Der Wanderer im Karst: Prohaskas zweiter Fall in Istrien - Silvija Hinzmann

  • Silvija Hinzmann: Der Wanderer im Karst: Prohaskas zweiter Fall in Istrien. Ein Istrien-Krimi, Klagenfurt/Celovec 2016, Wieser-Verlag, ISBN 978-3-99029-199-3, Softcover, 194 Seiten, Landkarte auf den inneren Umschlagseiten, Format: 13 x 1,5 x 20,5 cm, Buch: EUR 13,50, Kindle Edition: EUR 6,99.


    Es ist eine Illusion, dass man einen Krieg unbeschadet überstehen kann. Wer davonkommt, dessen Leben gerät nachhaltig durcheinander, und manchmal greift das Chaos sogar noch auf die nachfolgenden Generationen über. Hier haben wir es gleich mit mehreren Kriegen zu tun, die Menschen ins Unheil stürzen: den Zweiten Weltkrieg und die Jugoslawienkriege in den 1990ern.


    Kras/Istrien, Februar 1946
    Der elfjährige Bartolo Monti erwacht eines Nachts von einem Motorengeräusch und sieht aus dem Fenster. Doch nicht sein Vater sondern zwei Männer fahren mit einem Auto vor und tragen eine Kiste ins unbewohnte Nachbarhaus. Am nächsten Tag steigt der neugierige Junge in das Haus ein und sucht den „Schatz“. Es ist tatsächlich einer: Die Kiste enthält Schmuck, Silberbesteck und sakrale Gegenstände. Bartolo stopft alles, was er erwischen kann, in seinen Rucksack und versteckt die Beute in einer Höhle im Karst, die ihm einmal sein Großvater gezeigt hat. Bald darauf wandert die Familie Monti in die USA aus und Bartolo hat keine Chance mehr, an seinen Schatz heranzukommen. Es wird Jahrzehnte dauern, bis er wieder nach Istrien kommt.


    Kras, Dezember 2015
    Mit Ehefrau Nr. 2, Stiefsohn und Schwester reist Bart Monti aus den USA nach Kras, um dort seinen 79. Geburtstag zu feiern. Den deutsch-tschechisch-kroatischen Fotografen Josef „Joe“ Prohaska (48), einen Ex-Kriminalhauptkommissar aus Stuttgart, der nach seiner dienstunfallbedingten Frühpensionierung in Istrien lebt, lernt Monti durch Zufall kennen und lädt ihn spontan zu seiner Geburtstagsfeier an. Dort kündigt er seinen Gästen an, die verfallenden Häuser in seiner Heimatstadt aufkaufen und sanieren zu wollen. Die Stadt soll zu neuem Leben erwachen. Nicht jeder in Kras findet die Idee so prickelnd.


    Der alte Herr erzählt dem Ex-Polizisten Prohaska vom Schatz in der Karsthöhle, mit dem er das Immobilienprojekt finanzieren will. Der weiß nicht so recht, wie ernst er das Gerede nehmen muss. Ist Monti überhaupt noch zurechnungsfähig? Aber was soll’s? Das ist nicht Prohaskas Problem. Wird es aber. Als Monti am nächsten Morgen verschwunden ist, macht er sich auf Bitte der Angehörigen auf die Suche nach ihm – und stolpert buchstäblich über seine Leiche. Ist Monti beim Herumstöbern in dem verlassenen Haus, in dem er einst den Schatz „gefunden“ hat, verunglückt oder wurde er erschlagen? Der Schatz jedenfalls ist aus der Höhle verschwunden. Prohaska findet nur noch ein Holzkreuz, aus dem die Edelsteine herausgebrochen wurden.


    Wer wusste vom Schatz in der Höhle?
    Wenn Monti einem Wildfremden von seinem Schatz erzählt hat, wer wusste dann sonst noch davon? Eine Menge Leute, wie sich bald herausstellt. Darunter einige Kriminelle, Entwurzelte und Verzweifelte, deren Leben durch den Balkankonflikt vollkommen aus den Fugen geraten ist. Sie haben nach dem Krieg nie wieder Tritt gefasst. Ein Schatz, welch illegaler Herkunft auch immer, wäre ihre Rettung. Glauben sie.


