'Was vom Tage übrigblieb' - Seiten 154 - 240

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  • In diesem Abschnitt möchte ich unbedingt den Vorfall 1935 ansprechen.
    Der Lord hat wieder Gäste und ein Mr.Spencer will beweisen, dass der einfache Mann von einer Machtelite regiert werden muss.
    Um das zu beweisen stellt er Mr.Stevens Fragen, die niemand ohne Spezialwissen beantworten kann. Das beweist also nichts! Dennoch demütigend! das merkt sogar der Lord und entschuldigt sich bei Stevens am nächsten Tag, jedoch nicht ohne die eigentliche Absicht hinter den Fragen zu rechtfertigen.


    Eigentlich hatte Stevens sich sogar mit seinen unverfänglichen Abwehren der Fragen ganz gut geschlagen. Ich an seiner Stelle hätte vielleicht versucht, die Fragen zu beantworten und hätte mich unweigerlich dabei blamiert.



    Solche Szenen, die eigentlich undramatsich sind, bewegen emotional dennoch ganz stark. Solche Momente herauszuarbeiten ist eine von Kazuo Ishiguros Stärken.


    Ähnlich stark dargestellt war das Ende der Kakaostunden, die Stevens und Miss Kenton regelmäßig zusammen hatten. Eigentlich war das nur ein Missverständnis, aber Stevens war doch getroffen und konnte schließlich nicht mehr über seinen Schatten springen.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    In diesem Abschnitt möchte ich unbedingt den Vorfall 1935 ansprechen.
    Der Lord hat wieder Gäste und ein Mr.Spencer will beweisen, dass der einfache Mann von einer Machtelite regiert werden muss.
    Um das zu beweisen stellt er Mr.Stevens Fragen, die niemand ohne Spezialwissen beantworten kann. Das beweist also nichts! Dennoch demütigend! das merkt sogar der Lord und entschuldigt sich bei Stevens am nächsten Tag, jedoch nicht ohne die eigentliche Absicht hinter den Fragen zu rechtfertigen.


    Eigentlich hatte Stevens sich sogar mit seinen unverfänglichen Abwehren der Fragen ganz gut geschlagen. Ich an seiner Stelle hätte vielleicht versucht, die Fragen zu beantworten und hätte mich unweigerlich dabei blamiert.


    Diese Szene hätte ich auch angesprochen. Mich erschüttert etwas, dass sich Stevens wirklich gar nicht gedemütigt fühlt. Er selbst benennt diese Episode als weiteren Beweis der Wichtigkeit der "Würde". Damit ist nicht die Menschenwürde an sich gemeint, sondern eine Grundeinstellung des Butlers. Als Mensch der unteren Schicht wurde er, finde ich, sehr wohl beleidigt und in seiner Würde verletzt. Stevens aber hält sich zu Gute, wie gleichmütig er diese Situation meisterte, indem er sie aushielt.


    Kein Wunder, dass den Gefühlsäußerungen nicht zu trauen ist, konnte er sie doch nie wirklich üben, erlernen. Immer an sich halten, immer höflich einstecken...


    Zitat

    Solche Szenen, die eigentlich undramatsich sind, bewegen emotional dennoch ganz stark. Solche Momente herauszuarbeiten ist eine von Kazuo Ishiguros Stärken.


    Es zieht sich durch den ganzen Roman. Für mich ist das mein erster Ishiguro, und ich bin beeindruckt, wie er es schafft, eine so dichte Atmosphäre zu schaffen, auch wenn sich die Ereignisse nicht gerade überstürzen. Es ist ein leises Buch mit starken Figuren, die so gar nicht stark sind.


    Zitat

    Ähnlich stark dargestellt war das Ende der Kakaostunden, die Stevens und Miss Kenton regelmäßig zusammen hatten. Eigentlich war das nur ein Missverständnis, aber Stevens war doch getroffen und konnte schließlich nicht mehr über seinen Schatten springen.


    Wenn er das Missverständnis zugegeben hätte, wäre das seiner Würde abträglich gewesen. Ich bedauere es sehr, dass sie sich nicht mehr trafen. Miss Kenton tat Stevens gut. Vielleicht hatte sie es auch lange genug versucht, Bemerkungen über Licht und Blumen und Bücher gemacht und konnte nun nicht mehr.
    Indem sie ihn nach dem Buch fragt und ihn quasi zwingt, den Titel zu offenbaren, ist sie in seinen privaten Sicherheitsbereich eingedrungen, hat ihn "außer Dienst" vorgefunden, und das geht, so meint er, bei einem guten Butler gar nicht.
    Schade. Ich hätte die beiden gerne als Paar gesehen oder wenigstens ein zartes amouröses Pflänzchen.

