Jahreswertung 2016

  • Liebe Eulen,


    die Regelungen der Jahreswertung unseres Schreibwettbewerbs entsprechen denen der Vorjahre.


    Zugelassen für die Jahreswertung werden alle Beiträge, die in den einzelnen Monatsrunden auf dem Treppchen landeten, also die Plätze 1, 2 oder 3 erreichten.


    Die Abstimmung beginnt wieder bei Null. Alle Texte haben unabhängig von ihrer Monatsplatzierung die gleiche Chance auf den Jahresgewinn. Die Wertung findet wie in den Monatsrunden verdeckt statt und läuft vom 01. – 15. Dezember 2016.
    Am 16. Dezember werden die Wertungen veröffentlicht und der Jahressieger / die Jahressiegerin 2016 bekannt gegeben.


    Der Verfasser / die Verfasserin des Gewinnertextes erhält einen Büchergutschein im Wert von 25.- €.


    Viel Erfolg!

  • "Fast Food"
    Thema: Ist ja irre...
    Autor: Rumpelstilzchen
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    Es klopft. Arthur fährt zusammen, reibt sich die Augen und blinzelt durch die Schlitze an der Seite des Kofferdeckels. Standesgemäß in einem Sarg schlafen kann er nicht, er ist zu klein und zu schwach um einen Sargdeckel zu öffnen.


    Es ist hell draußen. Sehr ungewöhnlich. Niemand aus seiner Familie würde ihn am Tag wecken.


    „Arthur, wach auf.“ Der Koffer wird hin und her geschüttelt, Arthur schlägt mit dem Kopf heftig gegen die Seitenwand und murmelt „Ja doch, ich bin wach“.


    Kaum hat er den Deckel gehoben, packt ihn seine Mutter und schleppt ihn hinunter in die Gruft. „Großvater, ihm geht’s schlecht“. Hier unten ist es finster. Arthur steckt die Hände in seinen Umhang um bloß nicht mit den Spinnweben in Berührung zu kommen. Er hasst Spinnen. Genau wie diese schauerliche Gruft. Großvaters Hand hängt über den Rand des offenen Sargs. Seine sonst bleiche Haut ist blutrot und keuchend murmelt er unverständliche Worte. Daneben kauert Großmutter, ringt die knochigen Hände und ruft: „Hilfe, man muss Hilfe holen.“


    Neben Großvater liegt das kleine Fläschchen, aus dem er heute seine Hauptmahlzeit geschlürft hat. Arthur hebt es auf. Ob damit etwas nicht in Ordnung war? Seit Jahren sorgt er für die Ernährung der Familie. Obwohl er der kleinste und ängstlichste Vampir ist, den die Welt je gesehen hat. Jahrhundertelange Inzucht wirkt sich eben aus. Die anderen sind zu alt oder krank, um die Burgruine zu verlassen.


    Arthur steckt das Fläschchen ein, ruft: „Ich bin bald zurück“, und hastet die Treppe hinauf. Was keiner ahnt: Arthur kann das lebensnotwendige Blut nicht auf die vampirtypische Weise beschaffen. Es graust ihn bei dem Gedanken, seine Zähne in den Hals eines Menschen zu bohren und eine Ader aufzureißen.


    Bei seinem letzten Versuch, halb verhungert, hatte er sich ins örtliche Krankenhaus geschlichen, war dort aber entkräftet neben das Bett eines bewusstlosen Patienten gesunken. Die Nachtschwester hatte ihn gefunden und ihn mit einer Blutkonserve aufgepäppelt. Seitdem waren sie befreundet, Arthur und Olga, die Krankenschwester. Und Olga versorgte ihn auch mit den abgelaufenen Blutkonserven.


    Ohne auf das Sonnenlicht zu achten, rennt er zum Krankenhaus. Zum Glück hat Olga Dienst. Sie betrachtet nachdenklich das leere Fläschchen. „Hätte ich nicht gedacht, dass Vampiren ein negativer Rhesusfaktor schadet. Ihr trinkt das Blut schließlich! Warte, ich hole ein Gegenmittel“. Sie hält ein winziges Glasröhrchen in der Hand, als sie zurückkommt. „Ich glaube zwar, dass dein Großvater sich von selbst erholt. Aber damit geht es schneller. Schütte es ihm einfach in den Mund. Muss ich doch in Zukunft besser aufpassen. “


    Arthur nimmt das Röhrchen und saust los. Völlig außer Atem stolpert er die Treppe zur Gruft hinunter.


    Dem Großvater scheint es etwas besser zu gehen, trotzdem schüttet Arthur ihm den Inhalt des Röhrchens in den Mund. Die ganze Familie bestürmt ihn mit Fragen, wo er war, was das für ein Zeug ist, das er dem Großvater gegeben hat. Arthur schüttelt bloß den Kopf. Niemals dürfen sie erfahren, dass die altehrwürdige Vampirfamilie von Burg Schwarzenfels ihr Überleben der modernen Medizin verdankt.

