Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens. Band 2 der Neapolitanischen Saga

  • Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens. Band 2 der Neapolitanischen Saga
    Suhrkamp Verlag 2017. 624 Seiten
    ISBN-13: 978-3518425749. 25,00€
    Originaltitel: Storia del nuovo cognome
    Übersetzerin: Karin Krieger


    Verlagstext
    ila und Elena sind sechzehn Jahre alt, und sie sind verzweifelt. Lila hat noch am Tage ihrer Hochzeit erfahren, dass ihr Mann sie hintergeht – er macht Geschäfte mit den allseits verhassten Solara-Brüdern, den lokalen Camorristi. Für Lila, arm geboren und durch die Ehe schlagartig zu Geld und Ansehen gekommen, brechen leidvolle Zeiten an. Elena hingegen verliebt sich Hals über Kopf in einen jungen Studenten, doch der scheint nur mit ihren Gefühlen zu spielen. Sie ist eine regelrechte Vorzeigeschülerin geworden, muss aber feststellen, dass das, was sie sich mühsam erarbeitet hat, in ihrer neapolitanischen Welt kaum etwas gilt. - Trotz all dieser Widrigkeiten beharren Lila und Elena immer weiter darauf, ihr Leben selbst zu bestimmen, auch wenn der Preis, den sie dafür zahlen müssen, bisweilen brutal ist. Woran die beiden jungen Frauen sich festhalten, ist ihre Freundschaft. Aber können sie einander wirklich vertrauen? - Elena Ferrante hat einen Weltbestseller geschrieben. Ein Gipfelwerk der zeitgenössischen Literatur. Und einen Roman, den man erschüttert und begeistert liest!


    Die Autorin
    Elena Ferrante ist die große Unbekannte der Gegenwartsliteratur. In Neapel geboren, hat sie sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden.


    Inhalt
    Der zweite Band über die Jugendfreundinnen Elena Greco (Lenú, Icherzählerin der Geschichte) und Raffaella Cerullo (Lila) umfasst die Zeit zwischen Lilas Hochzeit mit Stefano Carracci und dem Ende von Elenas Studium. Die Mädchen sind 1944 geboren, die Ereignisse finden also zwischen 1960 und circa 1966 statt. Die Freundinnen waren schon in der Grundschule herausragende Schülerinnen. Lila entscheidet sich durch ihre frühe Heirat zunächst für die finanzielle Absicherung, sie geht damit zugleich dem möglichen Scheitern im Gymnasium oder im Studium aus dem Weg. Elena kämpft sich unter schwierigen Bedingungen bis zum Abitur und schließlich zum Studium durch. Weil sie „den“ Rione, ihr Viertel in Neapel, noch nie verlassen hat, kann sie noch nicht ahnen, dass formale Bildung allein ihr noch keine Anerkennung verschaffen wird, solange sie die Regeln der italienischen Gesellschaft nicht beherrscht. Die Freundinnen verbindet eine konfliktträchtige Beziehung, in der jede zunächst die uneingestandenen bzw. unerfüllten Träume der anderen lebt. Obwohl es für Lila sicher nicht einfach ist, stets ihre erfolgreiche Jugendfreundin vor Augen zu haben, treibt Lila Elena zum Lernen an. Sie finanziert deren Schulbücher um den Preis, dass Elena sich im Gegenzug zu exzellenten Schulleistungen verpflichtet. Elena soll stellvertretend für sie beide Erfolg haben.


    Beiden Mädchen fehlt das Vorbild für einen dritten Weg zwischen Heirat und humanistischer Bildung, wie eine berufliche Qualifikation und finanzielle Selbstständigkeit innerhalb einer Ehe. Ihre Lehrerinnen und z. B. die Schreibwarenhändlerin, deren Kinder Elena in den Ferien betreut, genügen als Rollenmodell berufstätiger Mütter offenbar noch nicht. Die schon im ersten Band angedeutete fatale Unkenntnis von Ferrantes Figuren auf kaufmännischem Gebiet wird hier nun deutlicher. Frauen interessieren sich für Heirat, Haushalt und Kinder; Männer unterhalten sich über Politik, Wirtschaft und Dinge, die außerhalb des Stadtviertels geschehen. Lila und auch ihr Bruder Rino, der theoretisch den Schuhladen des Vaters übernehmen soll, haben noch nie von Steuern gehört, beide wissen nicht, dass das Geld in der Ladenkasse das Geschäftskapital ist und nicht für ihren privaten Verbrauch gedacht.


