Suhrkamp, 1999
182 Seiten
Aus dem Polnischen und herausgegeben von Karl Dedecius
Kurzbeschreibung:
Skepsis und Melancholie zeichnen ihre lyrischen Anfänge aus, doch auch die Entschlossenheit, unbeirrt von »kollektiven Märchen« die wahre Welt zu suchen, die Umwelt und sich selbst kritisch zu befragen (Fragen, die ich mir stelle, 1954). In der Zeit beginnender Reife werden die Bilder dichter, wird zwingende Logik durch Groteske und Paradoxon verdeutlicht, werden Aussagen durch Humor und Ironie relativiert (Rufe an Yeti, 1957). Ihre Lyrik ist Befragung, Beweisführung, leiser Protest, trotz wechselnder Perspektiven, Reichtums der Formen von unverkennbarer stilistischer Eigenart. Die Auswahl dieses Bandes schöpft aus dem Gesamtwerk.
Über die Autorin:
WisBawa Szymborska wurde am 2. Juli 1923 in Bnin (heute Kórnik, Polen) geboren. Sie zählt zu den bedeutendsten polnischen Autorinnen ihrer Generation und wurde 1996 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. In Deutschland sind ihre Werke zumeist in der Übersetzung von Karl Dedecius erschienen. Szymborska verstarb am 1. Februar 2012 in Krakau.
Über den Übersetzer:
Karl Dedecius, 1921 in Lodz geboren, galt als bedeutendster Mittler polnischer Literatur und Kultur in Deutschland. Als Übersetzer hunderter Bücher, Autor zahlloser Reden und Aufsätze, Herausgeber der Polnischen Bibliothek, Gründer des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt wurde er vielfach gewürdigt und ausgezeichnet, u.a. mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (1990), dem Orden des Weißen Adlers (1999) in Polen und dem Deutschen Nationalpreis (2010).
Mein Eindruck:
Dieser Gedichtband versammelt Auszüge aus dem Werk der polnischen Literaturnobelpreisträgerin (1996 hat sie den Preis erhalten)´.
Gezeigt wird ihr Werk rückwärts. Also in der ersten Abteilung Gedichte von 1980, in der letzten Abteilung ihre Anfänge von 1945. Wer chronologisch lesen möchte, braucht also nur von hinten anfangen.
Ich habe aber mit den neueren angefangen und dann hier und da etwas herausgepickt. Mit manchen Gedichten kann ich etwas anfangen, sei es die Ironie, die Beobachtungsgabe oder die Eleganz.
Bei anderen fehlt mir der Kontext und sie erreichen mich nicht ganz.
Wie genau die Dichterin Beobachtetes beschreiben konnte, zeigt “Erstarrung” über eine Tänzerin
Szymborska hat auch viele Rezensionen in diversen Feuilleton geschrieben. Wahrscheinlich ist daher der Spott geschuldet, der sich in “Rezension eines nicht geschriebenen Gedichts” erkennen lässt.
Über das Schreiben von Lyrik an sich, oder eben das sein lassen, handelt “Lob der Schwester”.
Da mir das so gut gefällt, hier ein kleiner Auszug aus dem Gedicht:
„Meine Schwester schreibt keine Gedichte
und wird wohl nicht plötzlich Gedichte zu schreiben beginnen.
Sie hat’s von der Mutter, die keine Gedichte schrieb,
und auch vom Vater, der keine Gedichte schrieb.
Unter dem Dach meiner Schwester fühle ich mich gesichert:
der Mann meiner Schwester schriebe um nichts in der Welt Gedichte.“
Härterer Stoff ist “Der Terrorist, er sieht zu”. Ein Gedicht von 1976, das minutiös die letzten Augenblicke vor der Explosion einer Bombe eines Attentäters zeigt. Dabei wird deutlich, wie zufällig jemand Opfer wird oder überlebt.
Skurril: “Das Experiment”
Eins der gelungensten Gedichte ist Lots Frau. Es zeigt exemplarisch die Schrecken der Flucht und dem Verlust!
"Angeblich sah ich zurück aus Neugier. Außer der Neugier hätt ich auch andere Gründe haben können.
Ich sah zurück, weil mir die Silberschale leid tat. Versehentlich – als ich den Riemen festband an der Sandale.
Um nicht noch länger in den gerechten Nacken Lots, meines Mannes, zu blicken.
Aus plötzlicher Überzeugung, er hielte nicht einmal an, wenn ich stürbe.
Aus Ungehorsam der Demutsvollen, Auf die Verfolger lauschend. Gerührt von der Stille, hoffend,
….
Ich sah zurück im Zorn. Um mich zu weiden an ihrem großen Verderben.
Ich sah zurück aus allen oben genannten Gründen. Ich sah zurück ohne eigenen Willen.
…
Wer das hätte sehen können, meinte vielleicht, dass ich tanze. Nicht ausgeschlossen, dass ich die Augen geöffnet hatte.
Möglich, das mein Gesicht, als ich hinfiel, zur Stadt zurück sah."
Was ich auch sehr mag sind “Lob der Träume” und “Eindrücke aus dem Theater”.
Erwähnenswert ist natürlich auch das Vorwort dieses Buches von Karl Dedecius, der wichtige Übersetzer polnischer Lyrik, der leider dieses Jahr gestorben ist
Zum Abschluß noch ein kurzes Gedicht Namens Heimkehr:
Er kam nach Hause. Sagte kein Wort.
Klar, dass er Ärger hatte.
Legte sich unausgezogen hin.
Verbarg den Kopf in der Decke.
Zog seine Knie an.
Er ist etwa vierzig, doch nicht in diesem Moment.
Er ist nicht mehr als damals im Mutterleib,
hinter den sieben Häuten, im schützenden Dunkel.
Morgen wird er den Vortrag halten über Homöostase
in der metagalaktischen Kosmonautik.
Vorläufig liegt er zusammengerollt
und schläft.