  • "Hart im Wind"
    Thema: Ist ja irre...
    Autor: crycorner
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    „Bin kein Nazi, aber…“, hallt es durchs Netz.
    Die braune Soße macht aus Meinung Gesetz.
    Facebook und Twitter als Plattform genutzt,
    Ein Hater der jedes Netzwerk beschmutzt.


    „Merkel muss geh´n!“ schreit das Wutbürgertum,
    „Wie toll, da liegen am Strand Leichen rum“.
    Ein Shitstorm aus Bullshit, und wir hart im Wind,
    weil wir unbeugsam menschlich zu Menschen sind.


    „Bin kein Nazi, aber die ham´s doch gewollt,
    Schlaraffenland schließen, Tor herunter gerollt.
    Wir nehmen nur Ärzte und gebildetes Volk,
    der Rest, der bleibt draussen…“


    Und was?


    „Soll´n die Türken sich kümmern die woll´n zur EU.
    Unterstützt von den Spaniern und Griechen dazu.
    Ach soll´n die doch kämpfen und im Staube krepier´n,
    die haben doch eh nix, was soll´n sie verlier´n?
    Wir haben so wenig und niemals genug,
    das Staatsgeld den Fremden, das grenzt an Betrug.“


    Wollt Ihr das sagen? Einem Kind ins Gesicht,
    das Mama verlor´n hat und seitdem nicht mehr spricht?


    Wollt Ihr das sagen, dem entwurzelten Mann,
    der Frau und die Kinder nur zuhaus´lassen kann?
    Der bei Gefahr für sein Leben in Meer hinaus fährt,
    und soll´er ertrinken, nichts jemals jemand erfährt.


    Doch wenn er dann landet, wo soll er denn hin?
    Er fügt sich dem Schicksal,…


    Schlussendlich landet er bei uns.
    Wird unter Generalverdacht gestellt, Terrorist zu sein.
    Kommt in Flüchtlingsheime unter, die wenig später abbrennen.
    Sein Bild, wie er mit verzweifelten Blick in die Kamera schaut, hinter ihm der Schutt, wird in Facebook gepostet und zigtausendfach kommentiert. Leider auch mit Freude, Häme, Spott.


    Ein Shitstorm aus Bullshit, und wir hart im Wind,
    weil wir unbeugsam menschlich zu Menschen sind.

  • "Irre naiv oder irre durchtrieben?"
    Thema: Ist ja irre...
    Autor: Marlowe
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    (Die Erklärung des Adolar aus Berlin anno 19XX)


    Ew. Fräulein Gundula,
    hier meine von Ihnen gewünschte Erklärung für das Geschehene am Samstag in Ihrem Elternhaus.


    Ich war so selig, als Sie mich letzte Woche spontan zu Ihrer Geburtsfeier einluden, dass ich das Glück kaum fassen konnte. Auf meine schüchterne Frage, was Ihnen als Geschenk denn Freude bereiten würde sagten Sie, obwohl Sie fast alles hätten, bräuchten Sie etwas Wärmendes für Ihre beiden Möpse, da diese in den kalten Monaten immer so frieren würden. Wenn ich dafür etwas finden würde, wäre dies die größte Freude für Sie.


    Da ich bisher noch nicht die Gelegenheit hatte, Ihre Möpse zu bewundern, konnte ich die Größe nur schätzen. Doch eilte ich sofort zu meiner Mutter, die Ihnen als die beste Strickerin der Stadt wohl bekannt ist und bat sie, mir ein passendes Geschenk für Ihre Möpse zu fertigen.


    Sie hat sich wirklich alle Mühe gegeben und sich für die Form der Pudelmütze entschieden, die Bommel allerdings sehr klein und hohl, damit sie (die Möpse) auch am Kopfe nicht frieren mögen.


    Dann baten Sie, hochverehrte Gundula, mich während der Feier, mein Geschenk Ihren Möpsen anzulegen. Auf meinen wiederum schüchternen Einwand entgegneten Sie, dass alle im Saal Ihre Möpse bestens kennen würden und auch oft schon gestreichelt hätten und ich solle mir keine Sorgen machen, sie würden mich nicht beißen. So also von Ihnen ermutigt, streifte ich Ihnen entschlossen vor den Gästen die Bluse und das Mieder herunter um Ihren wohlgeformten Möpsen die Wärmespender überzustreifen.


    Als im gleichen Augenblick Ihre Zofe mit diesen beiden kleinen so zerknautscht wirkenden Hunden auf dem Arm neben Sie trat, erkannte ich erst meinen schrecklichen Irrtum. Ich stamme aus einem einfachen bürgerlichen Haus, hochverehrte Gundula, Möpse wie die Ihren kannte ich nicht und habe sie vorher auch nie gesehen.


