Der Autor: Ulf Torreck alias David Gray brach sein Jurastudium zugunsten einer Ausbildung zum Drehbuchautoren ab und arbeitet daraufhin sowohl als Scriptdoctor sowie als Filmkritiker für verschieden Zeitungen.
Seine Karriere als Autor begann der als Selfpublisher, bevor er die Segnungen des traditionellen Verlagswesens zu schätzen lernte und seinen Roman "Glashaus" in neubearbeiteter Fassung unter dem Titel "Kanakenblues" bei Pendragon veröffentlichte - was ihn dank der Vermittlung des Verlegers Günter Butkus in den Blickwinkel des hier rezensierenden Rezensenten rückte, welcher, selbst ein Profi im Bereich der Literatur, das ungeheure Talent des jungen Autoren erkennend ihm einen Ehrenplatz auf dem Krimitisch in Laatzen einräumte, neben namhaften Autoren wie James Lee Burke und Peter Brechtel, letzterer ebenfalls eine Entdeckung des "Sam Phillips aus Bielefeld".
Das Buch: Für Louis Marais ist alles vorbei. Einst ein erfolgreicher und angesehener Polizist in der Hauptstadt, fristet er nun sein Dasein in der Provinz, abgeschoben von seinem verhassten Vorgesetzten. Nun wurde auch noch seine Familie von der heimtückischen Seuche dahingerafft - es gibt für ihn keinen Grund mehr zu leben. Eine gnädige Kugel wird ihn all das vergessen lassen......
Im letzten Moment unterbricht ein Bote aus Paris die Vorbereitungen für die letzte Reise: Marais wird zurückbeordert, wird wieder eingesetzt.
Der grausige Fund einer übelst zugerichteten Leiche einer jungen Frau wird zu Marais neuem Fall, irgend etwas düsteres geht um in der Stadt. Doch obwohl Marais immer noch der brillante Ermittler ist der er einst war stößt er schon bald an seine Grenzen, und er sieht ein das er in diesem Fall Hilfe braucht, Hilfe von jemandem, der sich in den dunkelsten Winkeln nicht der Stadt, sondern einem ungleich grausigerem Ort bestens Auskennt: Der menschlichen Seele.
Und so schickt er nach dem Marquis de Sade......
Meine Rezension: Sehr lange schon haben wir uns von Autoren historischer Romane einlullen lassen, mit Geschichten um Leute die große Gebäude errichten oder Berichten von Schlachten, deren Ausgang wir schon aus dem Geschichtsunterricht kennen.
Wäre es denn zu viel Verlangt bei Azencourt mal die Fransosen gewinnen zu lassen? Nur so zum Spaß und um zu zeigen, das es zu mehr reicht als dem Nacherzählen von Schulbuchwissen? (Natürlich ist der wirkliche Ausgang der Schlacht viel cooler, da absolut unwahrscheinlich... Aber trotzdem....)
Nun, waren die Briten auf dem Felde des Historienromans lange führend, so werden sie doch zunehmend von deutschen Autoren auf ihre Plätze verwiesen. Rebecca Gable hat bewiesen das auch aus Deutschland dicke Bücher mit historischen Themen kommen und erfolgreich sein können, Benjamin Monferat braucht sich international auch nicht zu verstecken, und nun also eine neue Stimme in der Band. Als Beweis für meine These reicht diese Stimme allein aus, übertrifft sie an geballter Wucht und literarischer Tiefe alles was ich bisher auf diesem Gebiet zu lesen die Freude hatte.
Der geneigte Leser sei allerdings gewarnt: Dieses ist kein Buch für Weicheier! Die Zartbesaiteten sollen da lieber bei Follett bleiben, wenn der noch irgend ein Bauwerk errichten lässt......
Ulf Torreck führt hier den uns gewohnten historischen Roman nicht nur an seine uns bekannten Grenzen, nein, diese nimmt er nicht ein mal wahr während er weit über das bisher bekannte Genreuniversum hinaus neue Grenzen auslotet.
Das, was bei anderen die eigentliche Geschichte ausmacht ist bei ihm nur schmückendes Beiwerk, mit welchem er seine Ermittler und uns aufs Glatteis führt, um dann um so machtvoller die eigentliche Handlung vor uns auszubreiten, welche auch so manch hartgesottenen Leser den Atem stocken lässt.
