Ian McEwan: Nussschale

  • Hamlet im Bauch


    Der etwas weltfremde, schöngeistige John, Lyriker und erfolgloser Lyrik-Verleger, hat die bildhübsche Trudy geheiratet und geschwängert, aber Trudy hat John vor die eigene Haustür gesetzt, um mit dessen Bruder Claude eine Intrige zu spinnen, an deren Ende der Eigentumsübergang des zwar verfallenden, aber wertvollen Londoner Hauses stehen soll. Da das am einfachsten ist, will man dies via Mord erreichen. Trudy ist recht klug, Claude eher nicht so, doch die klügste Person bei dieser nahezu klassischen Tragikomödie nach Shakespeare-Motiven ist das ungeborene Kind in Trudys Bauch. Dieses Kind, ein Junge, ist der Ich-Erzähler der Geschichte.


    Ian McEwan ist ein nahezu unübertroffener Stilist, ein vernünftiger Idealist, ein kategorischer Moralist und ein brillanter Romancier. Nur wenigen anderen würde es gelingen, aus der Sicht eines ungeborenen Babys - immerhin kurz vor der Niederkunft - eine Geschichte zu erzählen, die voller Lakonie, Weisheit, Witz und Überraschungen steckt, deren Lektüre überbordenden intelligenten Spaß bereitet, ohne dass man sich als Leser - ab einem gewissen Punkt - noch Gedanken darüber macht oder machen müsste, wie "glaubwürdig" die Grundlagen sind. Das erzählende, spekulierende, nachdenkende, beobachtende Kind weiß, was es weiß, weil es Radio gehört, Podcasts gelauscht und den Gesprächen der Erwachsenen beigewohnt hat, das Kind ist in Sorge über den Zustand der Welt im Allgemeinen und über die Taten jener Erwachsenen im Speziellen, es ist zugleich voller Tatendrang, Wissensdurst und Lebenswillen. Letztlich wird es entscheidend eingreifen und noch vor der eigenen Geburt Mitverantwortung für diesen Planeten voller Verrückter übernehmen.


    Obwohl es dann doch knapp 280 Seiten sind, kam mir "Nussschale" beim Lesen kürzer vor, weil es kurzweilig ist, die große literarische Vorlage nicht allzu ernst nimmt, sehr spannend daherkommt und die besondere Sichtweise des noch nicht geborenen Protagonisten auf besondere Weise nutzt, um mit dem Zustand der Welt und den Verursachern dieses Zustands abzurechnen. Unterm Strich ein nahezu perfekter Roman.

  • Dieses Buch ist bei mir nur eingezogen, weil es mir mein Lieblingsbuchhändler sehr ans Herz gelegt hat. Dass eine Geschichte erzählt aus der Perspektive eines ungeborenen Kindes mich wirklich interessieren könnte, habe ich dabei immer noch angezweifelt.


    Nachdem ich mittlerweile das erste Drittel gelesen habe, bin ich fasziniert und beeindruckt - und kann Toms obenstehende Rezi nur :write

  • ... und der gute Eindruck hielt bis zum Schluss an.


    Intelligent, hintergründig und mit Humor erzählt Ian McEwan die Geschichte eines Mordes aus Neid und Habgier und dessen Folgen aus der ungewöhnlichen Perspektive eines Fötus, und wirft gleichzeitig noch einen Blick auf weltpolitische Entwicklungen. Für mich ein ungewöhnliches, spannendes und unterhaltsames Leseerlebnis, an dem ich nichts zu kritisieren habe :-]


    10 von 10 Punkten