    Ich verstehe, wie peinlich dies alles gewesen ist und entschuldige mich von ganzem Herzen für diesen Vorfall und Irrtum. Inzwischen weiß ich ja, dass Sie mit ihren Möpsen nur im Schlafzimmer oder ab und zu, bei schönem Wetter, im Garten spielen und ansonsten von Ihren Bediensteten ausführen lassen. Hätten Sie sie doch nur einmal mitgenommen bei einem unserer gemeinsamen Spaziergänge, wäre es zu diesem peinlichen Vorfall nie gekommen.


    Weiterhin würde ich alles dafür geben, mit Ihnen wieder an der Spree zu flanieren und dabei stolz ihre Möpse mit Ihnen auszuführen. Darf ich noch hoffen?


    Ihr ergebenster Adolar

  • "Geronimo"
    Thema: Wellen
    Autor: Marlowe
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    Endlich war es geschafft. Zwölf Monate hatte ich gebraucht, um die “Merchant Jamaica“, ein mit 30 Kanonen bestücktes Segelschiff des berüchtigten Piraten Henry Morgan, detailgenau herzustellen. Nun steckte es in einem großen Glasballon, der eigentlich für Wein gedacht war, die Masten aufgerichtet und voller Stolz betrachtete ich mein Werk.
    Ich konnte kaum erwarten, es Pia zu zeigen und rief sie laut zu mir. Sie kam herein, Geronimo, ihr hässlicher kleiner Sittich, saß auf ihrer Schulter und beide beäugten mein Werk. „Wäre schöner, wenn es schwimmen würde, kann es überhaupt schwimmen?“ Ich nickte. „Klar kann es das“, sagte ich. „Die Kanonen kann man sogar abfeuern“, fügte ich dann noch stolz dazu.
    Sie nickte bewundernd und bot sich an, den Glasballon vorsichtig mit Wasser zu füllen, damit es, wie sie wichtigtuerisch sagte, immer eine handbreit Wasser unter dem Kiel habe. Sie wollte sich halt unbedingt nützlich machen, also sagte ich nur:
    „Na, dann mach das, aber kein Kaventzmann bitte.“ Ich verließ den Hobbyraum im Keller und ging erst einmal ins Bad, um mir die Hände zu waschen und was man halt sonst noch im Bad so macht.
    Als ich zurückkam, beugte sie sich gerade über den inzwischen etwas angefüllten Glasballon. Ihr dauergelocktes Haar wippte hin und her, während sie immer wieder mit den Fingernägeln an das Glas klopfte und rief: „Böser Vogel! Geronimo, komm sofort wieder da raus.“ Geronimo aber saß vergnügt am Bug des Modellschiffes und dachte gar nicht daran, wieder herauszukommen. Gott, war ich sauer. Aber ich riss mich zusammen. „Wie konnte das denn passieren?“ Sie klopfte weiter an die Glaswand.
    Ihre Stimme klang weinerlich. „Ich habe die beiden Wasserflaschen dort vorsichtig eingefüllt und plötzlich hüpfte er von meiner Schulter und schlüpfte da rein. Er hält es wohl für seine neue Wassertränke.“ Ich musste mich wirklich zusammenreißen, um nicht zu brüllen. „Welche Wasserflaschen?“ fragte ich stattdessen und mir schwante Böses. Sie deutete auf das Regal über meinem Arbeitstisch. Vor einigen Wochen hatte ich einen hochprozentigen Rum aus Jamaica, einen White Pot Still, in einer Fünfliterflasche gekauft, die ich mir für mein nächstes Projekt ausgeguckt hatte und den Rum in leere Plastikwasserflaschen umgefüllt.
    „Oh mein Gott!“ Ich stöhnte laut und musste dann plötzlich lachen. Geronimo, das hässliche Vieh, war sturzbetrunken. Er schwankte auf dem Bug herum, nippte wieder von dem kostbaren Rum, torkelte wie ein betrunkener Pirat herum und verstand die Welt nicht mehr. Geschieht ihm recht, dachte ich und laut sagte ich: „Pia, hol ihn da raus, irgendwie, aber hol ihn raus!“
    Dann geschahen viele Dinge gleichzeitig. Pia richtete sich weinend auf, das Tränenspiel beherrschte sie perfekt, Geronimo torkelte über das Deck, fiel gegen eine Kanone und löste so den Abzug aus, das Zündplättchen knallte leise, die Kanone laut und der Alkoholdampf in dem Glasballon explodierte noch lauter. Die schwarze Styroporkugel aus der Kanone knallte geradewegs an Pias Stirn, der Glasballon flog samt Schiff und betrunkener Besatzung gegen die Kellerwand und ich sagte: „Bravo Pia, Volltreffer, Schiff versenkt.“ Dann konnte ich nicht mehr aufhören zu lachen.

  • "Wellenbrecher"
    Thema: Wellen
    Autor: Inkslinger
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    Donnerstag Abend. Die Innenstadt ist voller Verrückter, die vorm langen Wochenende die Kaufhallen plündern. Ich bin einer von ihnen.


    Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, spätestens Mittwoch Mittag meinen Wocheneinkauf erledigt zu haben. Natürlich hat das nicht geklappt, weil Eigentlich eigentlich Mist ist und mich von vorn bis hinten verarscht hat. Wieder mal.


