was hätte man daraus machen können. Aber Boyle wollte sich nicht allzu weit von den Realitäten entfernen, und die waren eben eher unspektakulär. Man verrichtete seine Arbeit, hungerte, wurde durch die Medien gereicht und von der Projektleitung angetrieben. Wenn es Skandale gab, dann eher überschaubare. Da die Figuren des Romans so dicht - vermutlich zum Verwechseln dicht - an diesen realen Vorbildern sind, hält sich der Autor damit zurück, ihnen üble Eigenschaften, schräge Gedanken oder abwegige Verhaltensweisen anzudichten. Die Krisen sind überwiegend rein moralische, es menschelt, die Mägen grummeln. Bis sich Dawn und Ramsay endlich finden und damit das gesamte Projekt gefährden. Mehr oder weniger.


    "Die Terranauten" ist sehr brav erzählt, völlig unspektakulär, sehr vorhersehbar und nur mäßig unterhaltsam. Die wissenschaftlichen Aspekte, die essentielle Besonderheit der Versuchsanordnung, Gedankenspiele mit den Hintergründen, die Bedeutung des Projekts und vieles mehr blendet Boyle völlig aus, reduziert das ganze auf acht (bzw. drei) Menschen unter besonderen Bedingungen. Leider sind diese Menschen weit weniger besonders. Der Mann ist hormongesteuert, die eine Frau ist neurotisch, die andere eifersüchtig. Über die Biosphäre selbst, ihre Technik und Struktur erfährt man vergleichsweise wenig. Was bleibt, ist eine etwas niveauvollere, routiniert heruntererzählte, aber bedeutungslose Soap unter Glas, die über weite Strecken entsetzlich langweilt.

  • Der Autor wäre besser beraten gewesen, die 600 Seiten auf 200 bis 300 Seiten zu kürzen. US-amerikanische Schriftsteller belieben zu schwätzen und man hört ihnen gerne dabei zu, aber man sollte es dann auch professionell tun, wie es beispielsweise Franzen mit „Unschuld“ oder Auster mit „4 3 2 1“ gelungen ist.


    Ziemlich gewöhnliche US-Amerikaner stehen vor einer außergewöhnlichen Aufgabe. Das war es eigentlich schon und man kann als Leser froh sein, dass man diese Geschichte von jemanden vorgesetzt bekommt, der wenigstens gut erzählen kann. Kurz: Als Leser befand ich mich immer am Rande des Erträglichen, kurz vor der Langeweile.


    Die Charaktere wirken entweder zu klischeehaft, zu oberflächlich oder zu normal. Gelungen sind dem Autor aber die Darstellungen der Gruppendynamik sowie der Erkenntnis, was aus einer Gruppe von 8 Personen wird, nachdem man sie 2 Jahre isoliert hat: Der Mensch ist des Menschen Feind.

  • Alles in allem war das Buch für mich okay. Ich muss aber sagen, dass ich mich durch die letzten 100 Seiten etwas quälen musste.

    Vorher hatte ich gerade die Kurzgeschichten aus dem Band "Schluss mit cool" gelesen, in denen Boyle durch seine glasklare Prosa besticht und jede einzelne Geschichte richtig gut ist und die menschlichen Abgründe hervorgekehrt werden. Allerdings hört er in diesen Geschichten tatsächlich meistens genau da auf, wo der Spannungsbogen auf der Spitze ist.

    Dies ist in "Terranauten" leider nicht so gut gelungen.


    Vielleicht ist es aber auch genau des Autors Absicht gewesen, klarzumachen, dass es eben überhaupt nicht spektakulär ist, wenn sich 8 Menschen zusammen in so einer Situation befinden, sondern banale Sachen passieren wie Eifersüchteleien, Hass und - Fortpflanzung.

    Jedenfalls hatte ich hier nicht das ganz große Lesevergnügen.


    6,5 Punkte

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“