'Was vom Tage übrigblieb' - Seiten 241 - Ende

  • Konzentriert geht es in Stevens Erinnerungen weiter.


    2 entscheidende Gespräche gibt es.
    Zum einen das mit Mr.Cardinal, der das Verhalten des Lords (und indirekt Stevens fehlende Einflussnahme) kritisch anspricht.
    Und dann Miss Kentons Erwähnung des Heiratsantrags ihres Bekannten.
    Ihr Hoffen auf einen Einspruch seitens Stevens ist überdeutlich, aber Stevens bleibt höflich-distanziert.


    Sein Triumphgefühl am Ende des Abends irritiert mich! :gruebel

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Konzentriert geht es in Stevens Erinnerungen weiter.


    2 entscheidende Gespräche gibt es.
    Zum einen das mit Mr.Cardinal, der das Verhalten des Lords (und indirekt Stevens fehlende Einflussnahme) kritisch anspricht.


    Das ist der Sohn Cardinal, den Stevens im 2. Abschnitt stellvertretend für dessen Vater aufklären sollte. Er redet auf Stevens ein, und der versteht teilweise gar nicht, was man überhaupt von ihm will. Er kann sich doch nicht gegen Lord D. positionieren. Das liegt ihm so fern wie irgendetwas. Er kann nicht mal zugeben, dass der Lord sich falsch verhalten, verrannt, sich mit den falschen Leuten abgegeben hat. Eigentlich traurig, wie wenig er sich selbst entwickelt hat, ein Eigenleben führen kann.


    Zitat

    Und dann Miss Kentons Erwähnung des Heiratsantrags ihres Bekannten.
    Ihr Hoffen auf einen Einspruch seitens Stevens ist überdeutlich, aber Stevens bleibt höflich-distanziert.


    Sie gibt ihm so viele Vorlagen, aber er springt einfach nicht darauf an. Sie will, dass er sie aufhält, das ist überdeutlich. Er kann aber eine bestimmte Linie nicht überschreiten, und so geht sie schließlich.
    Als sie sich nach diesen vielen Jahren wieder treffen, wird das abschließend angesprochen: es ist zu spät, zu viel Zeit vergangen. Miss Kenton (Mrs. Benn) erwähnt noch mal die Möglichkeit eines Lebens mit Stevens, wehmütig, aber als in der Vergangenheit liegend, und Stevens nimmt auch das hin.
    So deutlich hat Miss Kenton sich vielleicht nie zu ihren Gefühlen für ihn geäußert. Hätte sie das getan, dann hätte er es sicher auch begriffen. Ich bezweifle, dass Stevens sich überhaupt klar war, welcher Art seine Empfindungen für sie waren und dass er sie überhaupt hatte.


    Zitat

    Sein Triumphgefühl am Ende des Abends irritiert mich! :gruebel


    Ich habe auch erst überlegt...
    Entscheidend ist hier wohl die Begegnung mit dem Butler im Ruhestand auf der Bank und der Menschenmenge, die sich plaudernd und scherzend auf den Abend freut.
    In der ersten Begegnung begräbt er seine Zukunft. der Alte meint, dass er nicht nur in der Vergangenheit leben soll, und genau das wird er tun. Da lauern keine Unwägbarkeiten und Gefahren auf ihn. Sie ist Sicherheit und lässt ihm seine Würde.
    Die Menschenmenge symbolisiert für ihn das, was ihm fehlt, auch im Umgang mit seinem neuen Herrn: Spontanität, Heiterkeit und Lebenslust. Er sieht wieder eine Aufgabe, wenn auch eine kleine, mit der er sich noch vervollkommnen kann. Er wird die heitere Konversation üben, wie er es schon tat.


    Für mich ist es ein trauriges Ende, eine Geschichte verpasster Möglichkeiten. Das Chance auf einen Neuanfang geht mit Mrs. Benns Absage. Allein und ohne Führung findet Stevens den Weg aus seiner Enge nicht. Traurig!


    Ein tolles Buch und eine Neuentdeckung eines Autors für mich.

  • Die Wiederbegegnung zwischen Stevens und Mrs. Benn war trotz der Kürze eine entscheidende Szene, in der sie ehrlich über ihre Gefühle spricht.


    Stevens bleibt alleine zurück und als Resultat seiner Reflexionen, die diese sechs Tage durchzogen, die Erkenntnis und Trauer über ein vergebenes Leben.


    Ein konsequentes Ende!

  • Nachdem die letzte Seite gelesen war, musste ich erst Mal sitzen bleiben... Das Ende war wie das Buch selber: in leisen Tönen und so intensiv, so dass ich gerne noch eine Weile neben Stevens auf der Bank sitzen geblieben bin. :schuechtern


    Zitat

    Original von Clare
    Für mich ist es ein trauriges Ende, eine Geschichte verpasster Möglichkeiten. Das Chance auf einen Neuanfang geht mit Mrs. Benns Absage. Allein und ohne Führung findet Stevens den Weg aus seiner Enge nicht. Traurig!