    Fünf Ampeln trennen mich noch von meinem Ziel: Edeka, ich komme! Im zähfließenden Verkehr erspähe ich alte Bekannte. Weitere Last-Minute-Shopping-Helden. Man grüßt sich mit einem Nicken und hofft, dass man schneller bei der Frischetheke ist als der andere. Wenn es um das letzte Mett geht, kenne ich keine Freunde.


    Durch die abgasgeschwängerte Luft erkenne ich die Kreuzung vor mir. Wie ein Troll wacht die Ampel über den Verkehr und lässt nur diejenigen passieren, die ihr genug Zoll in Form von Kohlendioxid gezahlt haben.


    Endlich stehe ich an vorderster Front. Ich habe mich bis zur Markierung rangepirscht und warte unruhigen Fußes auf den Farbwechsel. Die Sekunden fließen dahin wie Marshmallows im Lagerfeuer. Und genauso wie die fluffigen Zuckerbomben schlägt mir die Warterei gehörig auf den Magen. Es rumort und blubbert im Gedärm. Hoffentlich kommt da keine böse Überraschung auf mich zu.


    Als die Ampel auf Grün springt, lege ich einen filmreifen Start hin und lasse alle hinter mir zurück. Ich komme erfreulich gut voran. Anscheinend hat die Signalanlage wie ein Abführmittel gewirkt. Alle Verstopfungen haben sich aufgelöst.


    Ich passiere Lichtsignal zwei und drei, ohne einmal vom Gas gehen zu müssen. Wie im Rausch schwebe ich vorbei. Auch Nummer Vier ist innerhalb weniger Augenblicke nur noch ein Fleck im Rückspiegel. Gleich bin ich endlich am Ziel!


    Plötzlich biegt ein schwarzer Skoda aus der Seitenstraße und drängt sich vor mich. Ich muss volle Möhre auf die Bremse steigen, um nicht auf seiner Rückbank zu landen.
    Der Drängler macht fragwürdige Handzeichen in meine Richtung und driftet über die gelbe Ampel. So ein blöder Pinsel!


    Natürlich ist meine grüne Welle gebrochen und mein Höhenflug endet - Nase voraus - auf Beton. Diese vermaledeiten unfähigen Autofahrer! Den Führerschein sollte man ihnen wegnehmen und die Familien mit lebenslangem Fahrverbot strafen. Für den Fall, dass Fahrblödheit erblich ist.


    Selbst ein Brötchen Hawaii aus dem Backshop vermag meine Laune nicht mehr zu heben. Und so komme ich eine Stunde später grummelnd und fluchend nach Hause. Der Skoda meines Schatzes steht schon in der Einfahrt und verhöhnt mich. Nächstes Mal fahre ich schon mittwochs einkaufen. Ganz bestimmt!

  • "Haarig"
    Thema: Wellen
    Autor: Rumpelstilzchen
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    Ich glaube nicht an Schicksal, also muss es wohl Zufall gewesen sein. Was Natascha in diesen Friseursalon geführt hat und wieso sie ausgerechnet einen Termin bei mir hatte, kann ich mir nicht erklären. Natascha – das schönste Mädchen in meiner Klasse. Aber sie war es wirklich, noch schöner als früher. Frau Werner stand in meinem Terminplan. Dauerwelle, Schneiden, Beratung wegen einer Blondierung.


    Freundlich lächelnd ging ich auf sie zu, gab ihr die Hand und stellte mich vor. Meinen alten Vornamen benutze ich nicht mehr. Für alle hier bin ich Gisa. Schaute ihr nochmal einen Moment in die braunen Augen. Kein Wiedererkennen. Nichts.


    Immer noch waren ihre Haare wunderschön. Ein Traum. Wie früher. Diese nachlässige Bewegung, mit der sie sie immer nach hinten geworfen hat, werde ich nie vergessen.


    Wie kann man nur mit so tollen Haaren eine Blondierung wollen? Ein rötlicher Braunton, glänzend wie frisch aus der Hülle geschlüpfte Kastanien, überschulterlang, ganz glatt. Jedenfalls war sie damals der Schwarm aller Jungs gewesen, alle Mädchen wollten mit ihr befreundet sein. Ich dagegen war ihr bevorzugtes Opfer.


    Richtige Locken wollte sie. Die Haarfarbe sei auch öde. Heute müsse man blond sein. Ich rate ihr ab, beides gleichzeitig zu machen. Dauerwelle ok. Aber keine Blondierung gleichzeitig. Machten wir nie hier im Salon. Viel zu stressig für die Haare.


    Hochnäsig, dämlich und arrogant wie früher, meinte sie, sie sei die Kundin und bestimme, was sie wolle. Wenn ich das nicht könne, solle ich doch mal die Chefin holen. Angeblich sei das doch hier der beste Salon der Stadt.


