'Was vom Tage übrigblieb' - Seiten 001 - 056

  • Ich muss zugeben, dass ich von diesem Buch sehr überrascht bin, kenne weder Buch noch Film noch den Autor. Ich weiß nicht genau, was ich erwartet habe, aber bestimmt nicht ein Buch in einer sehr altmodischen, für mich sehr englisch klingenden Sprache.


    Der japanisch klingende Name hat mich wahrscheinlich zu der Annahme verführt, ein Buch in reduzierter Sprache oder klarer Sprache zu bekommen. Stattdessen schöpft er aus dem Vollen. Das gefällt mir. Ishiguro schreibt wirklich so, wie ich mir die Sprache eines ehrwürdigen Butlers vorstelle.


    Der Erzähler ist also der Butler Stevens, der in seinen Gedanken oft abschweift. Mir kommt es so vor, als sitze ich zu Füßen eines älteren Herren, der in seinem Ohrensessel sitzt und eine Zigarre raucht, und höre ihm zu. Auf dem Beistelltisch stehen Tee und Gurken-Sandwiches. :grin


    Eindrücklich finde ich, wie der Erzähler sein Selbstverständnis als Butler schildert. Für mich ist ein solch aufopferungsvolles Leben kaum vorstellbar. Seine Person vollkommen zurück zu nehmen und nur zu dienen, dabei völlig ohne Emotionen, zumindest äußerlich, das kann ich nur bewundern, klingt aber nicht erstrebenswert für mich. Er ist seinem Dienstherren sehr loyal gegenüber, obwohl dieser viel zu wenig Personal einstellt.


    Ganz glücklich war ich, dass Stevens den Aufstieg auf die Anhöhe wirklich unternimmt und dass ihn die Aussicht beseelt. Mir kommt es so vor, als habe er sonst wenig wirklich glückliche Momente.


    Ich bin sehr gespannt, ob die Reise zu Miss Kenton gelingt. Und natürlich, ob mehr dahinter steckt, etwa eine unerwiderte Liebe.



    Hier kann man sich ein paar Bilder ansehen von Orten, die in der Verfilmung zu sehen sind.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Danke für den Link! Großartige Bilder!


    Kazuo Ishiguro ist ein großer Stilist und hat in diesem Buch wirklich einen Ton getroffen, der sehr englisch klingt.


    Zwischen dem wohl schon älteren Butler Stevens und seinen noch relativ neuen, amerikanischen Dienstherrn Mr. Farraday herrscht ein Kommunikationsproblem. Mr.Darraday legt einen spöttischen Ton an, mit dem Stevens nicht so recht umzugehen weiß.
    Mr.Farraday müsste das eigentlich erkennen, ich finde seine anzüglichen Scherze unangebracht. Vielleicht fühlt er sich von Stevens steife Art herausgefordert.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Danke für den Link! Großartige Bilder!
    ...


    Gerne!


    Zitat

    Original von Herr Palomar
    ...
    Zwischen dem wohl schon älteren Butler Stevens und seinen noch relativ neuen, amerikanischen Dienstherrn Mr. Farraday herrscht ein Kommunikationsproblem. Mr.Darraday legt einen spöttischen Ton an, mit dem Stevens nicht so recht umzugehen weiß.
    Mr.Farraday müsste das eigentlich erkennen, ich finde seine anzüglichen Scherze unangebracht. Vielleicht fühlt er sich von Stevens steife Art herausgefordert.


    Das stimmt, um so großer wirkt Stevens' Loyalität. Mr. Darraday verkörpert in meinen Augen eben auch einen typischen Amerikaner. Immerhin ermöglicht er den Ausflug. Mehr sogar noch: Er setzt ein Zeichen. Seinem Butler den Wagen zu überlassen, war bestimmt nicht üblich.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Sicher, aber ich empfinde Mr.Farraday zwar als großzügig, aber als etwas herablassend. Andererseits ist es für Stevens und andere Bedienstete auf Darlington Hall natürlich gut, dass er die Arbeitsplätze erhält. Das ist 1956, als die Zeit der Butler wohl langsam zu Ende geht, nicht selbstverständlich.