  • Bizarr fand ich die "Verwechslung" bzw. das Missverständnis, das es im Gespräch mit Fam. Taylor gab. Es ist so typisch für Stevens, dass er, einmal hineingeraten, nicht versucht aufzuklären, dass er die Größen der Politik bedient hat, nicht mit ihnen am Tisch saß. schämt er sich vielleicht doch ein wenig?
    Oder ist ihm nur peinlich, so falsch verstanden worden zu sein und es aufklären zu müssen? :gruebel

  • Zitat

    Original von Clare


    Diese Szene hätte ich auch angesprochen. Mich erschüttert etwas, dass sich Stevens wirklich gar nicht gedemütigt fühlt. Er selbst benennt diese Episode als weiteren Beweis der Wichtigkeit der "Würde". Damit ist nicht die Menschenwürde an sich gemeint, sondern eine Grundeinstellung des Butlers. Als Mensch der unteren Schicht wurde er, finde ich, sehr wohl beleidigt und in seiner Würde verletzt. Stevens aber hält sich zu Gute, wie gleichmütig er diese Situation meisterte, indem er sie aushielt.
    ...


    Ich finde, dass in diesem Abschnitt und auch in der von euch angesprochenen Szene ganz vie von Stevens' Grundeinstellung deutlich wird, die ich nachvollziehen, aber nicht verstehen kann.
    Er stellt sein ganzes Leben, sein ganzes Ich in den Dienst seines Herren, wenn er sich denn dazu entscheiden hat, grundlegend mit diesem einverstanden zu sein. Da ist kein Platz für eine eigene Meinung, schon gar nicht, wenn diese seinem Herrn widerspricht. Er kann nur ein würdevoller Butler sein, wenn er formvollendet dient.
    Er hat sich sehr gut aus der Affaire gezogen und die Situation bravourös gemeistert.
    Mir gefällt sehr, dass wir einen Einblick in die Denkweise eines Butlers bekommen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ein Butler wirklich so denkt und empfindet.



    Sie hat ihn ganz schön in die Enge getrieben. Sie hätte ihre Neugierde geschickter befriedigen können. Außerdem glaube ich, dass die beiden sich schon für ihre Verhältnisse ganz schön nahe gekommen sind und Stevens im letzten Moment die Reißleine gezogen hat.
    Dass Miss Kenton so insistiert zeigt ja, dass sie meint, ihm nahe zu sein.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Clare
    Bizarr fand ich die "Verwechslung" bzw. das Missverständnis, das es im Gespräch mit Fam. Taylor gab. Es ist so typisch für Stevens, dass er, einmal hineingeraten, nicht versucht aufzuklären, dass er die Größen der Politik bedient hat, nicht mit ihnen am Tisch saß. schämt er sich vielleicht doch ein wenig?
    Oder ist ihm nur peinlich, so falsch verstanden worden zu sein und es aufklären zu müssen? :gruebel


    In diesem Zusammenhang steht ja sein Betrachtung über das perfekt geputzte Silber. Die dadurch ausgelöste positive Grundstimmung hat zum Verlauf des Abends beigetragen- so sieht es Stevens und ist stolz darauf. ;-)


    Ich finde diese Missverständnisse köstlich.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    :write
    Was meinst du damit, dass die Figuren so gar nicht stark sind?
    Ich empfinde sowohl Miss Kenton als auch Stevens als starke Persönlichkeiten.


    Auch mich fasziniert Ishiguros leise Erzählweise. Ich lese eigentlich gerne im Bus und überall... aber dieses Buch lese ich am liebsten, wenn ich ganz alleine bin und nichts um mich herum zu hören ist. ;-)


    Miss Kenton (ich finde es übrigens sehr bezeichnend, dass Stevens sie immer noch so nennt) sehe ich auch als sehr starke Persönlichkeit und sie tut dem Butler in der Tat sehr gut. Die beiden ergänzen sich auf sehr eindrückliche Weise.