    Meine Hände begannen zu zittern. Wie eine Woge überflutete mich der alte Hass, der Wunsch, ihren eleganten Schwanenhals zu würgen bis ihr die Augen aus dem Kopf quellen. Schnell drehte ich mich um. Meine Chefin, die immer jede Kleinigkeit mitbekommt, stand schon hinter mir und gab sich alle Mühe, sie von ihrem Wunsch abzubringen.


    Natascha, immer noch unbelehrbar, stand auf, dann ginge sie eben woanders hin. Die Chefin ging vorweg, zwinkerte mir zu und hielt ihr höflich die Tür auf. Halt, rief ich hinterher, ich mache es.


    Meine Chefin schüttelte verwundert den Kopf, schaute mich fragend an. Ich wundere mich jetzt noch, dass sie das boshafte Funkeln in meinen Augen nicht bemerkt hat.


    Mit Einzelheiten will ich euch verschonen. Jedenfalls: Schlimmeres als Blondieren und am selben Tag eine Dauerwelle kann man seinen Haaren nicht antun. Und wenn noch jemand die Flüssigkeiten zu lange drauf lässt, nicht sauber abspült, dann ist das Ergebnis eine Katastrophe. Wie bei Natascha.


    Abgebrochene, strohige blonde Strähnen hingen bizarr um ihren Kopf, als sie den Salon verließ.


    Meine Chefin hat sich auf keine Diskussionen eingelassen. Sie sei auf das Risiko hingewiesen worden und habe die Blondierung trotzdem ausdrücklich gewollt. Kein Wort des Vorwurfs an mich. Ganz wohl fühle ich mich ehrlich gesagt nicht, wenn sie mich heute versonnen betrachtet. Vielleicht ist es an der Zeit, mal wieder die Stelle zu wechseln.

  • "Ohrgeräusche"
    Thema: Wow-Effekt
    Autor: Andromeda
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    Ohio, Big Ear, SETI-Projekt, 15. August 1977, 23:16 Uhr Ortszeit
    Jerry Ehman lehnt sich hinüber zum Drucker seines Radioteleskops und fährt hoch wie von der Tarantel gestochen: eine ungewöhnliche Aufzeichnung entsteht in diesem Moment, ein Signal, wie er es noch nie zuvor gesehen hat. 72 Sekunden Hochspannung, dann erlischt das Signal. Aufgeregt reißt Ehman den Papierstreifen ab, beginnt zu analysieren, markiert die merkwürdigen Zahlen und schreibt in seinem Enthusiasmus ein dickes rotes „Wow!“ an den Rand. Doch rasch breitet sich Resignation in ihm aus, denn er muss erkennen, dass der Breitbandempfänger des Teleskops zu schwach war, um die Signale so aufzuzeichnen, dass man sie irgendwie interpretieren könnte...


    Hawaii, Biggest Ear Ever, SETI-Projekt, 2. Juli 2137, 12:01 Uhr Ortszeit
    Widerwillig stöpselt Kaleo seinen privaten Laptop aus der Rechenanlage des Radioteleskops und reißt sich damit aus seinen ebenfalls privaten Forschungen über die Geschichte der Luftfahrt. Wie kurz die Mittagspause wieder war! Andererseits ist das Projekt, das ihm sein Chef heute übertragen hat, auch nicht uninteressant. Die Daten alter Seti-Untersuchungen soll er sichten und aufbereiten. „Zur Überbrückung der Wartezeit auf neue Signale“, sagte sein Chef mit einem Schmunzeln und packte ihm ein Riesengebirge aus Datenträgern auf den großen Arbeitstisch.


    Kaleo greift sich Nummer Fünf, vier hat er bereits ohne Ergebnisse durchgesehen. Kein Wunder, die stammen alle aus dem 20. Jahrhundert, was hätten die damals mit ihrer primitiven Technik schon groß empfangen können. Trotzdem sieht er die Auflistung der Daten durch, Job ist Job. Sein Blick fängt sich am Dateinamen „Wow-Signal“. Das klingt dann doch einigermaßen vielversprechend. Er speist die Daten in die Anlage und überfliegt die Angaben. Aha, ein merkwürdiges Signal, empfangen Ende der Siebziger des 20. Jahrhunderts, nicht interpretierbar. Kaleo startet das Prüfprogramm und lässt beinahe seinen Kaffeebecher fallen, als der Computer kurz darauf verkündet „All parameters positive“. Eindeutig ein außerirdisches Signal, aus den Tiefen des Weltraums. Ja, verständlich, dass man die Daten damals nicht brauchbar fand. Kein Zweifel, die Signale gingen durch eine Raumfalte, wurden komprimiert und dadurch für die damaligen Möglichkeiten unleserlich gemacht. Mit heutiger Technik relativ einfach aufzulösen. Hastig programmiert er die nötigen Sequenzen, wartet ungeduldig die zehn Sekunden, die die Anlage zur Entschlüsselung braucht. Dann starrt er ungläubig auf den Bildschirm, flüstert: „Aber das sind doch … Morsezeichen? Morsezeichen!“ Er lässt einen neuerlichen Prüfvorgang laufen, doch das Ergebnis deckt sich mit dem ersten. Das Signal stammt unzweifelhaft aus dem All.