    Durch die Heirat zwischen Rino und Stefanos Schwester wirkt die Kontrolle der jungen Leute durch den vereinten Familienclan auf mich wie eine eiserne Rüstung, die allen die Luft abschnürt. Deutlich wird das in den sehr detailverliebten Schilderungen des Urlaubs auf Ischia, den Lila, Elena, Stefanos Schwester Pinuccia und Lilas Mutter Nunzia miteinander verbringen. Auch von Männern wird erwartet, dass sie wie ihre Väter die vorgegebene Rolle ausfüllen. Männer verdienen den Lebensunterhalt und Frauen bringen Kinder zur Welt. Noch nicht einmal Nunzias Rolle, die für alle kocht und wäscht, wird zunächst infrage gestellt. Zuhause in Neapel wird Lilas Vater noch daran zu knacken haben, dass ohne das Händchen seiner Tochter für Entwürfe sein Schuhladen scheitern wird.


    Fazit
    Seit Elena als 22-Jährige Lilas Notizbücher gelesen hat, die die Freundin ihr zu treuen Händen anvertraute, hat sich ihr Blick im Verhältnis zur 16-Jährigen zwar erweitert, dennoch mangelt es ihren Erinnerungen im größten Teil des Buches m. A. an Substanz. Da dieser dominierende Teil nicht von der jugendlich-naiven Elena erzählt wird, sondern aus der Distanz der erwachsenen Schriftstellerin, hätte ich von Elena im Rückblick mehr Reflektion ihres Handelns und stärkere Konzentration auf das Wesentliche erwartet. Die Urlaubserlebnisse ziehen sich endlos, und die Klammer aus kritischer Betrachtung scheint im Verhältnis zum Textumfang sehr dünn auszufallen. Falls sich hier bereits Elenas späteres Scheitern als Autorin andeuten sollte, liegt mit zwei weiteren Bänden bis dahin noch ein langer Weg vor den Lesern der Serie.


    7 von 10 Punkten

  • Inhaltsangabe: Quelle Amanzon


    Meine Meinung zu Buch
    Ganz Ehrlich der 1. Band der Neapolitanischen-Saga war schon gut, aber der 2. Teil gefiel mir noch
    viel besser. Er steckte mich erst so richtig mit dem Elena Ferrante „ Fieber“ an, ich kann es kaum erwarten bis der 3. und 4. Teil erscheint. Auch dieser Band endet wieder mit einem Cliffhanger, und lässt uns ungewiss zurück wie es ausgeht.


    Zur Autorin:
    Die Autorin wusste mich beim Lesen zu begeistern, sie schildert diese beiden Freundinnen , deren Verletzlichkeit und das Leben in den 60er Jahren in Neapel, dem Armenviertel Rione sehr Bildhaft und lebendig. Man litt mit den beiden mit. Sie zeigt so richtig das Leben der Frauen unter dem Macho Gehabe ihrer Ehemänner wieder, die Frau hatte sich zu ducken und dem Manne untertan zu sein. Der Schreibstil ist klar, Kraftvoll, Facettenreich und mitreißend. Die einzelnen Protagonisten sind sehr real, und auch ihre einzelnen Charaktere sind sehr gut gezeichnet. Der Handlungsaufbau, fand ich sehr stimmig und gut, hier steckt viel Mühe und Arbeit drin.
    Zum Inhalt:
    Lila fand ich noch sehr jung, gerade mal 16 als sie Stefano heiratet, eine Ehe die unter keinem guten Stern steht, das reinste Desaster empfand ich. Zu spät erkennt sie, das es ein Fehler war, der Preis ist sehr hoch, denn sie dafür zahlte, um ein besseres Leben zuführen. Elena dagegen, ist weiterhin die fleißige Schülerin und schafftr es in Pisa zu Studieren. Auch sie macht so ihre Erfahrungen mit den Männern, nur das sie nicht an gewaltige Männer gerät, ihre sind gebildet und Studieren. Aber sie scheint mir auf dem richtigen Weg zu sein. Elena fehlt das, was Lila zufiel hat, sie ist schüchtern und kämpft um Anerkennung, sie hat Angst vor ihren eigenen Courage und den Mut über den eigenen Schatten zu springen. Lila dagegen ist das genaue Gegenteil , sie ist raffiniert, weiß sich in Szene zu setzen und nutzt die Menschen zu ihren Gunsten aus, hatte ich das Gefühl. Man kann sehr gut nachvollziehen, das Lila und Elena alles tun um dem Armenviertel zu entfliehen, das sie nach Freiheit und Anerkennung streben. Beides verbindet eines, ihre innere Zerrissenheit, und ihren Gefühlen den Männern gegenüber. Ihre Freundschaft zueinander ist schon ungewöhnlich, Stark in jeder Beziehung, auch wenn eine die andere manches mal auszubooten scheint, sind sie in der Not immer für einander da. Der Schluss blieb auch diesmal Geheimnisvoll wie es ausgeht, findet Elena in Pieterrio ihr Glück und was wird aus Lila ?