    Die Frage, ob Stevens auch so eine starke Persönlichkeit besitzt, konnte ich für mich noch nicht so ganz beantworten. Einerseits braucht es schon einen starken Charakter, um als Butler stets so loyal zu bleiben. Gleichzeitig sehe ich ihn aber auch in diesem Beruf gefangen. Er muss sich stets so stark zurück nehmen, so dass seine Persönlichkeit kaum in den Vordergrund tritt und somit irgendwie auch geschwächt wird. :gruebel

  • Zitat

    Original von Ayasha
    ...
    Die Frage, ob Stevens auch so eine starke Persönlichkeit besitzt, konnte ich für mich noch nicht so ganz beantworten. Einerseits braucht es schon einen starken Charakter, um als Butler stets so loyal zu bleiben. Gleichzeitig sehe ich ihn aber auch in diesem Beruf gefangen. Er muss sich stets so stark zurück nehmen, so dass seine Persönlichkeit kaum in den Vordergrund tritt und somit irgendwie auch geschwächt wird. :gruebel


    Du hast recht, Stevens ist durch und durch Butler und gerade das empfinde ich als Stärke im Sinne von Durchhaltevermögen oder Loyalität. So ganz in seinem Beruf aufzugehen, das könnte ich nicht. Auch dieses komplette Unterordnen ist so ganz gegen meine Natur. :grin

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    :write
    Was meinst du damit, dass die Figuren so gar nicht stark sind?
    Ich empfinde sowohl Miss Kenton als auch Stevens als starke Persönlichkeiten.


    Miss Kenton ist eine starke Persönlichkeit, aber Stevens?
    Ich weiß nicht so recht.
    Er kommt mir immer vor wie jemand, der sich durch ein steifes Außenskelett, in diesem Fall sein Butlertum und die daraus resultierende und zur Vollkommenheit getriebene Würde, aufrecht gehalten wird. Seine Stärke kommt nicht aus einem starken Charakter, einer großen Sozialkompetenz oder von Mitleid und Empathie geprägten Standhaftigkeit in den Dingen des Lebens, sondern ist sein Beruf und, finde ich, zum großen Teil Fassade, auch wenn er es nicht so empfinden würde.


    Und sonst? Der Lord zum Beispiel ist für mich auch eher ein schwacher Mensch, getrieben von Ehrgeiz, aber sehr beeinflussbar.


    Was ich meinte ist, dass der Autor den Figuren viel Leben einhaucht, sie uns beim Lesen lebendig macht, aber als Menschen sind sie doch eher schwach, unperfekt, wie im richtigen Leben halt.
    Das meinte ich mit "die so gar nicht stark sind".

  • Zitat

    Original von Ayasha


    Miss Kenton (ich finde es übrigens sehr bezeichnend, dass Stevens sie immer noch so nennt) ...


    Das ist mir auch aufgefallen. Und so lange er in der Vergangenheit an sie denkt, wird das auch so bleiben. Vielleicht hätte er es ja auch lieber, dass man die Zeit zurück drehen könnte.

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Du hast recht, Stevens ist durch und durch Butler und gerade das empfinde ich als Stärke im Sinne von Durchhaltevermögen oder Loyalität. So ganz in seinem Beruf aufzugehen, das könnte ich nicht. Auch dieses komplette Unterordnen ist so ganz gegen meine Natur. :grin


    Stevens Persönlichkeit ist sicher stark soweit es seine Pflichterfüllung im Beruf angeht. Sobald aber sein eigenes, inneres Leben betroffen ist, weiß er nicht damit umzugehen, was ihn wieder schwach macht. Im Gegensatz zu Miss Kenton, die ihre Gefühle zwar zurücknimmt, sie aber dennoch akzeptiert.


    Seine Einstellung zum Beruf fusst auf der Ergebenheit, die schon sein Vater den Dienstherren entgegenbrachte. Trotzdem braucht er Bestätigung was er in seinen Gedanken deutlich macht und eben an der "Größe" bzw. der Moral und Ethik des Dienstherren festmacht.


    Für mich aber wäre das, als würde ich mich mit fremden Federn schmücken, da es ja nicht mein Verdienst ist, sondern eher passiv mitgestaltet.

  • Was ist denn Stevens Persönlichkeit? Er selbst weiß es jedenfalls nicht.
    Wir als Leser bekommen ja schon mehr mit. Die Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Menschen auf dieser Reise, das Klettern auf den Berg, der Besuch an dem Waldsee, hier entdecke ich etwas von Stevens selbst. Ansonsten versteckt er sich doch selbst in seinen Erinnerungen immer hinter seiner starken, würdevollen Butler-Persönlichkeit, die alles überlagert, vor allem ihn selbst.
    Ich empfinde das als sehr traurig.
    Miss Kenton ist die einzige, wahrscheinlich sogar die erste Person in seinem Leben, die den Menschen hinter der Butler-Fassade entdeckt und "herauszukitzeln" versucht. Sie sieht ihn und das ist ihm unangenehm, deshalb stößt er sie weg. Miss Kenton ist für mich die einzige Figur in diesem Buch, die eine eigene Persönlichkeit besitzt und diese nicht von ihrer Arbeit bestimmen lässt.