    Beinahe zögernd ob der Unglaublichkeit der Entdeckung gibt er dem Computer den Befehl, die Zeichen in Sprache zu übersetzen. Eine Sounddatei entsteht, unvollständig, das sieht er schon, aber dennoch, vielleicht entzifferbar und verständlich. Mit zitternden Fingern startet er die Wiedergabe und hört fassungslos die Botschaft aus Raum und Zeit, durchbrochen von weißem Rauschen: „Mayday, Mayday ..... kidnapped by Aliens ….. lightyears away ….. very strange planet ….. please try contact ….. name ….. Amelia Earhart“.

  • "Shit happens"
    Thema: Wow-Effekt
    Autor: Marlowe
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    Will, mein bester Freund, schaute anzüglich auf seine Uhr, als ich im Laufschritt antrabte. „Sorry,“ japste ich, „bin spät dran, ich weiß.“ Großmütig winkte er ab. „Schon gut, gehen wir los.“


    Wir marschierten also sofort weiter Richtung Stadthalle, beide voller Vorfreude auf das alle zwei Jahre stattfindende Fest der „Fat Rats“ mit ihrer Wahl der Ratqueen. Fat Rats, das waren die Frauen, die sich kategorisch jedem Schlankheitswahn verweigerten und damit jeder Diät und Kritik an ihrer Körperfülle eine Absage erteilten. Sie verstanden das als Protest gegen sexistische Vorschriften der Werbe-, Mode- und sonstiger Industrie. Auf ihren ersten Bannern damals standen so Sachen wie “To eat is The Beat“ oder “Miss Piggy is better than Twiggy“.


    Damals meinte Willi, sie hätten auch “Hungern ist Frust – Fressen unsere Lust“ schreiben können. Sicher hatte er Recht, aber den Zuschauern war eigentlich egal, was der wahre Grund für diese Treffen waren, wichtig war nur der Spaß an dieser Veranstaltung und dass sie von den bekannten Fastfood-Ketten, der Konditorenvereinigung und anderen Dickmacherlieferanten gesponsert wurde. Ein Fest also für die Augen, den Mund, den Magen.


    Auf dem freien Gelände neben der Stadthalle war diesmal sogar ein riesiges Zelt aufgestellt worden. Von allen Seiten strömten die Menschen herbei und da wir doch noch etwas Zeit hatten, gingen wir erst einmal dorthin und folgten somit zwei mehr als molligen Damen, die ebenfalls dorthin strebten. Sie wurden bereits von einer Frau erwartet. Aber was heißt hier Frau - sie war ein Koloss, ein Berg. Ein Fettberg auf zwei Beinen mit einem bestimmt hübschen, aber in die Breite gegangenen Gesicht, aus dem ein Lächeln den beiden Frauen vor uns entgegen strahlte.


    Dieses Zusammentreffen kam für mich völlig unerwartet, schon standen wir direkt vor ihnen und ich konnte nicht anders, ich starrte diesen weiblichen Berg voller Bewunderung an. Meine Fresse, dachte ich und was mir sonst noch für Bilder dabei durch den Kopf liefen, verschweige ich lieber.


    Mein ehrfürchtiges Starren blieb nicht unbemerkt. Sie funkelte mich mit Augen wie Lasergeschütze an, ihr Mund öffnete sich wie das Tor zu einem Hangar und sie fragte: „Ist was, Stangenspargel?“ Ich schluckte, japste erneut nach Luft und antwortete ohne Nachdenken: „Ich schwöre, Sie sind mit Abstand die fetteste Ratte, die ich je hier gesehen habe.“ Ich wollte noch hinzufügen, dass sie ganz sicher meine Zuschauerstimme für die Wahl der Rattenkönigin bekommen würde, aber sie war trotz ihrer Masse zu schnell für mich.


    Unter allen bestimmt hart antrainierten Fettschichten waren auch Muskeln verborgen. Ich hatte das Zupfen meines Freundes Willi an meinem Ärmel ignoriert, das rächte sich jetzt. Ihre rechte Handfläche traf mich seitlich am Kopf mit der Gewalt eines Steinschlags, aus heiterem Himmel und mit aller Wucht. Ich ging sofort zu Boden und fragte mich noch, was aus mir werden würde, wenn dieser Berg sich auf mich stürzte. Meine Augen tränten, doch dann konnte ich endlich, auf dem Boden liegend, wieder etwas sehen.


    Drei kräftige Rücken und das Banner über dem Zelteingang. Auf allen stand: Weight Watchers – feel good.