Nicht nur der uns allen bekannte Marquis, sondern auch sein eher widerwilliger Partner Marais ist historisch verbürgt, die Wege beider kreuzten sich in der Tat nicht nur einmal.
Der Autor etabliert Marais hier als durchaus ehrenwerten und mit einem untrüglichen Spürsinn gesegneten aufrechten Polizisten - eine ideale Hauptfigur für einen historischen Kriminalroman. Folgerichtig wird de Sade eingangs als recht verdrießlicher und das Geschehen ironisch kommentierender Sideckick eingeführt, ein stahlharter und ein butterweicher Profi sozusagen.
Doch langsam aber dennoch stetig macht der Marquis dem guten Polizisten die Hauptrolle im Roman streitig, und ebenso übernimmt er auch in der Handlung mehr und mehr die Führungsrolle, wohingegen der gute Marais immer unsympathischer wird. Er bleibt der fabelhafte Polizist als welcher er uns eingangs vorgestellt wurde, aber die Lacher ( und es sind einige!) sind mehr und mehr auf der Seite des "Lebemanns" de Sade.
Die Schilderung des ebenso clichebehafteten wie verrufenen Wüstlings ist ein weitere Meisterleistung des Autors, da er uns diese historische Figur niemals anbiedert, sondern in seiner ganzen Widerwärtigkeit, aber auch Lebenslust schildert, und ihn nicht trotz, sondern wegen seiner vergnügungs- und genussbejahenden Art zu einer Figur macht, die vielleicht nicht ungemein sympathisch, aber interessant ist. Es sind gerade die hässlichen Seiten des Marquis, die ihn unseres Wohlwollens versichern, da er mit ihnen nicht hinter dem Berg hält sondern sie als Teil nicht nur seiner Natur, sondern der Natur des Menschen beinahe wie einen Orden vor sich her trägt. Er ist nicht schlechter als eine Umgebung, er ist nur offener und ehrlicher mit auch den düsteren Seiten seines Wesens. Und dieser düsteren Seiten wegen ist er maßgeblich an der Arbeit an diesem Fall beteiligt.
Und es wird düster.
Nun gibt es Schilderungen von Grausamkeiten aller Art zu hauf in der Literatur, Schilderungen von Folter im historischen Roman, Verstümmelungen und Gewalt in allen möglichen meist billigen Schundthrillern, die zumeist nicht mehr als das zu bieten haben um Anspruchslose zu erschrecken und zu ergötzen.
Hier verhält es sich anders!
Die Stadt und die in die Handlung verwobenen Protagonisten des Romans sind vielmehr ein Spiegelbild der menschlichen Seele und ihrer Abgründe selbst.
So gewaltig das Konstrukt, welches uns als Lösung des Rätsels angeboten wird auch sein mag, die wahre Lösung ist noch ungleich gewaltiger, aber auch erschreckender, weil wir wissen, mag dieses Szenario auch der Phantasie des Autors entsprungen sein, zugetragen hätte es sich leicht so wie er es schildert. Torreck berührt hier die dunkle Seite in uns allen und das macht einen guten Teil der Wirkung seines Textes aus. Ein weiterer unbedingt zu würdigender Teil dieser Wirkung entfällt auf die souveräne Art wie Ulf Torreck seine Geschichte erzählt. Er nimmt sich die Zeit, die er für nötig erachtet, um uns in den Bann seiner Geschichte zu schlagen. Jede auftretende Figur - und sei es eine durchs Bild huschende Marktfrau - bekommt die ihr zustehende Aufmerksamkeit, jedes Viertel welches wir an der Seite unserer Helden durchqueren wird vor unseren Augen lebendig. Hier macht sich ebenfalls -wie in der Schilderung der historisch verbürgten Persönlichkeiten - die genaue Recherchearbeit bemerkbar, welche in die Entstehung des Romans eingeflossen ist.
Alles in allem haben wir hier einen großartigen historischen Thriller, geschrieben von einem Autor der sein Handwerk mehr als nur versteht und von dem noch viel großes zu erwarten ist!