Ivan Vladislavic - Double Negative

  • Titel: Double Negative
    Autor: Ivan Vladislavic
    Übersetzt aus dem Englischen von: Thomas Brückner
    Verlag: A 1 Verlags GmbH
    Erschienen: September 2015
    Seitenzahl: 251
    ISBN-10: 394066667X
    ISBN-13: 978-3940666673
    Preis: 19.80 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Neville Lister, der sein Studium abgebrochen hat, begleitet den berühmten Fotografen Saul Auerbach für einen Tag, um eine Lektion fürs Leben zu lernen. Sie spielen ein Spiel: auf einem Hügel über Johannesburg wählen sie sich drei Häuser aus und beschließen, auf der Suche nach einer Geschichte an ihre Türen zu klopfen, aber schon bald schwindet das Licht. Auerbachs Bilder der ersten beiden werden klassische Portraits. Erst Jahre später kommt nur Lister zum dritten Haus, als er zurückkehrt in das Post-Apartheid-Südafrika. Johannesburg hat sich fast bis zur Unkenntlichkeit verändert. Wie soll man leben, wenn man sich seinem Geburtsort entfremdet hat?


    Der Autor:
    Ivan Vladislavic, geboren 1957 in Pretoria, studierte afrikaanische und englische Literatur an der University of the Witwatersrand und lebt seit Anfang der siebziger Jahre in Johannesburg. Seit 1989 arbeitet er als freier Lektor und Schriftsteller. Er gab Werke zu zeitgenössischer Kunst und Architektur heraus und verfasste Essays, Romane und Erzählungen. Für seine Werke wurde er mehrfach ausgezeichnet. Vladislavic ist einer der führenden zeitgenössischen Autoren Südafrikas.


    Meine Meinung:
    In erster Linie geht es in diesem Roman um die ersten Jahre der Post-Apartheid in Südafrika. Und der Autor beschreibt das aus der Sicht seiner Hauptperson Neville Lister. Ein wenig mehr Information über diese Zeit – die man auch in Form eines Romans vermitteln kann – hätte ich mir schon gewünscht. So bleibt leider einiges nur im Ungefähren. Trotzdem aber ist dieses ein sehr lesenswertes Buch, wirkt es doch authentischer und realistischer als einige seiner oftmals nur polemisch abgefassten Romankollegen.
    In seinem brillanten Vorwort schreibt Teju Cole:
    „Mit einer Sprache so funkelnd und feinkörnig wie ein Silbergelantine-Abzug überantwortet Vlasislavic uns etwas, das seltener und subtiler ist als eine Romanfassung von Erfahrung: Er vermittelt uns in diesem sanft und durchtrieben daherkommenden Roman die verführerischen Geheimnisse der Dinge wie sie wirklich sind.“
    Ein interessanter und lesenswerter Roman mit einigen Schwächen; aber das Positive überwiegt ohne Frage. 6 Eulenpunkte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Double Negative - Ivan Vladislavic


    Mein Eindruck:
    Ich kann Voltaires obiger Meinung im positiven wie in den Vorbehalten ganz gut folgen.
    Ich schätze am Roman den sorgfältigen, unaufgeregten Stil, den konzeptionellen Aufbau und die Figurenführung.


    Es sind Erinnerungen des Protagonisten Neville Lister in drei Teilen. Es beginnt als er noch in der Zeit der Apartheid in Südafrika ein richtungsloser und wenig erfolgreicher Student war. Das ist realistisch gehalten und glaubwürdig, denn nicht jeder kann damals mit vollem Elan politisch engagiert sein. Deswegen gibt es auch ein paar Spitzen gegen vorgebliche „Freiheitskämpfer“ unter den Studenten. Nur halbherzig geht unser Held auf ein paar Demonstrationen, hält sich aber im Hintergrund. Sin Studium will er schmeißen. Eine beeindruckende Begegnung folgt mit einem Fotografen der alten Schule. Im Roman wird ein Pragmatismus im Handeln positiver dargestellt als bloßes Lamentieren. Dem kann ich einiges abgewinnen.


    Neville Lister verlässt Südafrika dann für 10 Jahre Richtung London, hauptsächlich, um nicht einberufen zu werden. Schließlich kehrt er zurück und ist jetzt ebenfalls Fotograf, jedoch zunächst weniger künstlerisch. Er kann aber die frühere Begegnung mit dem Fotografen nicht vergessen und folgt einem früheren, nicht abgeschlossenen Fotoprojekt.
    Überwiegend sind es Szenen des Alltags in Südafrika, die beschrieben werden, mit einem Icherzähler in einer lange andauernden Midlifekrise. Einige Passagen mangelt es an Tempo und manchmal auch an Spannung, doch das übergreifende Thema ist interessant genug, um den Leser an das Buch zu fesseln. Ich habe große Lust, noch weitere Romane von Ivan Vladislavic zu lesen.


