Sabine Bode: Das Mädchen im Strom

  • Sabine Bode: Das Mädchen im Strom
    Verlag: Klett-Cotta 2017. 350 Seiten
    ISBN-13: 978-3608962000. 20€


    Verlagstext
    Sie ist das hübscheste, frechste und mutigste Mädchen an den Stränden des Rheins – und sie ist Jüdin. Die Geschichte der Gudrun Samuel ist die Geschichte einer ganzen Generation junger Frauen, die die Naziherrschaft und der Krieg zur Flucht gezwungen haben. Ein beeindruckendes und mitreißendes Zeugnis einer Epoche.
    Als Mädchen ist sie im Rhein hinter den Kohleschleppern hergeschwommen. Sie hatte den jungen Männern in Mainz die Köpfe verdreht. Doch als die Nazis an die Macht kommen und die junge Jüdin Gudrun Samuel sich entscheidet, mit gefälschten Papieren Deutschland zu verlassen, wird sie gefasst und kommt in Gestapo-Haft. Ihr gelingt die Flucht, aber sie ist nun nicht mehr das Mainzer Mädchen Gudrun, sondern die Flüchtende Judy: in der transsibirischen Eisenbahn und im Judenghetto von Shanghai. Sie überlebt den Krieg, doch die Odyssee geht weiter. »Das Mädchen im Strom« ist ein ergreifender Roman über das einzigartige Schicksal einer Frau im 20. Jahrhundert.
    „Bei meinem Wunsch, die Geschichte Gudrun Samuels weiter zu erforschen, trieb mich vor allem folgende Frage an: Wie bewahrte sie ihre Selbstachtung, obwohl sie so lange der Willkür anderer ausgeliefert war?“ Sabine Bode


    Die Autorin
    Sabine Bode, Jahrgang 1947, begann als Redakteurin beim „Kölner Stadt-Anzeiger“. Seit 1978 arbeitet sie freiberuflich als Journalistin und Buchautorin und lebt in Köln. Sie ist eine renommierte Expertin auf dem Gebiet seelischer Kriegsfolgen. Ihre Sachbücher »Die vergessene Generation«, „Kriegsenkel“, „Nachkriegskinder“ und „Kriegsspuren“ sind Bestseller und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.


    Inhalt
    Wilhelm Samuel, Besitzer einer Kette von Schuhgeschäften, ist in erster Linie Deutscher und Patriot; dass er als Nachkomme polnischer Schtetl-Juden auch Jude ist, empfindet er eher als Zufall. Orthodoxes Judentum ist ihm peinlich und dennoch zieht die Mainzer Familie privat eine feine Linie und ist hauptsächlich mit Juden befreundet. Anders als in Berlin muss es in den 30ern des vorigen Jahrhunderts in Mainz weniger oder weniger öffentlich sichtbare Juden gegeben haben. Gudrun Samuel (* 1920/21) interessiert sich als Kind nur für Sport und würde am liebsten Akrobatin werden. Mit 12 schwimmt sie als geübte Schwimmerin im Fluss und macht sich einen Spaß daraus, sich im Strom an Schleppkähnen hochzuziehen und ein Stück mitnehmen zu lassen. Wie auch die Persönlichkeit ihres älteren Bruders Ralph weicht Gudruns für die damalige Zeit höchst eigenwillige Entwicklung weit von den Träumen ab, die ihre bürgerlichen Eltern für ihre Kinder hatten. Mit 13 raucht Gudrun regelmäßig und verliebt sich in Martin, einen einige Jahre älteren Jungen aus armer katholischer Familie - eine für die Eltern unakzeptable Verbindung für eine Tochter, die einmal eine gute Partie sein wird. Für die Moralvorstellungen jener Zeit reichlich unrealistisch, treffen die jungen Leute sich regelmäßig. Ralph verkehrt bei Samuels und stellt sich in der Schule sogar als Gudruns Freund vor, der ihre umfangreichen Wissenslücken füllen möchte.