    Ja, das ist ein sehr trauriges und - wie Herr Palomar schon schrieb - ein absolut konsequentes Ende. Eine entsprechende Wendung (wie ich sie mir insgeheim gewünscht hatte ;-)) hätte man dem Autor eher nicht abgenommen.


    Für mich blinkt dennoch ein kleiner Hoffnungsschimmer - wenn auch recht weit weg und nur schwach. Im vorangegangen Abschnitt war ich noch unsicher, ob Stevens für mich eine starke Persönlichkeit hat oder nicht. Ich denke mittlerweile, dass er sehr wohl eine solche Persönlichkeit besitzt, sie jedoch unter dem Butler-Anzug vergraben hatte. Und so stelle ich mir gerne vor, dass Stevens' Reise und seine Reflexionen ihm ein bisschen die Augen geöffnet haben und dass er gerade auch durch seinen neuen Dienstherrn, der so sehr anders ist als der alte Lord, so aus den alten Schematas ausbrechen kann, wie es seine Butlerwürde ihm erlaubt.


    Ein wirklich tolles Buch! :-)

  • Ich plane auf jeden Fall weitere Bücher von Kazuo Ishiguro zu lesen.
    Ich habe seinen letzten Roman "Der begrabene Riese" hier irgendwo noch ungelesen stehen und von seinen Nocturnes (Kurzgeschichten) habe ich auch noch nicht alles gelesen.
    Dann käme noch ein frühes Werk von ihm in Frage, das sogar in Japan handelt: Der Maler der fliessenden Welt.


    Schließlich ist es noch ein Leseversäumnis, "Alles was wir geben mussten" nicht zu kennen. Aber das Buch habe ich nicht.

  • Zitat

    Original von Ayasha
    Nachdem die letzte Seite gelesen war, musste ich erst Mal sitzen bleiben... Das Ende war wie das Buch selber: in leisen Tönen und so intensiv, so dass ich gerne noch eine Weile neben Stevens auf der Bank sitzen geblieben bin. :schuechtern


    Das hast du aber schön gesagt. :-)
    Ich setze mich noch ein bisschen neben euch beide auf die Bank.


    Zitat


    Ja, das ist ein sehr trauriges und - wie Herr Palomar schon schrieb - ein absolut konsequentes Ende. Eine entsprechende Wendung (wie ich sie mir insgeheim gewünscht hatte ;-)) hätte man dem Autor eher nicht abgenommen.


    Du hast schon Recht, ein anderes Ende wäre wohl unschlüssig gewesen. Ein Trost ist es mir, dass Stevens es nicht als Unglück empfindet, dass er allein war, ist und bleiben wird. Seiner Gefühle war er sich ja eh nie sicher, sofern er sie überhaupt zuließ, also wird er vermutlich auch nichts vermissen.


    Zitat

    Für mich blinkt dennoch ein kleiner Hoffnungsschimmer - wenn auch recht weit weg und nur schwach. Im vorangegangen Abschnitt war ich noch unsicher, ob Stevens für mich eine starke Persönlichkeit hat oder nicht. Ich denke mittlerweile, dass er sehr wohl eine solche Persönlichkeit besitzt, sie jedoch unter dem Butler-Anzug vergraben hatte. Und so stelle ich mir gerne vor, dass Stevens' Reise und seine Reflexionen ihm ein bisschen die Augen geöffnet haben und dass er gerade auch durch seinen neuen Dienstherrn, der so sehr anders ist als der alte Lord, so aus den alten Schematas ausbrechen kann, wie es seine Butlerwürde ihm erlaubt.


    Ein wirklich tolles Buch! :-)


    Was er aus seinen Reiseerfahrungen und allem, was er erinnert und reflektiert hat, machen wird, erfahren wir nicht, und so bleibt wirklich alles offen. Er neige auch eher dazu, ihm ein Mehr an Persönlichkeit anzudichten, gut versteckt.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Ich plane auf jeden Fall weitere Bücher von Kazuo Ishiguro zu lesen.
    Ich habe seinen letzten Roman "Der begrabene Riese" hier irgendwo noch ungelesen stehen und von seinen Nocturnes (Kurzgeschichten) habe ich auch noch nicht alles gelesen.
    Dann käme noch ein frühes Werk von ihm in Frage, das sogar in Japan handelt: Der Maler der fliessenden Welt.


    Schließlich ist es noch ein Leseversäumnis, "Alles was wir geben mussten" nicht zu kennen. Aber das Buch habe ich nicht.