  • "Bye Bye"
    Thema: Wow-Effekt
    Autor: Suzann
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    Der Blick in strahlend blaue Augen entlockte ihm ein verblüfftes „Wow“. Hatte er das laut ausgesprochen? Er suchte in dem von lockigen Haaren umrahmten Gesicht seines Gegenübers nach einem Hinweis, ob er sich wirklich zum Affen gemacht hatte. Der fragende Blick und die leicht gerunzelte Stirn konnte auf vielerlei Arten gedeutet werden. Er hatte noch nie so eindrucksvolle Augen gesehen. Die Iris hatte die Farbe eines aquamarinfarbenen Kristalls in einem schmalen, ausgefransten Rahmen. Wenn man genau hinsah, saugten einen die hellen wirbelnden Muster darin in die unendlichen Tiefen eines wolkigen Himmels. Er hatte nicht gewusst, dass es solche Augen überhaupt gab. Und der Kontrast zu dem dunklen Haar war atemberaubend.


    Ratlos blickte er vor sich auf die Dinge, die er auf seinem Parcour durch den Supermarkt in den Wagen geworfen hatte, dann auf die kühle Butter in seiner Hand. Er hatte sie gerade auf das Band legen wollen, als er von diesen Augen in eine andere Dimension gebeamt worden war. Was könnte er jetzt sagen, um eine Verbindung herzustellen, die ihm Aussichten auf eine Verabredung verschaffen würde? Er war so ungeschickt darin Leute anzusprechen. Ein Ohrwurm von Cro kam ihm in den Sinn. „Bitte komm, sprich sie an, das ist das Schönste, was du je gesehen hast und da ist sicherlich kein Mann, stell dich nicht so an, wenn nicht jetzt, wann dann?“


    Ein ungeduldiges Räuspern holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Hastig sah er sich um, niemand war zu sehen. Hätte ihn auch gewundert, um diese Zeit war der Supermarkt normalerweise wie ausgestorben. Das war schließlich der Grund, warum er gerade jetzt hier war, gegenüber diesem unwirklichen Wesen in einer schwarzen Schürze mit dem bunten Logo einer Supermarktkette. Sie waren alleine. „Sorry“, unterbrach er den Redeansatz seines Gegenübers. Jetzt war es an ihm sich zu räuspern. Schließlich fing er einfach zu singen an, erst leise und stockend, dann immer sicherer: „Bye bye, bye bye meine Liebe des Lebens. Wir beide werden uns nie wieder sehen. Kann schon sein, dass man sich im Leben zweimal begegnet, doch es beim zweiten Mal dann einfach zu spät ist.


    Über das Gesicht mit diesen verstörenden Augen huschte wie bei einer Diashow schnell wechselndes Mienenspiel. Erstaunen, Verwirrung, Belustigung, Interesse, Argwohn, Neugier. Er spürte, wie er rot anlief und blickte peinlich berührt auf das Butterstück, das er gerade in seiner Hand vergewaltigte. Geschlagen legte er den verformten Butterbarren auf das Band, als er eine tiefe Stimme in einem unmöglichen Dialekt sagen hörte: "I mach um ölfe Feieramd. Wen´st me oholst, kimma zsama oan dringa gehn."

  • "Seltsame Romanze"
    Thema: Weggefährten
    Autor: churchill
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    Ich kenne ihn gut, denn ich hab ihn gelesen.
    Da sitzt jedes Wort. Und er ist, was er schreibt.
    Bekennendes Arschloch (schon immer gewesen),
    das niemandem eine Replik schuldig bleibt.


    Ein Zyniker. Griesgram. Ein düstrer Geselle.
    Ein Unsympath. Gnadenlos und arrogant.
    Humorlos. Ein Menschenfeind auf alle Fälle.
    Ich les ihn und kenn ihn. Ich hab ihn gekannt.


    Dann habe ich ihn irgendwann mal getroffen.
    Gezwungenermaßen. Er saß eben da.
    Wir grüßten uns, redeten, stritten und soffen
    und lernten uns kennen. Und lachten sogar.


    Ich les ihn noch immer. Ganz neu. Mit den Ohren.
    Ich hör seine Stimme bei jeglichem Wort.
    Im Text geht mir nunmehr kein Schmunzeln verloren.
    So les ich ihn hier, aber höre ihn dort.


    Noch immer verzapft er Gepolter, Gerumpel.
    Er bleibt seinem Image so wunderbar treu.
    Er kostet mich Nerven und ist doch mein Kumpel.
    Das nächste Glas naht. Weißt du, wie ich mich freu?

  • "Drei Freunde"
    Thema: Weggefährten
    Autor: Suzann
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    Heinz, Günther und Kurt waren schon Freunde, bevor sie ihre Frauen durch Tod, Demenz und Scheidung verloren. Nach den Verlusten entwickelte sich ihre Freundschaft zu der Stütze, die sie sonst nirgends mehr fanden. Das hatte sie in ihren letzten Lebensjahren fest zusammen geschweißt. Jetzt war Heinz tot, Günther von den Kindern ins Altenheim abgeschoben und nur Kurt lebte noch in seinem Häuschen.