    Ein Tipp : man sollte mal über Rione googeln und sich das Viertel ansehen, umso besser versteht man warum die Mädchen daraus wollten und zu jedem Opfer bereit waren. Auch wenn der Preis hoch war.


    Fazit: Elena schloss ich gleich ins Herz, wegen ihrer Ehrlichkeit und Sanftmut.
    Lila, dagegen empfinde ich als Frau die Unglücklich ist und sich deswegen so raffiniert gibt und die Menschen um sich herum ausnutzt. Eine Art Hilfeschrei. Ein sehr schöner Roman über die Verletzlichkeit der Frauen und die nicht an den vielfältigen Männerregeln zu verstoßen haben.

  • toller 2ter Teil


    Bei diesem Buch handelt es sich um Teil 2 der Saga - man sollte Teil 1 unbedingt gelesen haben.


    In diesem Buch geht es wieder um die beiden Freundinnen - und ihre Zeit als junge Damen. Lila heiratet, und Elena ist verliebt... Die große Frage ist, werden die beiden ihre Träume verwirklichen können? und wird die Freundschaft der beiden weiter bestehen können? Eine tolle Reise der Selbstfindung der beiden jungen Frauen, die ich gerne als Leser miterlebt habe.
    Liebe, Freundschaft und Verrat - für mich die drei Schlagwörter zu dem zweiten Teil.


    Der Schreibstil der Autorin ist, wie auch im ersten Teil, sehr ruhig, aber dennoch mitreißend. Man sinkt richtig in die Geschichte ein - denn in meinen Augen hat die Autorin eine sehr tiefgründige Geschichte geschaffen, mit tollen Charakteren. Als Leser steigt man in eine andere Welt ein, und freut sich auf die baldige Fortsetzung.

  • In Elena Ferrantes Buch „Die Geschichte eines neuen Namens“ schlüpft man hinein, wie einen geschmeidigen Schuh, der den Leser nach Neapel trägt. Hinein in die sechziger Jahre Atmosphäre Italiens, in dessen Arbeitervierteln Unverschämtheit eine Art Überlebenstechnik darstellt. Hier sind die beiden Protagonistinnen des Romans aufgewachsen. Lila und Elena sind Freundinnen, aber auch Konkurrentinnen, zunächst einmal was die Noten der Schule anging, nun aber auch bei der Wahl, um den attraktivsten Mann fürs Leben. Elena ist die Erzählerin dieser Geschichte. Sie muss hart an sich arbeiten, um gute Zensuren zu bekommen und so wirkt sie auch immer eine Spur verkrampft. Lila dagegen ist mit einer beneidenswerten Intelligenz gesegnet, auf die sie wahlweise mit Gleichgültigkeit hinabblickt, um sie im nächsten Augenblick, wie ein Schwert einzusetzen. Sie geht völlig kompromisslos ihren Weg, wobei sie sich in denkwürdig armselig und stürmischen Liebesgeschichten verheddert, was sie die überaus begabte junge Frau nach und nach an den Abgrund ihrer Existenz führt. Die beiden Frauen leiden dabei nicht nur an den falschen Männern, sondern einer bleiernen Zeit, die den Mann zum Herrn im Hause bestimmt und der Frau stets den Platz am Herd zuweist.