    Interessant finde ich Stevens Erinnerungen und Gedankengänge um den Begriff Ehre, bei der er eine eigene Definition hat, die sich an seinem Vater orientiert, der obwohl mit wenig Bildung doch ein fähiger und würdiger Butler war.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    ...
    Interessant finde ich Stevens Erinnerungen und Gedankengänge um den Begriff Ehre, bei der er eine eigene Definition hat, die sich an seinem Vater orientiert, der obwohl mit wenig Bildung doch ein fähiger und würdiger Butler war.


    :write
    Ebenso interessant, wie er seine Berufsgenossen einsortiert.


    Tatsächlich scheinen Werte wie Treue, Verschwiegenheit, Loyalität und einen Hang zur Unsichtbarkeit wichtiger im Butler-Beruf zu sein als Bildung.


    Interessant!


    Wisst ihr, wo Butler heute noch eingesetzt werden?
    Hat der Bundespräsident einen Butler?

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • So, ich habe den ersten Abschnitt auch durch.


    Das ist nicht mein erster Ishiguro - hilft allerdings auch nichts, was die Erwartungen angeht. Seine Bücher sind so grundverschieden, was Thema, Genre und Stil angeht. Ishiguro hat zwar japanische Wurzeln, lebt aber schon seit seiner Kindheit in Großbritannien


    Da ich ein Fan von Serien wie Das Haus am Eaton Place oder Downton Abbey bin, hatte ich vom Thema her schon erwartet, dass wir einen Protagonisten haben, der eine untergehende Welt verkörpert. Zu der Zeit war es kaum noch möglich, die Menge Hauspersonal, die früher normal war und eigentlich zum reibungslosen Führen eines Anwesens der Größe nötig ist (die Bilder sind da schon beeindruckend, danke Regenfisch), zu bezahlen.


    Butler gibt es heute auch noch (bzw. wieder), allerdings nur in wenigen Fällen als langjährige Bedienstete einer Familie - inzwischen gibt es sogar Mietagenturen für Butler. Die Rolle ist wohl auch eine andere, es geht eher ums Repräsentative als darum, jemanden zu haben, der das Personal führt. Gerade in Asien sind sie wohl beliebt, weil europäisch-exotisch.


    Sehr gut gefällt mir der Kulturschock im Umgang zwischen dem amerikanischen Auftraggeber und Stevens. Der Umgang miteinander fällt beiden schwer - Farraday behandelt Stevens nicht so, wie dieser es von einem Gentleman erwarten würde, Stevens versteht im Gegenzug dessen Humor überhaupt nicht und scheitert kläglich beim Versuch, sich auf diesen Umgangston einzulassen.


    Interessant fand ich auch, dass Stevens einerseits sehr traditionelle Vorstellungen von den Aufgaben und Fähigkeiten eines guten Butlers hat, auf der anderen Seite aber die Einstellung der Hayes Society ablehnt, dass nur ein gebürtiger und adliger Engländer als Hausherr in Frage kommt.


    Die Beispiele, die er für einen wirklich guten Butler angibt, finde ich auch extrem - die eigene Person und die eigenen Gefühle so hintenanzustellen wie sein Vater beim Bedienen des Generals scheint mir fast schon übermenschlich zu sein. Und die Geschichte mit dem Tiger, der erlegt werden musste, damit das Abendessen wie gewohnt und ohne Verzögerung serviert werden kann.. :lache

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Ein normaler Lehrberuf ist Butler wohl nicht.
    Früher ging der Werdegang wohl über die Position Hausdiener, der mit Geschick und Erfahrung schließlich Butler werden konnte.


    Soweit ich weiß gibt es in England Schulen für Butler. Es kam da mal vor Jahren eine Doku im TV.


    Allerdings ist für den Normalbürger die Einstellung eines Butlers zur "Herrschaft" kaum nachvollziehbar.
    Zumindest geht es mir so beim lesen.


    Allerdings gefällt mir der sperrige Erzählstil, der so vollkommen zu Stevens passt.


    Dass er mit den launigen Bemerkungen seines neuen Herrn seine Probleme hat las sich für mich recht amüsant.


    Ist aber sicher ein Drahtseilakt sich zwischen Anbiederung und respektvoller Erwiderung zurechtzufinden.

