S.145: Das Mr.Stevens seinen Lord Darlington verleugnet ist eine Art Verrat.
Da Lord Darlington politisch so fehlgeleitet war, ist das Leugnen wenige Jahre nach dem Krieg verständlich, aber doch auch ein wenig beschämend für Mr.Stevens.
'Was vom Tage übrigblieb' - Seiten 057 - 154
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Original von Herr Palomar
S.145: Das Mr.Stevens seinen Lord Darlington verleugnet ist eine Art Verrat.
Da Lord Darlington politisch so fehlgeleitet war, ist das Leugnen wenige Jahre nach dem Krieg verständlich, aber doch auch ein wenig beschämend für Mr.Stevens.Ich hatte es eher so gelesen, dass er nur nicht über seinen vorigen Dienstherren sprechen wollte, weil sich das nicht gehört. Aber du hast wahrscheinlich Recht.
Den politischen Aspekt habe ich bisher noch gar nicht so im Vordergrund gesehen, vielleicht auch, weil Stevens dieses Thema aus Berufsehre eher meidet und nur vage anschneidet. -
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Original von Regenfisch
Ich bin erst auf Seite 82 und möchte doch jetzt schon ein paar Gedanken los werden.Mich bewegt sehr, das Altern des Mr. Stevens senior mitzuerleben. Was passiert eigentlich mit "ausrangiertem" Personal?
Auch die beengte Kammer, in der der alte Herr hausen muss, ist seiner nicht würdig. Mein erster Gedanke war, dass der junge Stevens doch tauschen sollte. Er hat sicherlich ein besseres Zimmer, sogar mehrere, wenn ich das richtig verstanden habe.Auch das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ist sehr gut beschrieben. Äußerst förmlich, was sicherlich der Zeit und dem Beruf geschuldet ist. Die Peinlichkeit, seinen Vater zu einem Gespräch bitten zu müssen, arbeitet Ishiguro sehr gut heraus.
Die Szene, in der Miss Kenton Stevens darauf aufmerksam machen will, dass sein Vater schwächer wird, ist spannend. Sie schleicht wie die Katze um den heißen Brei, Stevens wiederum versteht die ersten Andeutungen nicht. Zunächst dachte ich, dass Miss Kenton dem jungen Stevens an den Karren fahren will, jetzt denke ich jedoch, dass sie mit dem alten Stevens Mitleid hat und dem "blinden" Sohn auf die Sprünge hilft, damit der Vater nicht entlassen wird. Sie verhindert wahrscheinlich eine große Katastrophe.
Diese Szenen fand ich äußerst spannend. Die Dialoge zwischen Stevens und Miss Kenton sind spitzfindig und deutlich in ihrem Anliegen aber verletzen in keinster Weise die Ehre des anderen. Mir fällt gerade kein besserer Ausdruck ein.
Allerdings ist die Kammer des Vaters für ihn selbst glaube ich ausreichend, er will garnicht mehr.
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Original von Clare
Ich hatte es eher so gelesen, dass er nur nicht über seinen vorigen Dienstherren sprechen wollte, weil sich das nicht gehört. Aber du hast wahrscheinlich Recht.
Den politischen Aspekt habe ich bisher noch gar nicht so im Vordergrund gesehen, vielleicht auch, weil Stevens dieses Thema aus Berufsehre eher meidet und nur vage anschneidet.
Mir gab Stevens hier auch das Gefühl, dass sein "Verrat" vom politischen Aspekt heraus geleitet war. Trotz seiner Berufsehre und der daraus resultierenden Zurückhaltung blitzen in solchen Szenen endlich Mal seine ganz eigene Einstellung und seine innersten Gedanken auf. Mir als Leser kommt er damit näher und wirkt so nicht durchgehend als der stille Butler, der im Hintergrund agiert. -
So, ich habe doch endlich auch einen weiteren Absatz geschafft - das ist einfach kein Buch für nebenbei.
Ich habe auch das Gefühl, Stevens flieht regelrecht vor sich selbst und seinen Gefühlen in die Rolle des Butlers. Daran kann er sich festklammern, sie gibt ihm Sicherheit, Halt und klare Vorgaben. Der Umgang mit anderen Menschen fällt ihm wohl ziemlich schwer. Nicht einmal zu seinem Vater kann er Nähe zulassen und flieht sofort wieder in seine Pflichten. Alle sonstigen menschlichen Interaktionen werden von den strengen Regeln definiert, für die er mit seinem Beruf steht. Seine Loyalität bewahrt ihn davor, eine eigene Meinung haben zu müssen.
