'Der Tag X' - Seiten 174 - 249

  • Zitat

    Original von Titus Müller


    Die Zahlen sprechen für sich. Jede Woche verließen Tausende die DDR, allein in den vier Monaten von Januar bis April 1953 flohen 120.000 Menschen in den Westen. Es war klar, dass das nicht lange so weitergehen konnte.


    Ich kann mich erinnern im Sommer 89 zu meinen Eltern gesagt zu haben, wenn die Leute weiter so abhauen, dann ist da bald keiner mehr. Man muss schon sagen 89 hatten sie deutlich mehr Glück mit der aktuellen Sowjet-Führung.....

  • Zitat

    Original von Rouge
    Aber in letzter Zeit habe ich immer öfter Bücher gelesen, in denen es keinen Lieblingsprotagonisten gab. Gelegentlich waren es sogar Bücher, in denen mir überhaupt niemand so richtig sympathisch war. Und ich bin ganz erstaunt, dass mir das gar nichts mehr ausmacht. Hauptsache die Personen an sich sind glaubhaft und authentisch und handeln so, dass ich es nachvollziehen kann.


    Für mich ist ein Lieblingsprotagonist auch gar nicht unbedingt ein liebenswerter Protagonist, sondern wie Rouge sehr schön beschreibt, jemand der authentisch ist und dessen Handlungswese nachvollziehbar ist. Das kann auch jemand sein, der mir im Normalfall völlig fremd wäre. Das ist für mich die große Kunst des Autors, mir den dann trotzdem so nahezubringen, dass ich seine Gedanken, Gefühle nicht mitempfinden, aber nachempfinden kann.


    Hier im Buch klappt das z. B. bei Ilja sehr gut. Als eiskalter Spion lebt er in einer völlig fremden Welt und "sympathisch" ist er mir nicht wirklich, aber er handelt so, wie es seiner Rolle entspricht. Nelly hingegen ist mir nach wie vor sehr fremd, von ihr weiß ich zu wenig, um mir wirklich ein Bild machen zu können.


    Abgesehen davon sind mir Protagonisten in Grautönen wesentlich lieber als schwarz/weiß-Typen, die so im wirklich Leben überhaupt nicht vorkommen.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Titus Müller


    Die Zahlen sprechen für sich. Jede Woche verließen Tausende die DDR, allein in den vier Monaten von Januar bis April 1953 flohen 120.000 Menschen in den Westen. Es war klar, dass das nicht lange so weitergehen konnte.


    Danke für deine Antwort. War es damals leicht, aus der DDR zu fliehen? Mauer gabs ja noch keine, es gab sogar Pendler, die regelmäßig hin und her gereist sind und öffentlichen Nahverkehr zwischen den Staaten.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Lese-rina
    War es damals leicht, aus der DDR zu fliehen? Mauer gabs ja noch keine, es gab sogar Pendler, die regelmäßig hin und her gereist sind und öffentlichen Nahverkehr zwischen den Staaten.


    Ich hoffe, Titus hat nichts dagegen, dass ich hier ein total anderes, aber wie ich finde ebenfalls gut geschriebenes Buch verlinke.
    Ich las es vor etlichen Jahren zuletzt, meine mich aber zu erinnern, dass der jugendliche Protagonist Thomas und seine Mutter genau Mitte Juni 1953 von Leipzig über Berlin nach Westdeutschland flohen.
    Es wurde hier auch bereits besprochen.
    Dieter Zimmer: Für'n Groschen Brause
    Die Fortsetzung heißt: "Alles in Butter". Beide Bücher sind aber auch unabhängig voneinander verständlich und übrigens auch in den Readers Digest-Auswahlbänden erschienen.
    (Meine Rezension hatte ich heute schon geschrieben, aber plötzlich war sie weg :cry ich versuche es morgen erneut)
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von Titus Müller


    Da hätte ich richtig Lust drauf! Aber meine Frau bringt mich um ... Ich habe 40 Lesungen zu "Der Tag X" vereinbart, sie dieses Jahr viel zu oft mit den Kindern allein zu Hause (unsere Jungs sind 1 und 3 Jahre alt). Solche Luxus-Termine zum puren Vergnügen sind momentan nicht drin.