    Wie ich das Buch finde? Es ist schon faszinierend, mit welcher Treffsicherheit die Autorin das Romanpersonal zeichnet. Was im ersten Teil des Romans noch köchelte beginnt hier zu brodeln. Lila ist keine Frau, die sich alles gefallen lässt und dennoch sitzt sie beziehungsunfähig zwischen den Stühlen, einen Ort, den Elena nicht einmal erreicht, denn die brave Studierende wird vom männlichen Geschlecht lange mit Nichtachtung und schalen Zungenküssen gestraft. Niemand ist hier nur böse oder gut. Nicht einmal die unvermeidlich auftauchenden Mafioso, die Lila das Leben noch ein bisschen schwerer machen. Die Menschen werden in all ihren Facetten gezeigt und der Schluss ist einfach nur genial. Das alles wird sehr stimmig und kraftvoll erzählt. Mir hat das Lesen sehr viel Freude bereitet. Ein Buch zum mitfiebern, voller kleiner und großer Schicksalsschläge. Dafür gibt es die volle Punktzahl!

  • („…im Kampf gegen den Rest der Welt…“ S. 360) befinden sich die Mädchen Elena „Lenù“ und Raffaella „Lila“ auch im zweiten Band der auf vier Bände angelegten Saga nach „Meine geniale Freundin“. Um es kurz zu sagen – der Hype des „#FerranteFever“ trägt. Ich habe den ersten Band gerne gelesen, erst mit diesem zweiten jedoch bin ich dem Fieber erlegen. Wie das, warum die unterschiedliche Wertung? Nun, aus verschiedenen Gründen.


    Ich hatte den ersten Band noch mit dem ähnlich für Deutschland zur gleichen Zeit angelegten „Das verborgene Wort“ von Ulla Hahn verglichen, da es in beiden um Mädchen aus der Arbeiterklasse geht, die mit ihrem Interesse für Bildung sowohl unter den Beschränkungen gegenüber ihrer Herkunft als auch gegenüber ihrem Geschlecht zu kämpfen haben; Beschränkungen, die sowohl in den Köpfen ihres Herkunftsmilieus herrschen, als auch bei denen, für die Bildung selbstverständlich ist, sowie rein in der schieren Möglichkeit des Zugangs: wo Bildung kostspielig ist, wo Bücher, Brillen, Schulgeld, selbst ein einziger Koffer für den Umzug an die Universität weit über den üblichen Ausgaben liegen, wo Umgangsformen schlicht andere sind, blieb sie vielen verwehrt.


    Was ist neu, was kann der zweite Band mehr? Vieles. Elena Ferrante gelingt es darzustellen, inwieweit selbst Geld, Ehrgeiz und Intelligenz allein nicht einen sozialen Aufstieg ermöglichen können. Wer von Hause aus keine Theaterbesuche kennt, nicht über weiterführende Ausbildungsmöglichkeiten informiert ist, für wen das Wort „Fakultät“ ein so großes Fremdwort ist, dass eine Entscheidung über ein Studium schon allein an der Entscheidung für eine Ausrichtung scheitert, der wird unweigerlich scheitern. Es lässt tief blicken, als Elena einen Vortrag besucht – so ungewohnt für sie ist das, dass ihr die Situation wie eine Unterrichtsstunde für Erwachsene erscheint. Ungeachtet ihres eigenen Fleißes wird dargestellt, wie eine Weiterführung letztlich nur dank verschiedener Gönner gelingen kann.


    Auch zum Wettkampf zwischen Elena und Lila, der mir im ersten Band meist seltsam erschien, gibt es hier auch die andere Seite der Medaille zu sehen – während „Meine geniale Freundin“ nur mit den seltsamen Minderwertigkeitskomplexen von Lenù aufwartete, kann man im zweiten Band auch die Sicht von Lila erfahren, darf begreifen, wo ihre Motivation liegt, so Lila zu ihren Aktivitäten: „Vor allem war es eine Möglichkeit..., dir zu beweisen, dass ich etwas gut konnte, auch wenn ich nicht mehr zur Schule ging.“ S. 186 Die Darstellung der Freundinnen wirkt ausgewogener. War mir zuletzt Elena mit ihrem Neid fast unsympathisch, überwiegt jetzt die Wirkung, dass sie von der Autorin nur völlig distanzlos geschildert wird, ohne das Bedürfnis, gefallen zu wollen, sondern als realistische Person.