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Der Erzähler ist also der Butler Stevens, der in seinen Gedanken oft abschweift. Mir kommt es so vor, als sitze ich zu Füßen eines älteren Herren, der in seinem Ohrensessel sitzt und eine Zigarre raucht, und höre ihm zu. Auf dem Beistelltisch stehen Tee und Gurken-Sandwiches. :grin


    Das ist auch mein Eindruck und er gefällt mir sehr, sehr gut. Ich mag es im Moment sehr, wenn Bücher es schaffen mich zu entschleunigen. Dieses hier ist so eins. Ich werde es auch langsam lesen und genießen.


    Ich kenne übrigens den Film und er ist sehr sehenswert! Danke für den Link zu den Bildern.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Sicher, aber ich empfinde Mr.Farraday zwar als großzügig, aber als etwas herablassend. Andererseits ist es für Stevens und andere Bedienstete auf Darlington Hall natürlich gut, dass er die Arbeitsplätze erhält. Das ist 1956, als die Zeit der Butler wohl langsam zu Ende geht, nicht selbstverständlich.


    Interessant finde ich Stevens Erinnerungen und Gedankengänge um den Begriff Ehre, bei der er eine eigene Definition hat, die sich an seinem Vater orientiert, der obwohl mit wenig Bildung doch ein fähiger und würdiger Butler war.


    Ich lese aber auch eine ähnliche Herablassung in Stevens gegenüber diesem Amerikaner heraus. Beide kommen hier mit einer Welt in Berührung, die anders als die eigene ist. Diese Herablassung ist aber von beiden Seiten nicht boshaft oder überheblich, sondern amüsant.


    Stevens Gedankengänge finde ich auch sehr interessant und mir gefällt auch seine persönliche Einordnung, wie es früher war und heute ist. Er ist in der Lage zu reflektieren und kann sich wohl auch deshalb auf die neue Idee das Auto der Herrschaft für einen Ausflug zu benutzen, einlassen. Er ist nicht festgefahren in seinem Denken. In seinem Lebensstil, seiner Art in seinem Beruf ganz und gar aufzugehen und das nicht ablegen zu können, ist er es in gewisser Weise schon. Er braucht für den Ausflug einen beruflichen Vorwand, um überhaupt loszufahren.
    Er ist durch und durch Butler und sein Vater ist nicht nur Vater, sondern auch sein Vorbild.


    Interessant finde ich auch, dass er nie auf die Idee kommt, er könne der Definition des perfekten Butlers entsprechen. An übermäßigem Selbstbewusstsein leidet er nicht.

  • Manchmal ist so ein blöder Infekt auch ein klein wenig praktisch und ich konnte pünktlich mit dem Buch anfangen. Der Einstieg fiel mir sehr leicht und ich fühlte mich aufgrund der etwas gestelzten, aber nicht unangenehmen Sprache direkt nach England versetzt. :-)


    Zitat

    Original von Regenfisch
    Der Erzähler ist also der Butler Stevens, der in seinen Gedanken oft abschweift. Mir kommt es so vor, als sitze ich zu Füßen eines älteren Herren, der in seinem Ohrensessel sitzt und eine Zigarre raucht, und höre ihm zu. Auf dem Beistelltisch stehen Tee und Gurken-Sandwiches. :grin


    Das habe ich sehr ähnlich empfunden und ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich dem älteren Herrn regelrecht an den Lippen hänge. Mich erreicht der Autor jedenfalls mit jeder Zeile. :-)



    Zitat

    Original von Regenfisch
    Eindrücklich finde ich, wie der Erzähler sein Selbstverständnis als Butler schildert. Für mich ist ein solch aufopferungsvolles Leben kaum vorstellbar. Seine Person vollkommen zurück zu nehmen und nur zu dienen, dabei völlig ohne Emotionen, zumindest äußerlich, das kann ich nur bewundern, klingt aber nicht erstrebenswert für mich. Er ist seinem Dienstherren sehr loyal gegenüber, obwohl dieser viel zu wenig Personal einstellt.


    Ich finde es sehr faszinierend in diese Butler-Welt einzutauchen und ich empfinde diesen Beruf immer mehr als eine Art Philosophie. Ich glaube, dass nicht jeder einfach so Butler werden kann - es muss einem schon irgendwie in die Wiege gelegt worden sein.