    In diesem Abschnitt habe ich oft über den Titel des Buches nachgedacht. Was bleibt denn noch vom Tag, wenn man sich selbst so aufgibt? Ist man dann noch in der Lage den Sonnenuntergang zu genießen, diese vermaledeite Würde abzulegen und einfach Mensch zu sein? Kann man das wieder lernen? Was bleibt am Ende des Lebens? Ein trauriges Beispiel dafür haben wir in Stevens Vater gesehen.

  • Er vermisst Miss Kenton. Er ist nur nicht in der Lage zu erkennen, wieso oder was er genau vermisst. Denn auch das überlagert er selbst wiederum mit beruflichen Gründen.
    Ich finde das sehr deprimierend. Das Buch ist toll, die Geschichte ist es bis hierher nicht. Mal sehen, was mich im letzten Abschnitt erwartet.

  • Zitat

    Original von Saiya
    Er vermisst Miss Kenton. Er ist nur nicht in der Lage zu erkennen, wieso oder was er genau vermisst. Denn auch das überlagert er selbst wiederum mit beruflichen Gründen.
    Ich finde das sehr deprimierend. Das Buch ist toll, die Geschichte ist es bis hierher nicht. Mal sehen, was mich im letzten Abschnitt erwartet.


    Ich bin auch sehr uf den letzten Abschnitt gespannt.
    Im Laufe seiner Reise bekommt seine perfekte Fassade ja Stück für Stück ein paar Risse. Er deutet an, dass Lord Darlington als Nazi-Sympathisant eigentlich untragbar war und rechtfertigt sein Dableiben damit, dass ein Butler sich nur einmal im Leben entscheidet.
    Als sich alle Dorfbewohner in dem Cottage um ihn scharren, genießt er diese Sonderstellung, so empfinde ich das. Er klärt nichts auf, weil das Interesse an seiner Person auch eine Art Würdigung ist. Ich gönne ihm das, obwohl, Findus, das ist natürlich nicht in Ordnung.


    Du hast recht, Saiya, es ist ein trauriges Resumée eines Lebens, wenn man zusammenkratzt, was am Ende noch übrig ist. Ich bn gespannt, was das ist.


    @ Herr Palomar: Ich muss beim Lesen ständig daran denken, was du über die Erinnerung gepostet hast. Im Lauf der Reise kommt durch, dass Stevens sich eine eigene Wahrheit innerlich aufgebaut hat und er aus seiner Butler-Haut nicht hinaus kann. Wahrscheinlich wäre er sonst zerbrochen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Saiya


    In diesem Abschnitt habe ich oft über den Titel des Buches nachgedacht. Was bleibt denn noch vom Tag, wenn man sich selbst so aufgibt? Ist man dann noch in der Lage den Sonnenuntergang zu genießen, diese vermaledeite Würde abzulegen und einfach Mensch zu sein? Kann man das wieder lernen? Was bleibt am Ende des Lebens? Ein trauriges Beispiel dafür haben wir in Stevens Vater gesehen.


    Das ist es, was mich auch beschäftigt. Was bleibt vom Tag, vom Leben übrig, wenn man sich selbst so aufgibt, also als Person, um ganz das Leben seines Dienstherrn zu übernehmen. Denn was anderes tut Stevens ja nicht.


    Sein Leben ist das seines Herrn, nicht sein eigenes. Miss Kenton versucht ja, ihn aufmerksam zu machen, scheitert aber an seiner undurchdringlichen Fassade.


    Ich frage mich nur, merkt er es denn überhaupt noch? Oder ist er innerlich schon so angepasst das Leben eines anderen zu führen, dass er nichts vermisst?


  • Diese Fragen sind sicher berechtigt. Ich sehe es aber gleichzeitig auch als ein Talent, sich so im Job zu verwirklichen und ich mag da nicht nur an Selbstaufgabe denken. Stevens ist bestimmt ein etwas extremeres Beispiel. Aber ist es nicht auch so, dass die Menschen damals weniger Freizeit und somit weniger Zeit zum Nachdenken und Grübeln hatten? Sie hatten keine Hobbys, in denen sie sich verwirklichen konnten - es war die Arbeit, die ihnen Bestätigung gab. :gruebel