    Danke trotzdem für die tolle Idee. :knuddel1


    Danke für das Beantworten der Fragen. :wave


    Leider kommst du dieses Mal nicht nach Wiesbaden zu einer Lesung, oder?

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin


  • Vielen Dank, Titus. Den Termin kann ich leider nicht wahrnehmen. Dann schaue ich in Leipzig bei dir vorbei. :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Vielen Dank, Titus. Den Termin kann ich leider nicht wahrnehmen. Dann schaue ich in Leipzig bei dir vorbei. :wave


    Ja, gerne! Freue mich. :wave


    Öffentliche Auftritte zum "Tag X" habe ich in Halle (Freitag, 18:00 Uhr, Stadthaus) und Leipzig (Samstag, 19:30 Uhr, Ägyptisches Museum), und auf dem Messegelände am Samstag, 11:00 Uhr im Forum Literatur, Halle 4, F100. Als "Autor am Stand" bin ich bei Blessing am Freitag von 14:00-15:00 Uhr, am Samstag von 15:00-16:00 Uhr (Halle 3.0, C101).

  • In Leipzig bin ich auch dabei! :freude :freude :freude Regenfisch, wenn du magst, können wir was ausmachen. Ich werde Freitag und Samstag dort sein (leider nicht mehr Samstag Abend).

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Schade das die Lesungen alle so weit weg sind, wäre schön gewesen Titus mal Persönlich kennen zu lernen. Ich habe letztes Jahr Marit Spang persönlich kennen lernen dürfen in Traben-Trarbach (Mosel)
    wir haben uns dann im Dezember noch mal bei mir zum Kaffee getroffen, anschließend den unterirdischen Weihnachtsmarkt in Traben -Trabach besucht.

  • Zitat

    Original von Lese-rina
    In Leipzig bin ich auch dabei! :freude :freude :freude Regenfisch, wenn du magst, können wir was ausmachen. Ich werde Freitag und Samstag dort sein (leider nicht mehr Samstag Abend).


    Sehr gerne! :knuddel1

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Jetzt sind wir mit Ende dieses Abschnitts mitten im Aufstand des 17. Junis gelandet. Eine spannende Atmosphäre, voller Aufbruchstimmung und Hoffnung. Leider wissen wir ja, dass der Aufstand blutig niedergeschlagen wird.
    Die Zustände in dem Land sind auch unhaltbar, die Versorgung ist schlecht und dann werden auch noch die Normen erhöht, so dass die Leute nicht mehr genug Geld haben, um ihre Familien zu ernähren.
    Auch in Moskau hat die Regierung die Unterstützung verloren und wird zu einer Änderung ihrer Politik gezwungen, aber immerhin haben die Machthabe in Moskau verstanden, dass es so nicht weitergeht.
    Besonders beeindruckend fand ich Wolf Vater, der noch versucht mit dem Lautsprecherwagen durch die Stadt zu fahren und dann feststellt, dass das keinen Sinn mach und den Demonstranten den Wagen überläßt. Ich bin mir nicht sicher, aber er scheint auch etwas von der Staatslinie abgerückt zu
    Von den Russen ist noch keine Unterstützung zu erwarten und so macht sich eine richtige Aufbruchstimmung in der DDR breit, eine tolle Stimmung.
    Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

  • Zitat

    Original von Taubenschlag
    Besonders beeindruckend fand ich Wolf Vater, der noch versucht mit dem Lautsprecherwagen durch die Stadt zu fahren und dann feststellt, dass das keinen Sinn mach und den Demonstranten den Wagen überläßt.


    Das freut mich! Mir war wichtig, dass auch er einmal seine Stärken zeigen kann und die Regimetreuen nicht bloß als Feiglinge gezeigt werden.

  • Womit ich hin und wieder so meine Probleme habe, wenn in einem Kapitel von unterschiedlichen Schauplätzen die Rede ist. Das wechselt manchmal so still und leise. z.B. geht es in einem Kapitel um das Treffen von Adenauer und Churchill in London und dann outet sich Wolf als Stasi-Gehilfe. Na ja, richtig konzentriert lesen hilft.


    Wir erfahren, dass Ilja bei der Abholung von Nellys Vater dabei war und er verrät Nelly noch mehr. Und ich frage mich gerade, ob sich Nelly aus Liebe zu Ilja hingezogen fühlt oder ob sie einfach mehr Informationen erhalten will.


