Agustín Martínez: Monteperdido. Das Dorf der verschwundenen Mädchen
Fischer 2017. 494 S.
ISBN: 978-3-596-03658-5. 14,99€
Originaltitel: Monteperdido
Übersetzerin: Lisa Grüneisen
Verlagstext
Hoch oben unter bedrohlichen Pyrenäen-Gipfeln liegt das Dorf Monteperdido. Hier, wo die Menschen noch eine verschworene Gemeinschaft bilden. Hier, wo vor fünf Jahren die beiden elfjährigen Mädchen Ana und Lucía spurlos verschwunden sind. Da taucht völlig unerwartet die inzwischen sechzehnjährige Ana wieder auf, bewusstlos in einem Wagen, der in eine Schlucht vor Monteperdido gestürzt ist. Kommissarin Sara Campos von der Bundespolizei lässt sofort die Straßen absperren; eine verzweifelte Suche beginnt. Wo ist Lucía? Ist sie noch am Leben? Doch die Berge um Monteperdido schweigen, trügerisch rauschen die Pappelwälder, gefährlich schwillt der reißende Fluss Esera an. Unter den Bewohnern von Monteperdido greifen die Verdächtigungen um sich: War es ein Fremder oder einer von ihnen?
Der Autor
Agustín Martínez ist einer der renommiertesten Drehbuchautoren Spaniens und schreibt unter anderem für viele erfolgreiche Krimiserien. Auf einer Fahrt mit seiner Familie in die Pyrenäen hörte er, wie die Einheimischen über den Fall eines vermissten Kindes sprachen. Es entstand die Idee zu „Monteperdido“, seinem ersten Roman – der begeistert aufgenommen wurde und in viele Sprachen übersetzt wird. Agustín Martínez wurde 1975 in Lorca geboren, studierte in Madrid audiovisuelle Kommunikation und arbeitet auch als Autor und Redakteur fürs Radio.
Inhalt
Die Freundinnen Ana und Lucia waren 11 Jahre alt, als sie mitten am Tag aus ihrem Dorf Monteperdido verschwanden. Im Leben ihrer Angehörigen hat sich das Unglück seitdem wie ein Ölfleck ausgebreitet. Álvaros und Raquels Ehe zerbrach an der Tat; Joaquín Castáns würde über Leichen gehen, um an der Polizei vorbei selbst zu ermitteln. In dem abgelegenen Tal der spanischen Hochpyrenäen kennt man sich; die Familien der Mädchen leben in nebeneinanderliegenden Doppelhaushälften.
Fünf Jahre später verunglückt ein Autofahrer tödlich in einer Schlucht. Aus seinem Fahrzeug kriecht schwer verletzt Ana, eines der Entführungsopfer. Víctor Gamero, dem Leiter der örtlichen Polizeiwache, werden zwei Kriminalbeamte aus Madrid zur Seite gestellt, Sara Campos und Santiago Baín. Das Verhältnis im Team ist gespannt, niemand traut dem anderen. Gamero hält nichts von den Städtern; Santiago schüttelt beim Aktenstudium den Kopf über die schlampigen Ermittlungen zur damaligen Entführung. Während die schwerverletzte Ana im Krankenhaus behandelt wird, beginnt ein Wettlauf um die Rettung von Lucia. Irgendwo in dieser rauen Landschaft muss der Täter sie noch immer gefangen halten. In den Wäldern wird gejagt, Touristen sind im Gebirge unterwegs. Wer hier jahrelang Gefangene versorgt, kann doch nicht unbeobachtet geblieben sein. Jeder Schritt der Ermittler kann ein Schritt in die falsche Richtung sein. Der Druck auf alle ist beklemmend deutlich zu spüren. Dass die geschwächte Ana ohne ihre Mutter von männlichen Kriminalpolizisten vernommen wird, befremdet. Sara Campos ist sich sicher, dass Ana mehr weiß, als sie sagt. Um Lucia zu schützen? Um den Täter zu schützen? Einige im Tal haben Gründe, jemandem eins auszuwischen. Kaum jemand, der keine illegalen Geschäfte macht oder auf andere sonderbar wirkt. Die Fäden der Beziehungen bilden ein dichtes Netz, das die Madrider Ermittler ohne Hilfe Einheimischer nicht durchdringen können. „Hier spricht sich alles rum, und trotzdem weiß keiner was“, bringt Sara die Lage auf den Punkt. Nur wem können die Madrider Ermittler trauen, wer ist Opfer und wer ein geschickter Manipulator?
Fazit
Das Tal von Monteperdido wird im Winter nur selten von der Sonne erreicht. Diese raue Landschaft mit sintflutartigen Regenfällen, die nicht selten Todesopfer fordern, sorgen in Agustín Martínez' Kriminalroman für eine düstere Atmosphäre. Das Setting des abgelegenen Tales vor dräuenden Unwettern lässt eine antike Tragödie vermuten. Wenn in einem Krimi Kinder Opfer von Gewalttaten werden, lasse ich mich darauf ungern ein. Doch die Menschen an diesem Ort haben von Beginn an meine Neugier geweckt. Ob ein Tierarzt als Hobbyautor, Leute, die vom Tourismus leben müssen, oder die Angehörigen der Mädchen – Martínez zeichnet differenzierte Figuren und trifft Zwischentöne. Zum Ende hätten mir einige Verzögerungsmomente weniger genügt; dennoch vor gewaltiger Kulisse ein beeindruckender Erstlingsroman.
9 von 10 Punkten