    Sehr verdienstvoll ist auch das Vorwort von Teju Cole, das einige treffende und analytische Bemerkungen enthält.

  • Neville Lister hat sein Studium abgebrochen und ist mit seinem derzeitigen Job als Straßenbegrenzungs-Linien-Maler ganz zufrieden. Als sein Onkel ihm einen Schnuppertag gemeinsam mit dem bekannten Fotografen Saul Auerbach vermittelt, ist Neville überzeugt davon, dass er sowieso nicht Fotograf werden will. Anders als alle anderen Bekannten hat Onkel Doug eine gerahmte Fotografie von Auerbach an der Wand, kein Gemälde. Sein Vater verspricht sich vom Blick in ein völlig anderes Leben, dass er seinen Sohn davor bewahren kann, auf die schiefe Bahn zu geraten oder im Südafrika des Apartheid-Regimes unangenehm aufzufallen. Der nächste Schritt wird sein, für Neville einen Auslandsaufenthalt in England zu organisieren, damit er während seines Wehrdienstes nicht als Kanonenfutter an der Grenze zu Angola verheizt wird, für ein politisches System, das weiße Liberale wie Vater Lister ablehnen. Das Kurz-Praktikum bei Auerbach verbringt Neville gemeinsam mit einem britischen Journalisten, der äußerst kritisch nach der Rolle der studentischen Jugend im Südafrika der 80er Jahre bohrt. Vermutlich wird Neville in dem Moment klar, dass er bisher noch keinen klaren Standpunkt bezogen hat. Auerbach fährt mit seinen beiden Gästen auf einen Aussichtspunkt, sie suchen von dort oben drei Häuser aus, die sie unten in Johannesburg suchen, um Szenen aus dem Leben ihrer Bewohner zu fotografieren. Als Patenonkel der Dokumentarfotografie ist Auerbach bekannt dafür, Momente einzufrieren, in denen die Dinge auf der Kippe stehen. (S. 174) Der Meister arbeitet vermutlich mit einer Großformat-Kamera, kriecht zum Scharfstellen unter ein Tuch, tritt dann zur Seite und löst den Verschluss per Fernauslöser aus.


    Nach 10 Jahren in England, in denen Neville eher zufällig wieder in Berührung mit Fotografie gerät, kehrt er in den 90ern nach dem Ende der Apartheid nach Südafrika zurück. Mancher hätte die Zeit als Exil bezeichnet; für Neville bedeutete sie, seinen Vater vor dessen Tod nicht noch einmal treffen zu können. Ich bin da irgendwie rein geschlittert, wird er über seine Berufswahl später sagen. Eine Ausstellung von Auerbachs Fotos führt Neville wieder mit den Häusern zusammen, die er damals mit Auerbach heran gezoomt hat und die die Lebensbedingungen unter Gesetzen zur Rassentrennung wie unter dem Vergrößerungsglas abbildeten. In der Gegenwart fotografiert Neville die Menschen vor ihren Häusern, dringt nicht mehr wie damals in ihr Privatleben ein. Damit bildet er die gesellschaftlichen Veränderungen ähnlich nüchtern ab, wie Auerbach damals. Ein Treffen mit einer jungen Journalistin konfrontiert Neville mit seinem eigenen Altern und den Veränderungen, die die Fotografie in den Jahren seiner Abwesenheit durchlaufen hat. Janie ist nicht nur Journalistin, sie arbeitet auch intensiv an ihrer Selbstdarstellung als Bloggerin, indem sie ihren Usern Haushaltstipps von Oprah Winfrey bietet.


    Als aus dem Exil zurückgekehrter Fotograf richtet Ivan Vladislavics Figur Neville einen sehr speziellen Blick auf seine Heimatstadt Johannesburg, als würde er Einzelfotos präsentieren, zu denen man sich als Leser erst die Geschichte erarbeiten muss. In Johannesburg. Insel aus Zufall präsentiert Vladislavic seine Stadt wie ein Stadtführer, eine ähnliche Wirkung auf mich hatte auch sein Roman über einen Fotografen auf den Spuren der jüngsten südafrikanischen Geschichte, der auf drei Zeitebenen erzählt wird.


    8 von 10 Punkten