    „Die Geschichte eines neuen Namens“ beschreibt zudem ernüchternd das für die Zeit gängige Rollenverständnis eindringlich: „Wir waren mit der Vorstellung aufgewachsen, dass kein Fremder uns anrühren durfte, dass aber unser Vater, unser Verlobter, unser Ehemann uns ohrfeigen durfte, wann immer er wollte, aus Liebe, um uns zu erziehen und uns zu bessern.“ S. 64 Prügel, Vergewaltigung, die Unterwerfung unter den Willen des Ehemannes erscheinen als völlig normal – wer sich „anständig“ benimmt, habe ja nichts zu befürchten. Die Mädchen, besonders Elena, sind ganz eindeutig Kinder ihrer Zeit, so dass sogar Elena genau diese Art von Ehe bei ihrer Freundin Lila beneidet: „Sie [Lila] wollte mich tatsächlich auf die Rolle von einer, die ständig über Büchern hockt, festlegen, während sie dagegen Geld hatte, schöne Kleider, eine Wohnung, einen Fernseher, ein Auto, sich alles nahm, sich alles leistete“. S. 119


    Elena begreift den Unterschied zwischen ihr und Lila: „Ich blieb zurück, wartend. Sie dagegen nahm sich die Dinge, wollte sie wirklich haben…“ S. 379 – erst gegen Ende des Buches wird hier für beide junge Frauen eine Entwicklung deutlich. Gespannt warte ich auf den nächsten Band der Saga, vor allem dank der von Ferrrante ausgelegten Spuren zu zukünftigen Entwicklungen, Lila wolle das „auslöschen“, was ihr an ihr nicht gefällt, an dem Ich, in das andere sie hinein nötigten.


    Und, ernsthaft – was kann ein Leser mehr wollen als Neuigkeiten über eine Figur wie Lila, von der geschrieben wird, sie „…versenkte sich bis tief in die Nacht in Romane, Zeitschriften und Zeitungen. Diese Sucht hatte sie erneut gepackt, als interessiere das wahre Leben sie nicht mehr.“ S. 450


    10 von 10 Punkten

  • Die Geschichte eines neuen Namens – Elena Ferrante


    Mein Eindruck:
    Elena Ferrante schreibt mit Teil 2 „Meine geniale Freundin“ fort. Ich lese es als nahezu durchgehenden Text wie ein zusammenhängender Romane. Nach den Kinderjahren sind nun die Jugendjahre dran. Elena und Lila sind am Anfang 16 und gegen Ende dieses Teils Anfang der zwanziger.
    Während Lila mit ihrer überstürzten Ehe wirklich kein Glück hat, sich aber widerspenstig und voller Widerstandskraft zeigt, ackert Elena an ihrer anspruchsvollen Ausbildung. Das ist nicht immer ein leichtes Vorhaben für ein Mädchen aus der sozialen Unterschicht. Wirklich integriert ist sie nie, obwohl sie schließlich Anschluß an Intellektuelle findet und sogar ihren ersten Roman veröffentlichen kann.
    Neben dem Lebensziel eines sozialen Aufstiegs sind die Beziehungen für die beiden Frauen wichtig.
    Mich interessieren die Themen Ferrantes wirklich, daher nehme ich die ausufernden Längen des Romans gerne in Kauf. Und auch bei langen, handlungsarmen Passagen gibt es immer wieder Momente, die wirklich sehr gut gelungen sind. Ferrante hat lebensnahe, realistische Figuren geschaffen, für die mich an sich als Leser interessiert. Lila bleibt manchmal rätselhaft, das liegt aber auch an der Erzählweise, die erst einmal nur Elena als Icherzählerin mit ihren Empfindungen und Eindrücken zeigt. Daraus muss man als Leser auf Lilas Emotionen schließen. Ein raffinierter Erzählkniff, der überwiegend funktioniert. Das lässt mich an der Saga dranbleiben.

  • Band 2 - Die Geschichte eines neuen Namens – umfaßt die Jugendjahre der beiden Freundinnen zwischen 1960 und 1966.


    Sehr positiv finde ich, daß zu Beginn die bisherigen Geschehnisse kurz rekapituliert werden, so daß neuen Lesern der Einstieg leichter fällt und diejenigen, die Band 1 gelesen haben, schnell wieder auf den aktuellen Stand gebracht werden.