    Während Ralph das Glück hat, in Argentinien einen Ausbildungsplatz bei einem befreundeten Unternehmer zu finden und Freundin Margot die Ausreise in die USA gelingt, wird Gudrun in Deutschland aus der Schule ausgeschlossen, ihre Beziehung zu Martin gilt fortan als strafbare Rassenschande. Gudruns Versuch vor den Nazis zu emigrieren, endet nach einigen Umwegen in der Emigration in Shanghai. Aus Gudrun wird Judy, die ihren Bezug zum Sport inzwischen als Physiotherapeutin/damals Krankengymnastin nutzen kann. Jahre nach Kriegsende findet sich Judy in London wieder. Mit dem Wissen, dass Sabine Bode renommierte Autorin von Sachbüchern ist über die Auswirkung des Kriegs- und NS-Traumas auf die folgenden Generationen, ahnt man bald, dass Judy und Margot als Verfolgte des Naziregimes noch lange nicht mit ihrer Vergangenheit abschließen können. Ein langer Weg liegt noch vor den inzwischen 40-jährigen Frauen, die sich als „hilflose Helfer“ beide bisher nur um ihre Patienten gesorgt haben.


    Sabine Bodes Roman besteht aus drei Teilen, Gudruns Jugend, die Jahre in Shanghai und die Bearbeitung ihres Traumas. Im ersten Abschnitt konnte ich mich mit Gudrun überhaupt nicht identifizieren, weil sie in der prägenden Zeit der Pubertät keine Entwicklung durchmacht. Ob sie 12 oder 18 ist, macht in ihrer Sicht der Dinge keinen Unterschied. Die Laissez-Faire-Haltung ihrer Eltern gegenüber einer frei herumstreunenden Tochter (!), die sich mit ihrem Freund trifft, finde ich für die damalige Zeit völlig unrealistisch. Zahlreiche Zeitzeugen aus Gudruns Generation, die ich gekannt habe, würden vehement bestreiten, dass Gudruns Verhalten möglich gewesen wäre, ohne dass es in der Familie oder in der Schule gehörig gekracht hätte. Der mittlere Teil wirkt auf mich eher als Dokumentation. Das liegt möglicherweise daran, dass Ursula Krechel das Thema Exil in Shanghai bereits erstklassig recherchiert und umfassend dargestellt hat. Der letzte Teil führt zu Sabine Bodes Herzensthema zurück, der Traumatisierung einer ganzen Generation. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass Sabine Bode Roman als Genre wenig liegt und sie mit den Mitteln der Reportage bei mir keine Identifikation mit der Hauptfigur erreichen konnte. Hätte ich die Wahl, würde ich immer wieder zu Krechels Shanghai fern von wo greifen.


    6 von 10 Punkten

  • Inhalt: Sabine Bode erzählt in ihrem Roman die Lebensgeschichte von Gudrun Samuel, Tochter einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie aus Mainz.
    Ihre Kindheit in den zwanziger- und frühen dreißiger Jahren verläuft unspektakulär, doch als Teenager bekommt sie die Härte des damaligen Regimes zu spüren. Sie muss die Schule verlassen, ihre erste große Liebe in der Öffentlichkeit verheimlichen, wird inhaftiert und kann im letzten Moment Deutschland verlassen.
    Doch in ihrer neuen Heimat steht sie vor dem Nichts, muss sich immer wieder alles neu arbeiten und viele Verluste und Enttäuschungen verkraften.


    Meine Meinung: Durch die spröde und eher sachliche Erzählweise der Autorin baute sich eine ungewöhnliche Distanz zu den Personen, vor allem aber zu Gudrun, auf.
    Doch interessanterweise habe ich das nicht als störend empfunden, sondern es hat es mir leichter gemacht Gudruns schwere Lebensgeschichte zu verfolgen.
    Gudrun war mir nicht immer sympathisch, aber sie ist eine Kämpfernatur, die alle ihre Chancen genutzt hat und auch selber um ihre dunklen Seiten weiß. Sie ist eine junge Frau mit guten und schlechten Eigenschaften und keine Heilige. Das wird vor allem im Mittelteil des Romans deutlich.
    Sehr berührt hat mich allerdings der Briefkontakt zwischen Gudrun und ihrer Jugendfreundin Margot, der nie ganz abriss und der vor allem das letzte Drittel des Buches aufwertet. Er stellt anschaulich dar, dass das Trauma der Überlebenden auch Jahrzehnte nach Kriegsende noch andauert.


    Fazit: Man muss sich auf die distanzierte Erzählweise des Romans einlassen, dann erwartet den Leser ein interessanter Roman über ein ungewöhnliches Schicksal. Mir hat dieses Buch gut gefallen und ich kann es jedem geschichtlich interessierten Leser empfehlen.


    8 Punkte