Miss Kenton ist eine Art Gegenfigur zu Stevens. Sie zeigt Mitgefühl und Zuneigung. Ich bin ja gespannt, ob sie wirklich zurück nach Darlington Hall will oder ob da der Wunsch bei Stevens Vater des Gedankens ist. (Zwischendrin habe ich mich auch mal gefragt, ob das Zurück nach Darlington Hall hier wirklich räumlich im Sinne einer Anstellung zu verstehen ist oder ob da der Wunsch von Stevens nach einer Rückkehr zu einer Welt durchkommt, die er verstanden hat, in der er nichts selbst entscheiden musste und in der er eine in seinen Augen wichtige Position hatte).
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Original von Ellemir
So, ich habe doch endlich auch einen weiteren Absatz geschafft - das ist einfach kein Buch für nebenbei.Findest du es sehr anstrengend zu lesen? Ich war auch gefesselt und habe bewusst gelesen, aber es fiel mir leicht.
ZitatIch habe auch das Gefühl, Stevens flieht regelrecht vor sich selbst und seinen Gefühlen in die Rolle des Butlers. Daran kann er sich festklammern, sie gibt ihm Sicherheit, Halt und klare Vorgaben. Der Umgang mit anderen Menschen fällt ihm wohl ziemlich schwer. Nicht einmal zu seinem Vater kann er Nähe zulassen und flieht sofort wieder in seine Pflichten. Alle sonstigen menschlichen Interaktionen werden von den strengen Regeln definiert, für die er mit seinem Beruf steht. Seine Loyalität bewahrt ihn davor, eine eigene Meinung haben zu müssen.
...Da hast du Recht. Sein Butler-Job ist sein Stützgerüst. Da muss er keine Gefühle äußern oder einschätzen, was ihm sehr entgegen kommt.
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Schwer ist vielleicht das falsche Wort - ich finde es sehr fesselnd und muss mir nebenbei ab und an mal eine Formulierung notieren. Das Englisch von Stevens ist ja schon sehr geschraubt.
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Original von Ellemir
Schwer ist vielleicht das falsche Wort - ich finde es sehr fesselnd und muss mir nebenbei ab und an mal eine Formulierung notieren. Das Englisch von Stevens ist ja schon sehr geschraubt.Ach ja, du liest ja auf englisch!
Das hatte ich vergessen. Ich kann mir gut vorstellen, dass gerade Stevens da schwer zu lesen ist. -
Dieser Teil hat mir gut gefallen. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass man seinen Job äusserlich entspannt und ruhig direkt nach dem Tod des Vaters weiter machen kann. Ich könnte das jedenfalls nicht.
Haben wir eigentlich heraus gefunden, warum die Beziehung zwischen Stevens und seinem Vater nicht so toll ist? Ich kann mich nur erinnern, dass er selber nicht wusste, woran es lag.ZitatOriginal von Regenfisch
Mich bewegt sehr, das Altern des Mr. Stevens senior mitzuerleben. Was passiert eigentlich mit "ausrangiertem" Personal?
Ich hab mich gefragt, was z. B. passiert wäre, wenn ein Teil des Personals Alzheimer hat. Die könnten ja nicht mehr dort arbeiten und einfach vor die Tür setzen kann ich mir auch nicht vorstellen.
ZitatOriginal von Herr Palomar
Dieses Nichtzulassen von Emotionen steckt tief in Stevens.
Das merkt man besonders in der Szene, als er seinen Vater das letzte mal sah.
Der Vater wollte mit seinem Sohn reden, dass er stolz auf ihn sein und ob er ein guter Vater war.
Aber Stevens wehrt nur ab, mit den Worten "Ich bin so froh, dass es Vater jetzt besser geht". Mehr Nähe lässt er nicht zu. Das finde ich tragisch für eine letzte Begegnung im Leben.Ich fand es vor allem krass, wie er mit seinem Vater geredet hat. Total unpersönlich.
ZitatOriginal von Ellemir
Miss Kenton ist eine Art Gegenfigur zu Stevens. Sie zeigt Mitgefühl und Zuneigung. Ich bin ja gespannt, ob sie wirklich zurück nach Darlington Hall will oder ob da der Wunsch bei Stevens Vater des Gedankens ist. (Zwischendrin habe ich mich auch mal gefragt, ob das Zurück nach Darlington Hall hier wirklich räumlich im Sinne einer Anstellung zu verstehen ist oder ob da der Wunsch von Stevens nach einer Rückkehr zu einer Welt durchkommt, die er verstanden hat, in der er nichts selbst entscheiden musste und in der er eine in seinen Augen wichtige Position hatte).
Das habe ich mir auch überlegt. Ich glaube nicht, dass Miss Kenton zurück möchte. Sie ist das Leben ja gar nicht mehr gewohnt. Hat sie eigentlich Kinder?
Ich finde das Buch übrigens nur in soweit schwer zu lesen, als dass man sich die Worte bewusst werden muss, die Stevens nutzt. Ich musste erst mal rein finden. Ich neige ja dazu immer etwas zu schnell zu lesen und Dinge nicht mitzubekommen.