    Mittlerweile sind die beiden 16 Jahre, Lila hat gerade geheiratet und erleidet gleich die erste Enttäuschung auf der Hochzeitsfeier, als nämlich einer der Solara-Brüder mit ihren handgefertigen Schuhen an den Füßen auftaucht. Wie es aussieht, hat ihr Ehemann Stefano ganz besondere Geschäfte mit den Soloaras laufen. Für Lila bedeutet das gedanklich schon das Aus ihrer Ehe bevor sie richtig angefangen hat. Nichtsdestotrotz genießt sie nach außen ihren neuen Status mit eigener Wohnung, schicken Kleidern, Auto und Hausfrauendasein. In Kauf nehmen muß sie dafür Gewalt und Machtspielereien, wobei sie selbst auch austeilt und zum Leidwesen ihres Ehemannes nicht schwanger wird. Lila benimmt sich in ihrem kleinen Stadtviertel wie eine Prinzessin, so arbeitet sie mal in der Salumeria, mal im angesagten Schuhsalon ganz nach Lust und Laune.


    Aus Angst vor Entdeckung übergibt sie Elena einen Stapel Schulhefte mit ihren persönlichen Aufzeichnungen und Elena begeht einen großen Vertrauensbruch, indem sie diese Tagebücher liest. Elena geht weiterhin zur Schule, studiert anschließend in Pisa und hat verschiedene Liebesbeziehungen. Einen großen Teil der Geschichte nimmt ein Urlaub auf Ischia ein, der die typische Aufteilung von Frau und Haushalt im Gegensatz zu Männern und Arbeit in der Stadt schildert. Die Freundschaft der beiden erfährt in diesen Jahren ein ständiges Auf und Ab. Sie sind in ständiger Konkurrenz, mal sind sie sehr eng verbunden, dann wiederum sehr feindselig und es gibt einen Bruch.


    Als besondere Szene empfand ich Elenas Party-Einladung von Professoressa Galiani. Als Begleitung nahm sie Lila mit, die in dieser intellektuellen Gesellschaft nicht wahrgenommen wurde, sondern die eher hässliche Elena und deren Meinung stand im Mittelpunkt. Man konnte als Leser förmlich spüren wie Elena hier aufgeblüht ist und aus ihrem Schneckenhaus herauskam. Allerdings können Defizite von Elena, begründet durch ihre Herkunft, nicht einfach vom Tisch gewischt werden, das erfährt sie vor allem in ihrer Zeit in Pisa.


    Die agierenden Figuren fand ich alle authentisch, realistisch und der damaligen Zeit angepasst beschrieben. Der Schreibstil war klar und flüssig zu lesen.


    Zum Inhalt möchte ich nicht mehr verraten, es soll noch eine Spannung für interessierte Leser vorhanden sein. Nur soviel, die Autorin hat mit vier geplanten Bänden ein ehrgeiziges Projekt gestartet und obwohl sie diesen zweiten Band wiederum mit Cliffhangern beendet, hat mir der erste Band besser gefallen. Da mich die Geschichte der beiden aber interessiert, hat mich die Autorin am Haken und ich werde beim dritten Band auf jeden Fall dabei sein.

  • Das Cover des Buches vermittelt mir eine große Einsamkeit.Eine Braut (wahrscheinlich Lila) steht einsam im Wind an einer Brüstung mit Blick auf das Meer und die Berge in der Ferne.Ihr Schleier weht im Wind und von ihrem blutroten Brautstrauß haben sich Blütenblätter gelöst,die vom Wind über das Meer getragen werden...
    Interessant finde ich,daß es der gleiche Ausblick ist wie zuvor schon auf dem Cover des ersten Bandes und wenn die dem Buch beiliegende Postkarte das Cover des nächsten Bandes zeigt,dann bleiben Brüstung Meer und Berge wieder gleich,jedoch wieder in einer anderen Farbe.


