Robin Alexander - Die Getriebenen. Merkel und die Flüchtlingspolitik - Rep. aus dem Innern der Macht

  • Titel: Die Getriebenen. Merkel und die Flüchtlingspolitik – Report aus dem Innern der Macht
    Autor: Robin Alexander
    Verlag: Siedler
    Erschienen: März 2017
    Seitenzahl: 286
    ISBN-10: 3827500931
    ISBN-13: 978-3827500939
    Preis: 19.99 EUR


    Der Vorsitzende der FDP, Christian Lindner (mit dem ich normalerweise nicht so viel am Hut habe), meinte sinngemäß, dass dieses Buch von Robin Alexander fast einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ersetzen könnte.
    Und so ganz Unrecht hat Christian Lindner mit dieser Bewertung nicht.


    Robin Alexander wurde 1975 geboren und verfolgt seit 2008 als Hauptstadtkorrespondent der WELT AM SONNTAG die Politik Angela Merkels aus der Nähe. Zuvor war er Redakteur bei der „taz“ und Reporter bei Vanity Fair“.
    Ja, es gibt eben Journalisten, die einen interessanten Berufsweg zurückgelegt haben.


    In seiner Vorbemerkung schreibt Robin Alexander:
    „Angela Merkel, die zuvor in zehn Jahren Kanzlerschaft wenig Profil zeigte, polarisiert jetzt wie keiner ihrer Vorgänger. Ihre Bewunderer loben ihre Führungsstärke in historischer Stunde, allein und gegen viele Widerstände habe die das ethisch Gebotene durchgesetzt. Ihre Verachter halte sie schlichtweg für überfordert – sie habe in großer Naivität und das Recht missachtend die Souveränität Deutschlands preisgegeben. Die Anhänger beider Sichtweisen werden von diesem Buch enttäuscht sein. Es erzählte weder eine Heiligengeschichte noch ein Schurkenstück.“


    Der Autor präsentiert Fakten, stellt niemand an den Pranger – zeigt aber Fehlentwicklungen und beschreibt eindringlich das Führungs- und Entscheidungschaos nicht nur in der deutschen Bundesregierung. Nebenbei wird auch deutlich, dass das „Europa der gemeinsamen Interessen“ nichts weiter ist als eine Schimäre. In Europa herrschen ausschließlich nationale egoistische Interessen, den „gemeinsamen“ europäischen Weg gibt es nicht.


    Dieses Buch macht deutlich, welche eklatanten Rechtsbrüche und politischen Fehlentscheidungen – nicht nur von der Bundesregierung – getroffen wurden. Es macht aber auch deutlich, wie sich eine ganz besondere Willkommenskultur entwickelt hat.
    Die Hilfsbereitschaft der Menschen war beeindruckend und ohne sie wäre diese Mammutaufgabe nicht einmal im Ansatz gelöst worden. Die staatlichen Stellen war einfach hoffnungslos überfordert.


    Dieses Buch spart aber nicht mit Kritik an Angela Merkel. Zögernd und nur auf das Bild ihres Wirkens nach Außen bedacht, überforderte Angela Merkel ihre europäischen Partner und auch die Bevölkerung des von ihr regierten Landes.
    Es war kein Ruhmesblatt deutscher Regierungspolitik.


    Aber auch ihre Gegner und Kritiker müssen sich Kritik anhören. Seehofer beispielsweise tauchte immer dann ab, wenn ein klares Wort von ihm gefordert wurde; ganz im Sinne seines Übervaters Franz Josef Strauß. Klappe weit aufreißen, wenn es aber zum Schwur kommen soll, Schwanz einziehen und wegtauchen.
    Und auch der „Fast-Faschist“ Orban, seines Zeichens ungarischer Ministerpräsident, hat alles getan, um Merkel hinterhältig vors Schienbein zu treten. Wer solche Freunde hat, braucht wahrlich keine Feinde.


    Das Dubliner Abkommen war nicht das Papier wert, auf das es geschrieben wurde. Rechtsordnungen wurden ohne Rechtsgrundlage außer Kraft gesetzt – und das alles nur, um von der eigenen Ratlosigkeit und Überforderung abzulenken.


    Robin Alexander geht aber auch mit diesen Idioten (PEGIDA u.ä.) hart ins Gericht. Wer politische Auseinandersetzung durch Beleidigungen meint ersetzen zu müssen, hat in einem demokratischen Staatswesen nichts zu suchen.
    Aber natürlich bekommt auch der Wendehals Gabriel sein Fett weg. Ein Politiker, der seine politischen Ansichten schneller wechselt, als so mancher seine Socken. Und viele wechseln ihre Socken täglich (hoffe ich wenigstens).


