Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens. Band 2 der Neapolitanischen Saga
Suhrkamp Verlag 2017. 624 Seiten
ISBN-13: 978-3518425749. 25,00€
Originaltitel: Storia del nuovo cognome
Übersetzerin: Karin Krieger
Verlagstext
ila und Elena sind sechzehn Jahre alt, und sie sind verzweifelt. Lila hat noch am Tage ihrer Hochzeit erfahren, dass ihr Mann sie hintergeht – er macht Geschäfte mit den allseits verhassten Solara-Brüdern, den lokalen Camorristi. Für Lila, arm geboren und durch die Ehe schlagartig zu Geld und Ansehen gekommen, brechen leidvolle Zeiten an. Elena hingegen verliebt sich Hals über Kopf in einen jungen Studenten, doch der scheint nur mit ihren Gefühlen zu spielen. Sie ist eine regelrechte Vorzeigeschülerin geworden, muss aber feststellen, dass das, was sie sich mühsam erarbeitet hat, in ihrer neapolitanischen Welt kaum etwas gilt. - Trotz all dieser Widrigkeiten beharren Lila und Elena immer weiter darauf, ihr Leben selbst zu bestimmen, auch wenn der Preis, den sie dafür zahlen müssen, bisweilen brutal ist. Woran die beiden jungen Frauen sich festhalten, ist ihre Freundschaft. Aber können sie einander wirklich vertrauen? - Elena Ferrante hat einen Weltbestseller geschrieben. Ein Gipfelwerk der zeitgenössischen Literatur. Und einen Roman, den man erschüttert und begeistert liest!
Die Autorin
Elena Ferrante ist die große Unbekannte der Gegenwartsliteratur. In Neapel geboren, hat sie sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden.
Inhalt
Der zweite Band über die Jugendfreundinnen Elena Greco (Lenú, Icherzählerin der Geschichte) und Raffaella Cerullo (Lila) umfasst die Zeit zwischen Lilas Hochzeit mit Stefano Carracci und dem Ende von Elenas Studium. Die Mädchen sind 1944 geboren, die Ereignisse finden also zwischen 1960 und circa 1966 statt. Die Freundinnen waren schon in der Grundschule herausragende Schülerinnen. Lila entscheidet sich durch ihre frühe Heirat zunächst für die finanzielle Absicherung, sie geht damit zugleich dem möglichen Scheitern im Gymnasium oder im Studium aus dem Weg. Elena kämpft sich unter schwierigen Bedingungen bis zum Abitur und schließlich zum Studium durch. Weil sie „den“ Rione, ihr Viertel in Neapel, noch nie verlassen hat, kann sie noch nicht ahnen, dass formale Bildung allein ihr noch keine Anerkennung verschaffen wird, solange sie die Regeln der italienischen Gesellschaft nicht beherrscht. Die Freundinnen verbindet eine konfliktträchtige Beziehung, in der jede zunächst die uneingestandenen bzw. unerfüllten Träume der anderen lebt. Obwohl es für Lila sicher nicht einfach ist, stets ihre erfolgreiche Jugendfreundin vor Augen zu haben, treibt Lila Elena zum Lernen an. Sie finanziert deren Schulbücher um den Preis, dass Elena sich im Gegenzug zu exzellenten Schulleistungen verpflichtet. Elena soll stellvertretend für sie beide Erfolg haben.
Beiden Mädchen fehlt das Vorbild für einen dritten Weg zwischen Heirat und humanistischer Bildung, wie eine berufliche Qualifikation und finanzielle Selbstständigkeit innerhalb einer Ehe. Ihre Lehrerinnen und z. B. die Schreibwarenhändlerin, deren Kinder Elena in den Ferien betreut, genügen als Rollenmodell berufstätiger Mütter offenbar noch nicht. Die schon im ersten Band angedeutete fatale Unkenntnis von Ferrantes Figuren auf kaufmännischem Gebiet wird hier nun deutlicher. Frauen interessieren sich für Heirat, Haushalt und Kinder; Männer unterhalten sich über Politik, Wirtschaft und Dinge, die außerhalb des Stadtviertels geschehen. Lila und auch ihr Bruder Rino, der theoretisch den Schuhladen des Vaters übernehmen soll, haben noch nie von Steuern gehört, beide wissen nicht, dass das Geld in der Ladenkasse das Geschäftskapital ist und nicht für ihren privaten Verbrauch gedacht.
Durch die Heirat zwischen Rino und Stefanos Schwester wirkt die Kontrolle der jungen Leute durch den vereinten Familienclan auf mich wie eine eiserne Rüstung, die allen die Luft abschnürt. Deutlich wird das in den sehr detailverliebten Schilderungen des Urlaubs auf Ischia, den Lila, Elena, Stefanos Schwester Pinuccia und Lilas Mutter Nunzia miteinander verbringen. Auch von Männern wird erwartet, dass sie wie ihre Väter die vorgegebene Rolle ausfüllen. Männer verdienen den Lebensunterhalt und Frauen bringen Kinder zur Welt. Noch nicht einmal Nunzias Rolle, die für alle kocht und wäscht, wird zunächst infrage gestellt. Zuhause in Neapel wird Lilas Vater noch daran zu knacken haben, dass ohne das Händchen seiner Tochter für Entwürfe sein Schuhladen scheitern wird.
Fazit
Seit Elena als 22-Jährige Lilas Notizbücher gelesen hat, die die Freundin ihr zu treuen Händen anvertraute, hat sich ihr Blick im Verhältnis zur 16-Jährigen zwar erweitert, dennoch mangelt es ihren Erinnerungen im größten Teil des Buches m. A. an Substanz. Da dieser dominierende Teil nicht von der jugendlich-naiven Elena erzählt wird, sondern aus der Distanz der erwachsenen Schriftstellerin, hätte ich von Elena im Rückblick mehr Reflektion ihres Handelns und stärkere Konzentration auf das Wesentliche erwartet. Die Urlaubserlebnisse ziehen sich endlos, und die Klammer aus kritischer Betrachtung scheint im Verhältnis zum Textumfang sehr dünn auszufallen. Falls sich hier bereits Elenas späteres Scheitern als Autorin andeuten sollte, liegt mit zwei weiteren Bänden bis dahin noch ein langer Weg vor den Lesern der Serie.
7 von 10 Punkten