    Joe Prohaska hat Monti persönlich kennengelernt und will jetzt wissen, wie und warum der Mann ums Leben gekommen ist. Da er aber in keinerlei Ermittlungsbefugnisse besitzt und dazu noch halber Ausländer ist, ist natürlich kaum jemand bereit, ihm Auskunft zu geben. Fragen, die über gewöhnliche Anteilnahme und Neugier hinausgehen, bleiben unbeantwortet. Dass man sein Herumschnüffeln nicht wünscht, wird ihm mit einer Tracht Prügel nachdrücklich klar gemacht. Aber das kann ihn nicht aufhalten.


    Die Wirtin plaudert, Joe hört nicht zu
    Die Gastwirtin Ljubica, verwitwet wie Joe, findet Gefallen an ihm und plaudert ein bisschen aus dem Nähkästchen. Irgendwie kennt hier jeder jeden schon lange, die Leute sind miteinander verwandt, verschwägert, befreundet und einander verpflichtet … Das Beziehungsgeflecht ist für einen Außenstehenden nur schwer zu durchschauen. Und wenn alle miteinander per Du sind und kaum je ein Nachname fällt, bleiben verwandtschaftliche Bindungen erst recht im Dunkeln. Hätte Prohaska der Wirtin ein wenig besser zugehört, hätte er sich aber so manche Ermittlungsarbeit sparen können. Ljubica liefert ihm glasklare Fakten – über Montis Schwester, zum Beispiel –, aber das geht völlig an ihm vorbei. Männer!


    Montis Familie hält die Geschichte vom Schatz für ein Hirngespinst des Verstorbenen. Dagegen spricht allerdings, dass man Rohdiamanten ungeklärter Herkunft bei ihm gefunden hat. Das ist nicht das einzig Seltsame. Die Trauer Witwe Monti hält sich in Grenzen. Und welche Pläne die undurchsichtige Köchin Ines verfolgt, die vor kurzem wie aus dem Nichts in Kras aufgetaucht ist, das würde Joe (und der Leser) auch gerne wissen …


    Auf den Hund gekommen
    Zusätzlich kompliziert werden Prohaskas private Nachforschungen dadurch, dass er von einem streunenden Terrier-Mischling „adoptiert“ wird, um den er, ein passionierter Katzenmensch, sich nun kümmern muss. Bellos lustige Eskapaden lockern das düstere Krimigeschehen merklich auf.


    Am Schluss bleiben aber doch einige Fragen offen. Gut, wenn manche von Prohaskas Überlegungen in eine Sackgasse führen, muss man da auch nicht jedem Detail nachspüren. Da ist es dann nicht mehr wichtig, womit dieser oder jener sein Geld verdient oder woher einer wirklich stammt. Aber warum Monti nicht schon vor vielen Jahren seinen Schatz geborgen hat, wo er doch nach dem Krieg schon –zig Mal wieder in seiner alten Heimat gewesen ist, das hätte ich schon gerne gewusst. Wo der Schatz geblieben ist, kann Prohaska am Schluss auch nur vermuten. Wer ihn warum wohin verbracht hat, ebenfalls.


    Denken wir vielleicht zu „deutsch“?
    Die Motive der Personen leuchten mir nur zum Teil ein. Valentina? Antonio? Brunos mutmaßliche Tochter? Da gibt es sonderbare Aktionen, Allianzen und Entscheidungen. Aber vielleicht geht es mir hier auch wie dem ehemaligen Kriminalhauptkommissar aus Stuttgart: Ich denke zu „deutsch“ und kann mir nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn man hier offizielle Wege beschritten hätte.


    Kroatien ist ein ungewöhnlicher (und sehr interessanter!) Schauplatz für einen Krimi. Aber wenn man die Region bestenfalls aus dem Urlaub kennt, weiß man einfach zu wenig über die dortigen Verhältnisse, um alle Aktionen und Reaktionen der Figuren richtig einordnen zu können.


    Kleine Erbsenzählerfrage am Rande: Wie hieß Prohaskas verstorbene Ehefrau? Helga (Seite 59) oder Heidi (Seite 72)? Nicht, dass das für die Geschichte wichtig wäre, aber mir fällt sowas eben auf.


    Die Autorin
    Silvija Hinzmann (*1956 in akovec, Kroatien) veröffentlichte bisher drei Kriminalromane, zahlreiche Kurzkrimis und gab mehrere Kurzkrimi-Anthologien bei verschiedenen Verlagen heraus. Außerdem übersetzte sie literarische Werke aus dem Kroatischen und Serbischen ins Deutsche. Mehr unter: www.silvija-hinzmann.de

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

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