    Lotte war vor ihrer Mutterrolle politisch aktiv und will das jetzt auch wieder werden. Dann kommt der Aufstand der Arbeiter.


    @Titus: Hast du in der Schule russisch gelernt?

  • Zitat

    Original von Patricia_k34
    Wir erfahren, dass Ilja bei der Abholung von Nellys Vater dabei war und er verrät Nelly noch mehr. Und ich frage mich gerade, ob sich Nelly aus Liebe zu Ilja hingezogen fühlt oder ob sie einfach mehr Informationen erhalten will.


    Für mich war es vor allem (gerade am Anfang) die Hoffnung, Ilja damit zum Reden zu bringen (und das hat ja auch funktioniert :-)). Danach kommt auch noch Begehren und Leidenschaft hinzu, aber Liebe kann ich da nicht groß erkennen.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Patricia_k34
    Womit ich hin und wieder so meine Probleme habe, wenn in einem Kapitel von unterschiedlichen Schauplätzen die Rede ist. Das wechselt manchmal so still und leise. z.B. geht es in einem Kapitel um das Treffen von Adenauer und Churchill in London und dann outet sich Wolf als Stasi-Gehilfe. Na ja, richtig konzentriert lesen hilft.


    [..]


    @Titus: Hast du in der Schule russisch gelernt?


    Ja, ich hatte fünf Jahre lang Russisch.


    Danke für den Hinweis mit den Schauplätzen, ich werd's mir für die Zukunft merken! :wave

  • Diesen Abschnitt habe ich bereits vor einigen Tagen beendet, nun wird es Zeit, auch etwas dazu zu schreiben...


    Ich fand es sehr spannend zu lesen, wie sich die Demonstration der Arbeiter nach und nach entwickelt hat. Parallel habe ich den Weg im vorderen Stadtplan verfolgt. So konnte ich mir die Strecke noch besser vorstellen...


    Auch die Geschehnisse in Halle/Saale waren bewegend. Beeindruckend fand ich, wie Lotte aus der Menge heraus plötzlich auf die Kiste steigt, das hätte ich bei ihr so gar nicht vermutet. Sie agierte zuvor doch eher DDR-konform, zumindest was die Meldung ihrer angeblich in den Westen abgehauenen Verwandtschaft betraf.


    Zitat

    Original von Arietta
    Mich hat gewundert das Kathrin und Marc, Lotte so einfach verziehen haben, wegen ihrer Anzeige wegen der Republikflucht. Ich wüsste nicht ob ich das gekonnt hätte.


    Ich fand auch, dass Katharina Lotte sehr schnell verziehen hat: Kaum war ausgesprochen, dass die Meldung von Lotte kam, war der Vorfall auch schon wieder vom Tisch gewischt. Aber vermutlich kann sich Katharina in Lotte reindenken und ihre Beweggründe nachvollziehen. Im Endeffekt scheint alles beim Alten für die beiden zu bleiben, also ist kein großer Schaden entstanden (ob vielleicht doch noch etwas nachkommt?).


    Zur Lieblingsfigur-Sicht: Ich hab da auch noch keinen Favoriten. Ich finde bisher alle Handlungsstränge interessant und lesenswert, egal ob es die politischen Ereignisse oder die persönlichen Erlebnisse betrifft. Dieser Roman ist derart vielschichtig und nicht schwarz-weiß gezeichnet, das gefällt mir sehr!


    Was Ilja und Nelly betrifft, mag ich mich Lese-rina anschließen:

    Zitat

    Original von Lese-rina
    Hier im Buch klappt das z. B. bei Ilja sehr gut. Als eiskalter Spion lebt er in einer völlig fremden Welt und "sympathisch" ist er mir nicht wirklich, aber er handelt so, wie es seiner Rolle entspricht. Nelly hingegen ist mir nach wie vor sehr fremd, von ihr weiß ich zu wenig, um mir wirklich ein Bild machen zu können.


    Nelly ist in der Tat schwer zugänglich für mich. Dennoch finde ich ihre Geschichte und ihre Entwicklung interessant.


    Bin gespannt, wie alles weiterverläuft - im Großen wie im Kleinen.