    Es ist das Neapel der Sechziger.Lila und Elena wollen der Armut und der sowohl geistigen und auch räumlichen Beengtheit ihres Viertels, dem Rione, entfliehen.
    Jede versucht dies auf ihre eigene Art. Lila heiratet mit gerade mal 16 Jahren den Kaufmann Stefano Carracci.
    Sie erkennt mit großem Entsetzen jedoch bereits am Tage ihrer Hochzeit,daß dies ein großer Fehler war. Schlagartig wird ihr klar,daß ihr Ehemann keineswegs der nette Kerl ist,den er während ihrer Verlobungszeit gespielt hat. Er macht Geschäfte mit den von Lila so verhassten Solara Brüdern,die der Camorra angehören.
    Außerdem verlangt Stefano die vollkommene Unterwerfung seiner Ehefrau,die mit der Vergewaltigung Lilas in der Hochzeitsnacht beginnt....
    Fortan ist Lila gefangen im goldenen Käfig,aus dem sie verzweifelt versucht zu entfliehen.
    Elena wählt einen ganz anderen Weg. Sie stürzt sich in ein Leben des Lernens und der Bildung und trotz aller wiedriger Umstände gelingt es ihr,das Abitur zu machen und ein Stipendium für ein Studium in Pisa zu bekommen. Trotz ihrer Armut und auch der sprachlichen Barrieren entwickelt sie sich mit viel Biss und Durchhaltevermögen zu einer hervorragenden Studentin und schließt ihr Studium mit Bestnoten und Auszeichnung ab.
    Nebenbei schreibt sie auch noch einen Roman,der wie durch ein Wunder das Interesse eines Verlages weckt und verlegt wird. Leider hat auch sie kein Glück in der Liebe.Obwohl sie zweimal verlobt ist liebt sie keinen ihrer Freunde,weil sie jahrelang heimlich ihrer großen Liebe Nino hinterherrennt. Nino jedoch scheint nur mit ihr zu spielen und lässt sie quasi am langen Arm verhungern.
    Schließlich muß Elena sogar noch dabei zuschauen,wie er während eines Urlaubs ,den sie mit Lila,ihrer Schwägerin Pinuccia und Lilas Schwiegermutter auf Ischia verbringt,ein Verhältnis mit Lila beginnt.


    Dieses Werk von Elena Ferrante ist viel mehr als eine neapolitanische Saga und auch viel mehr als die Lebensgeschichte von Lila und Elena und deren Freundschaft.
    Der Leser wird in das Italien der sechziger Jahre hineinkatapultiert und erfährt viel über das Leben und die Stellung der Frauen in dieser Zeit.
    Damals war es üblich jung zu heiraten,schnell viele Kinder zu bekommen und sich um Haushalt, Familie und die Bedürfnisse des Ehemannes zu kümmern.Eigene Bedürfnisse,Wünsche und Träume waren den Frauen bis dato nicht erlaubt.
    Lila tut mir furchtbar leid. Sie ist jung,schön,stolz und intelligent und tappt trotzdem in die Ehefalle.Ihr Mann ist brutal.Er schlägt und vergewaltigt sie und möchte eine Schwangerschaft erzwingen,um nach Außen sein Gesicht zu wahren. Lila versucht auf ihre Art und Weise aus diesem Gefängnis auszubrechen und verschlechert damit zusehends ihre Situation.Sie lebt stets an der Grenze dessen,was sie ertragen kann und es ist mir ein Rätsel woher sie die Kraft nimmt um nicht vollständig zu zerbrechen.
    Als sie sich Nino zum Liebhaber nimmt,von ihm schwanger wird und ihren Mann verlässt bricht sie damit ein Tabu. Es kommt sogar noch schlimmer.Nino wird das wiederspenstige und sprunghafte Wesen Lilas bald zuviel.Er verlässt sie und Lila kehrt zu ihrem Mann und in die Ehehölle zurück.
    Die Freundschaft zu Elena ist für mich mehr eine Hassliebe. Die beiden können nicht miteinander,aber auch nicht ohne einander.Stets ist eine der Beiden eifersüchtig auf die Andere,was zu Streit und Phasen der Trennungen führt. Beide finden jedoch immer wieder eine Ebene,auf der sie weiterhin ihre Freundschaft fortsetzen können.
    Für Elena hege ich große Bewunderung,denn sie schafft ess mit viel Disziplin dem Rione aus eigener Kraft zu entkommen und entwickelt sich von einem stets durch Lila eingeschüchterten Kind zu einer jungen erfolgreichen Frau.
    Für mich steht Elena für das neue emanzipierte Frauenbild,das sich in dieser Zeit zu entwickeln beginnt.Elena ist für mich eine Gallionsfigur der Emanzipation der italienischen Frau.
    Ich muß zugeben,daß auch mich das Ferrante- Fieber gepackt hat und ich es kaum erwarten kann,wieder in das Leben Lilas und Elenas einzutauchen.

  • Mit etwas Abstand zum ersten Band habe ich mich in den zweiten Teil gestürzt.
    Ich gehöre auch zu denjenigen, denen der zweite Band besser gefällt als der erste.