    Ein sehr interessantes Buch, ein Buch das niemand einseitig ans Kreuz nagelt. Robin Alexander bemüht sich hier Fakten sprechen zu lassen.
    Das Buch macht aber auch deutlich, das Politiker eben Getriebene sind, keine Übermenschen, sondern normale Menschen, die auch mal vom Geschehen überrollt werden können. Menschen, die eben nicht für alles eine Patentlösung oder einen Plan B haben.
    Und es wird auch sehr deutlich, dass einige diese Geschehnisse nützen, um ihr ganz spezielles Süppchen zu kochen, Lösungen bieten sie nicht an, ihnen geht es ausschließlich darum zu zündeln und Unfrieden zu stiften. Die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, die sind diesen Subjekten scheißegal.


    Kritik muss erlaubt sein, auch an der Regierungspolitik – aber man sollte die Ebene der Sachlichkeit nicht verlassen – denn auch auf dieser Ebene kann durchaus hart kritisiert werden. Und ein Großteil der Kritik ist mehr als berechtigt. Und wer die Regierungspolitik kritisiert, ist weder ein Rechtspopulist noch ein Nazi.


    Alexander Robin hat ein wichtiges Buch geschrieben, ein Buch das deutlich macht, dass die Regierung ohne die unglaubliche Hilfsbereitschaft der Menschen wahrscheinlich nichts auf die Reihe bekommen hat. Das dieses „Wir schaffen das!“ (ursprünglich ist übrigens Gabriel der Schöpfer dieses Satzes) nicht in einer Katastrophe geendet hat, das ist allein der großen Hilfsbereitschaft der ehrenamtlichen Helfer zu verdanken.


    8 Eulenpunkte für ein Buch das sich großartig als Diskussionsgrundlage eignet – aber natürlich erst dann, wenn man es denn auch gelesen hat.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Der Titel hätte auch heißen können: Deutschland im Herbst voller Pleiten, Pech und Pannen oder wie ein Land grenzenlos wird.


    Was für ein Narrenstück: Merkel hat die Grenze fast im Alleingang geöffnet und überließ die Organisation ihrem Adlatus Altmaier, der sich von der Chefin der bayrischen Staatskanzlei überzeugen ließ, die Flüchtlinge ohne Registrierung aufzunehmen und rasch zu verteilen. Detailfragen delegierte man an Bezirksbeamte, die überall bitten und betteln mussten. Was nachher als geniale humane und bevölkerungspolitische Strategie verkauft wurde, war nichts als eine halbherzige Entscheidung und die Umsetzung derselben ein konzeptloses Irren zwischen Improvisation und Widersprüchen.


    Der Rückblick liest sich wie ein Polit-Thriller mit interessanten Protagonisten und Antagonisten: Die alternativlose Kanzlerin, die ihre Seele an Sultan Erdogan „den Prächtigen“ verkauft. „Wunderwuzzi“ Kurz, der Merkel im Frühjahr 2016 die Macht aus den Händen nahm und somit seiner Gegenspielerin groteskerweise die Kanzlerschaft gerettet hat, da die Anzahl der Flüchtlinge beträchtlich zu sinken begann.


    Schäuble, der Ritter, der auf den Tisch schlug und sich den Türkei-Deal ausdachte, der dann als Ursache des Flüchtlingsstopps verkauft wurde. Schaut man genauer hin, dann ist das EU-Türkei-Abkommen kaum das Papier wert, auf dem es geschrieben wurde. Vieles blieb schwammig und was detailliert ausgearbeitet wurde, wird nicht umgesetzt. Griechenland ignoriert den Deal vollkommen und bisher gab es weder die Visaliberalisierung für Türken noch Verhandlungen über den türkischen EU-Beitritt. Und die EU hat bisher nur einen Bruchteil an die Türkei bezahlt, die ihrerseits nur einen Bruchteil Flüchtlinge nach Europa geschickt hat. So weit, so schlecht!


    Auch wenn es nicht offen ausgesprochen wird in Regierungskreisen - die Hauptgründe, warum derzeit nur wenige Flüchtlinge nach Europa kommen, sind folgende:


    - Schließung der Balkanroute
    - Verbesserung der Versorgung in den Flüchtlingslagern des Nahen Ostens
    - Verhaftung der Schlepper in der Türkei
    - Verzicht auf Willkommenssignalen


    Die getriebene Kanzlerin, die eine widersprüchliche und gefährliche Strategie, die keine war, als alternativlos verkauft hat und drohte, dass es nicht mehr ihr Land sei, wenn selbiges ihr nicht folge, musste einen hohen Preis zahlen, für den letztendlich ihr Land aufkommen muss:


    Die Spaltung Europas und als Draufgabe den Brexit sowie die nationalistische Regierung in Polen, der unaufhaltsame Aufstieg einer Partei rechts von der Union, eine alternativlose GroKo bis in alle Ewigkeit und last but not least der Terrorimport über die Flüchtlingsroute.


    Das Problem ist nicht gelöst. Gönnen wir uns eine Atempause.