Der Autor (Quelle: Amazon)
Joachim Lottmann, geboren 1959 in Hamburg, studierte Theatergeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg. 1987 erschien bei KiWi sein literarisches Debüt »Mai, Juni, Juli«, das als erster Roman der deutschen Popliteratur gilt. Lottmans zweiter Roman »Deutsche Einheit« erschien 1999, es folgten bislang sechs weitere Bücher bei KiWi, am erfolgreichsten »Die Jugend von heute« (2004), »Der Geldkomplex« (2009) und »Endlich Kokain« (2014). 2010 nahm Lottmann den Wolfgang-Koeppen-Preis entgegen. Der Autor schreibt u.a. für taz, FAS und Welt und lebt in Wien.
Das Buch (Quelle: Amazon)
Ein Ehekrach in Athen, mitten in der Eurokrise, verwandelt das Leben des romantischen Wahl-Wieners Johannes Lohmer in einen politisierten Fiebertraum. Während seine Frau Harriet, eine engagierte linke Journalistin, begeistert Flüchtlingshilfe leistet, fürchtet Lohmer das weltweite Vordringen des politischen Islam und sieht einen »zweiten Faschismus« am Werk. Dennoch reist der Bohemien an Harriets Seite brav an die Brennpunkte unserer Tage. Er erlebt ein Land im Taumel, alle politischen Debatten als Lüge und sich selbst als Lügner, tut Lohmer doch aus Angst um seine »harmonische Ehe« alles, um in Harriets Augen nicht als Renegat oder Rechter dazustehen. Sein »Opportunismus aus Liebe« führt zu schrecklich komischen Verwicklungen, ob im Flüchtlingsheim, beim Bürgerabend, im muslimischen Neukölln, beim Aufstieg von AfD und FPÖ oder beim Versöhnungsurlaub in Südfrankreich …
Meinung
Im Mittelpunkt steht ein Buch, das nicht veröffentlicht werden darf: Der zweite Faschismus. Wer nun eine zeitkritische Erzählung erwartet, wird enttäuscht sein. Wer eine kritische Auseinandersetzung mit der „Veröffentlichten Meinung“ sucht, der sollte das Buch lesen. Und wer gerne zuschaut, wie die Schönfärbereien großstädtischer Kulturmenschen entlarvt werden, kommt auf seine Kosten.
Die herrschende Meinung der städtischen Bildungsbürger gleicht einem unerschütterlichen Gesetz: Wer links, grün und sozialliberal ist, dem muss Islamkritik ebenso fremd sein wie Kritik an der Willkommenskultur. Das Urteil ist eindeutig: Diejenigen, die sich mindestens zu einem der beiden ungeschriebenen Gesetze kritisch äußern, sind bestenfalls Rechtspopulisten und im schlechtesten Fall Nazis.
Der Autor hat sein Buch Michel Houellebecq gewidmet. Klar, dass er eher dessen Werk „Unterwerfung“ meint. Eine Gesellschaft, wie die von Houellebecq beschriebene, liegt gar nicht so fern. Denn die Vermeidung der Auseinandersetzung mit dem politischen Islam könnte dazu führen, dass wir in wenigen Jahren im „Zweiten Faschismus“ landen.
Die Stärken des Buches sind die Demaskierung der Kulturmenschen auf der einen Seite und die der Rechtspopulisten auf der anderen. Ein Ding dazwischen, scheint es nicht zu geben, da die guten Menschen genau wissen, dass es nur gute oder schlechte Menschen gibt. Deshalb hat das scheinbar Schlechte auch keinen Platz in ihrem Gedankenuniversum. Aber genau auf solche „schlechten“ Stimmen wird es ankommen, wenn man unsere Gesellschaft vor dem „Zweiten Faschismus“ schützen will.
Amüsant, wie Lottmann das „Bashing“ der Besorgten als den wahren Populismus demaskiert. So fallen dem Protagonisten Denkgewohnheiten seiner Wiener Freunde ein, über die es nachzudenken lohnt:
„Sie alle hatten eine seltsame Eigenschaft, für die ich kein Wort fand, vor allem keines aus der psychologischen Terminologie. Sie besaßen eine tiefe Freude am Einschlagen … auf Menschen, die offiziell von der Gesellschaft zum Draufeinschlagen – englisch: bashen – freigegeben worden waren. Das war an sich noch nichts Besonderes, und auch in Deutschland gab es ja dieses Phänomen. Man musste da nur an die öffentlich Gedemütigten der letzten Jahre denken, von Bundespräsident Wulff bis zu Thilo Sarrazin, oder auch an den Minister, dem vorgeworfen wurde, was Inhalt jeder Doktorarbeit seit fünfhundert Jahren ist, nämlich das Abschreiben von früheren Doktorarbeiten.“
Das Buch ist witzig geschrieben und wer bereit ist, auch mal über seinen Schatten zu springen und sich selbst infrage zu stellen, der wird begeistert sein.