    Ich bin auch neugierig geworden. "Alles, was wir geben mussten" möchte ich auf jeden Fall auch noch lesen, vielleicht im Herbst. Wenn du bis dahin aushältst, könnten wir gemeinsam lesen.
    "Der begrabene Riese" klingt für mich nicht so interessant.
    Ich habe beide Bücher nicht, da ich ja keinen eigentlichen SUB besitze, bin da also offen.

  • Zitat

    Original von Clare
    . "Alles, was wir geben mussten" möchte ich auf jeden Fall auch noch lesen, vielleicht im Herbst. Wenn du bis dahin aushältst, könnten wir gemeinsam lesen.


    gerne! Das ist bestimmt ein Buch, über das es sich lohnt, einiges zu schreiben.

  • Was für ein trauriges Ende und so passend!


    Als Stevens davon sprach, das ihm das Herz brach, war ich angesichts dieses "Gefühlsausbruchs" richtig ergriffen. Wie schade!
    Ich frage mich die ganze Zeit, ob er seine Gefühle zu Miss Kenton unterdrückt hat, oder ob er sie gar nicht bemerkt hat vor lauter Korrektheit? :gruebel


    Diese Reise entpuppt sich als die Reise seines Lebens, eine Rückschau auf ein Leben mit falsch verstandener Loyalität, aber eben auch eine vergebene Liebe. Mr. Farraday schickt ihn los, damit er sich erholt und dabei findet er zum ersten Mal in seinem Leben zu sich selbst.


    Nochmal zurück zum Anfang des Abschnittes:
    Der Doktor entlarvt Stevens, er lässt ihm aber seine Würde. Das fand ich wirklich groß.


    Sehr schön zu lesen und zugleich auch traurig, dass Miss Kenton sich mit ihrem Leben am Ende arrangiert hat. Sie freut sich auf die Enkelkinder. Ein glückliches Leben ist anders.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin


  • Ich denke, er klammert sich an sein gewähltes Dasein und lässt diesen Triumph zu, weil am ihm am Ende nichts anderes übrig bleibt.


    EIn ganz tolles Buch, das ich ohne euch nicht entdeckt hätte. :anbet :kiss

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von Regenfisch ()

  • Zitat

    Original von Clare


    Ich bin auch neugierig geworden. "Alles, was wir geben mussten" möchte ich auf jeden Fall auch noch lesen, vielleicht im Herbst. Wenn du bis dahin aushältst, könnten wir gemeinsam lesen.
    "Der begrabene Riese" klingt für mich nicht so interessant.
    Ich habe beide Bücher nicht, da ich ja keinen eigentlichen SUB besitze, bin da also offen.


    Ich habe es auch mal auf die Wunschliste gepackt. ;-)

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Ist euch aufgefallen, dass Tag 5 fehlt? Was das wohl zu bedeuten hat?


    Das ist mir sofort aufgefallen.
    Was tut man an einem Tag, nachdem einem das Herz gebrochen wurde und man erkannt hat, was man in all der Zeit der gemeinsamen Arbeit nicht sehen wollte oder konnte? Das hat der Autor der Phantasie seiner Leser überlassen. Ich finde das sehr schön und auch sehr, sehr traurig.
    Beide haben sich schlussendlich dazu entschlossen, weiterzumachen wie bisher. Stevens hat sich mal wieder oder wie immer ein Beispiel an anderen Personen genommen, dieses Mal an Miss Kenton.


    Den Abschnitt, als er am 6. Tag auf der Bank sitzt und nicht nur das Gespräch mit dem alten Herren, der dort neben ihm gesessen hat, sondern auch sein Leben reflektiert, habe ich als intensivsten Lesemoment dieses Buches empfunden. Er gibt sich zufrieden, fügt sich in seine Schicksal, das ist vielleicht für diese Geschichte konsequent, aber eben auch für mich sehr deprimierend.

  • Zitat

    Original von Clare
    Der Lord zum Beispiel ist für mich auch eher ein schwacher Mensch, getrieben von Ehrgeiz, aber sehr beeinflussbar.


    letztlich hat diese Schwäche und beeinflussbarkeit seinen guten Ruf nach dem Krieg zerstört. Lord Darlington starb wohl auch als gebrochener Mann.
    Mit ihm habe ich aber wenig Mitleid. Er hatte aufgrund seiner Erfahrungen einen positiven Eindruck von Deutschland und ging halsstarrig nicht davon ab. Warner vor der deutschen Propaganda gab es genug. Der Lord glaubte aufgrund seiner Position die Weisheit zu besitzen. Als vollendeter Gentleman registrierte er Kleinigkeiten aber doch, warum sonst hätte er sich bei Stevens einmal entschuldigen sollen und die Entlassung der deutschen Dienstboten hat er als Unrecht erkannt. Das hat aber nicht bewirkt, irgendwie einzulenken, das ist seine große Schwäche.


    Ich finde, Kazuo Ishiguro hat mit sparsamen Mitteln diesen Charakter und die Gefahr, die von ihm ausgeht, gut herausgearbeitet.