    Regenfisch : Vielen Dank für die tollen Links! Da werde ich noch länger drin stöbern... :knuddel1



    Zitat

    Original von Saiya
    Interessant finde ich auch, dass er nie auf die Idee kommt, er könne der Definition des perfekten Butlers entsprechen. An übermäßigem Selbstbewusstsein leidet er nicht.


    Für mich macht ihn gerade auch dieser Umstand den möglicherweise perfekten Butler aus. Er ist immer und jederzeit bestrebt, einen perfekten Job zu machen und ruht sich nie auf einem Lob aus. Mehr Loyalität gibt es schon fast nicht. Obwohl ich das Gefühl habe, dass Stevens mit seinem Leben recht zufrieden zu sein scheint, befürchte ich gleichzeitig, dass er sich selber manchmal vergisst.

  • Zitat

    Original von Saiya
    Ich mag es im Moment sehr, wenn Bücher es schaffen mich zu entschleunigen. Dieses hier ist so eins. Ich werde es auch langsam lesen und genießen.


    :write Obwohl sich das Buch sehr flüssig und mit einer gewissen Leichtigkeit liest, kann ich überhaupt nicht über die Zeilen fliegen. Mein Leserythmus passt sich automatisch an die Stevens Erzähltempo an. Ishiguro ist ein Meister der leisen Töne. :anbet

  • Zitat

    Original von Ayasha


    :write Obwohl sich das Buch sehr flüssig und mit einer gewissen Leichtigkeit liest, kann ich überhaupt nicht über die Zeilen fliegen. Mein Leserythmus passt sich automatisch an die Stevens Erzähltempo an. Ishiguro ist ein Meister der leisen Töne. :anbet


    Das empfinde ich auch so.


    Und trotzdem fliegen die Seiten nur so dahin, vielleicht auch, weil mich ebenfalls eine Erkältung auf dem Sofa hält.


    Gute Besserung, Ayasha! :knuddel1

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Dass der Roman so ruhig anfängt, halte ich für sinnvoll. Es läuft daraus hinaus, dass Stevens auf der Reise vielleicht zum ersten Mal seit langem Zeit und Ruhe findet, über sein Leben und seine Erfahrungen zu reflektieren.


    Wann sollte er das auch sonst machen? Seine Tage sind ausgefüllt, seine Abende auch, und wenn viele Probleme zu lösen sind, auch seine Nächte.


    Ich mag den ruhigen Erzählton auch sehr.

  • Wie sagte man immer so schön: Sie kannten es eben nicht anders. Heute würde wohl keiner mehr unter solchen Bedingungen arbeiten.
    Schlecht hatte die Dienerschaft es im Vergleich wahrscheinlich trotzdem nicht. Sie hatten zu essen, waren gut untergebracht, mehr als viele andere hatten.

  • Zitat

    Original von Ayasha
    :write Obwohl sich das Buch sehr flüssig und mit einer gewissen Leichtigkeit liest, kann ich überhaupt nicht über die Zeilen fliegen. Mein Leserythmus passt sich automatisch an die Stevens Erzähltempo an. Ishiguro ist ein Meister der leisen Töne. :anbet


    Da ich das Buch im Original lese, bin ich hier auch deutlich langsamer als sonst. Die Sprache ist wunderschön, aber ich stolpere immer wieder mal über Formulierungen oder Vokabeln, die ich zwar verstehe, die aber nicht zu meinem aktiven Wortschatz gehören. Deshalb kann ich das Buch auch nicht abends vorm Einschlafen lesen - ich brauche Zettel und Stift für ein paar Notizen.


    Also nicht wundern, wenn ich erst später in den nächsten Abschnitten poste.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Eigentlich beneidenswert oder jedenfalls bemerkenswert, dass jemand so ausgefüllt von seinem Beruf ist.
    Aber die private Seite des Lebens scheint dabei zu kurz gekommen zu sein.


    Privatleben für Dienstboten - sowas hat die damalige Gesellschaft wohl als Scherz und völlig unnötig aufgefasst.


    Ein Butler gibt mit seinem Beruf wohl sein ganzes Leben in die Hände der Herrschaft und scheint es nicht einmal zu vermissen. Stevens könnte sich wohl doch zu einem der Butler zählen, zu denen sie alle aufsehen.