    Für mich beschreibt die Autorin auf der einen Seite sehr anschaulich die persönliche Situation von Elena, die weiterhin zur Schule geht, für sich den Weg ihrer Freundin in eine frühe Ehe ablehnt, aber dennoch auf der Suche nach "ihrem" Leben ist.
    Wie schwierig das für sie ist, da es ihr an Vorbildern und Ermutigung fehlt, wird immer wieder deutlich. Insbesondere ihre Zerrissenheit, zwischen der wohlvertrauten Welt des Rione und einer erträumten, aber unbekannten Lebenswelt erlebt die Leserin beinahe schmerzhaft mit.
    Auch die Schilderung der Beziehung zwischen den beiden jungen Frauen Elena und Lila, die keineswegs eine harmonische Freundschaft ist, sondern vielmehr eine immer schwierige Balance aus Neid und Intrigen.


    Eine der großen Stärken des Buches ist für mich, dass die Autorin nicht den Männern die Rolle der Schuldigen zuweist, sondern sehr fein erklärt, in welchen Rollen und Mustern und in welchem Kreislauf von Gewalt und Abhängigkeiten auch diese vermeintlich so starken Männer gefangen sind.


    Für mich eine sehr gelungene Fortsetzung der Reihe.
    9 wohlverdiente Punkte vergebe ich.

  • Bevor ich mit "Die Geschichte eines neuen Namens" begonnen habe, habe ich mich gefragt, inwiefern Elena und Lila sich wohl entwickelt haben werden, denn zumindest eine von ihnen hat den großen Schritt in einen neuen Lebensabschnitt gewagt. Neben den geistigen Entwicklungen der beiden Protagonistinnen, wünsche ich mir aber auch, dass sie sich treu geblieben sind und vor allem, dass ihre Freundschaft mit all ihren Widrigkeiten weiterhin Bestand hat.


    Schon nach den ersten Seiten war ich erneut gefangen vom Geist des Rione, vom staubigen Dunst aus Gewalt, Unwissenheit und längst veralteten Werten, der an Elena und Lila klebt, obwohl sie auf verschiedenen Wegen versuchen ihn loszuwerden.


    Die Freundschaft der beiden ist ein undurchschaubares Wechselspiel. Ein Kampf darum, wer von wem abhängig ist und wer unabhängig vom anderen existieren und glücklich sein kann. Ich weiß nie genau, wer gerade Oberwasser hat, so schnell wechselt der Ball der Dominanz zwischen ihnen hin und her. Gleichberechtigt ist die Freundschaft keinesfalls. Mal ist Elena auf unterwürfige Weise von Lila abhängig, mal habe ich das Gefühl, dass Lila ihre Stärke verliert, ist Elena nicht da, um ihr den Rücken zu stärken und ihr die Kraft verleiht, die sie benötigt um ihre Fassade als unantastbare Lila aufrecht zu erhalten.


    Lilas Intention besteht scheinbar darin nach außen stark, geheimnisvoll und einzigartig zu wirken. Sie möchte den Ton angeben, sich nicht beherrschen lassen, möchte gütig und freigiebig sein und zugleich von diktatorischer Härte. Um ihren Willen durchzusetzen? Aus Selbstschutz? Lila ist so undurchdringlich wie die Staubschicht des Rione.


    Bisher hat Ferrante die wahre Lila immer nur Bruchstückhaft gezeigt. Die Puzzleteile reichen nicht aus, um sich ein klares Bild von ihr zu verschaffen. Ob das noch geschehen wird, bevor Lila sich auflöst? Ferrante lässt mich im Ungewissen und erhöht damit die Spannung auf dramatische Weise.


    Was klar zu erkennen ist - Lila und Elena funktionieren nur gemeinsam. Als eine Art Symbiose mit wechselnden Machtverhältnissen, die von beiden mal mehr, mal weniger bewusst ausgespielt werden.


    "Die Geschichte eines neuen Namens" ist - wie der Vorgänger "Meine geniale Freundin" auch - ein spannendes Werk über zwei sehr individuelle und faszinierende Frauenfiguren, deren aufreibende Freundschaft unter dem Stern der Gewalt und Werte ihrer Ahnen steht. Bisher konnte Ferrante den Sog ihrer Saga aufrecht erhalten. Ich bin mir sicher, dass ihr das auch weiterhin gelingen wird und freue mich auf die Bände, die noch folgen werden.