    Hund Felix war Heinz´ ganze Freude gewesen. Als der Prostata-Krebs Heinz langsam dahinraffte, war sein letzter Wunsch, dass Felix zusammen mit ihm in der Erde ruhen würde. Da Tiere nicht auf Menschenfriedhöfen bestattet werden durften, hatten sie sich lange geweigert. Sie hatten erst nachgegeben, als der Tod aus Heinz´ ausgemergelten Gesicht leuchtete. Kurt hatte den alten Felix bei sich aufgenommen und ihn nach dessen Ableben in die Kühltruhe gelegt. Dann hatten Günther und er einen Schlachtplan ausgearbeitet.


    So kam es, dass mitten in einer wolkenlosen Nacht zwei Rentner mit einer Schaufel und einer Hundeleiche vor einem Grab standen, wo im Licht des Vollmondes Heinz´ Sterbebild auf dem Holzkreuz erkennbar war. Das Grab war immer noch der schmucklose Erdhügel, wie er bei der Beerdigung aufgeschüttet worden war. Irgendeine gute Seele hatte die alten Kränze entfernt, aber der eingefallene Hügel sah ohne den vergammelten Blumenschmuck noch trostloser aus.


    „Sag mal, können wir dafür eingesperrt werden?“, flüsterte Günther in einer Lautstärke, die alte Leute für leise halten, als er den angetauten Hund ins Gras plumpsen lies.


    „Du bist doch längst in deinem Altenheim eingesperrt, du Schwachkopf!“, kam Kurts bissige Antwort, gefolgt von einem Hustenanfall. Wenn er sich aufregte, musste Kurt husten und da er jahrzehntelang geraucht hatte, waren seine Hustenattacken ein akustisches Erlebnis. Günthers nächtlicher Ausbruch aus dem Seniorenstift hatte Kurt einiges an Überredungskunst bei Anna gekostet.


    So ein nächtliches Spektakel hatte der Friedhof lange nicht mehr gesehen. Zuletzt hatten Jugendliche eine Gothic Party hier gefeiert, seitdem wurde nachts abgesperrt. Doch Kurt hatte einen Schlüssel organisieren können. Der Kartenabend bei Bestattungsunternehmer Neidl war dabei sehr hilfreich gewesen.


    Sie erfüllten heute Nacht ein heiliges Versprechen, erinnerte sich Kurt, als während des Schaufelns das unangenehme Gefühl in ihm aufstieg, den Friedhof zu schänden und die Totenruhe zu stören. Sie wechselten sich ab und endlich war das Loch tief genug. Schwer atmend stützte er sich auf die Schaufel, während sich Günther an den Stein des Nachbargrabes lehnen musste.


    Als Günther den Hund in das Loch ziehen wollte, trat er zu nah an den Rand, rutschte ab und fiel hinein. „Blöder! Drecks! Mist!“, fluchte es aus dem Loch. „Ungeschickt bis zum Schluss“, amüsierte sich Kurt und half seinem Freund aus dem Grab. Während der sich die Erde von der Kleidung klopfte, erledigte er den Rest.


    Fast drei Stunden waren vergangen, bevor Günther ins Altenheim zurückkehrte. Anna, Kurts Enkeltochter, die dort in der Altenpflege arbeitete, wartete schon an der Hintertüre auf ihn. „Wo bleibst du denn?“, zischte sie nervös, „und wie siehst du aus?“


    „Alles okay“, beruhigte er sie. Obwohl er total erschöpft war, fühlte er sich so lebendig wie schon lange nicht mehr.

  • "Konzilianz"
    Thema: Weggefährten
    Autor: Andromeda
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    War er wirklich schon immer hier
    an meiner Seite?
    Mich begleitend, Schatten werfend,
    Von mir unbemerkt?
    Mit sanft-väterlicher Stimme
    versichert er mir:
    Ja, ich war immer hier, bei dir,
    stets dich begleitend,
    seit deinem ersten Lebenstag,
    du weißt es genau.


    Du hast mich oft schon gesehen,
    mal aus der Distanz,
    manchmal näher als dir lieb war.
    Du hast mich erkannt.


    Abwehrend weiche ich zurück:
    Ich kenne dich nicht,
    bin dir nie vorher begegnet!
    Dein Schatten wirkt fremd,
    es gab nur Licht auf meinem Weg,
    nichts Dunkles wie dich.


    Du belügst dich selbst, das weißt du.
    Erinnere dich:
    Schmerz und Trauer, Erleichterung,
    Trost, Leiden, Beistand.
    Alle meine Schattenboten
    entlang deines Wegs
    erzählten meine Gegenwart,
    drangen in dich ein.
    Immer wieder spürtest du mich,
    ahntest unser Ziel.


    Unwillig schaue ich zurück -
    ist das die Wahrheit?
    Gab es Warnung und Verheißung,
    Schatten neben Licht?


    Die Erkenntnis schmeckt bittersüß,
    tiefes Leid, Verlust,
    verdrängt und doch nicht vergessen,
    sie kamen durch ihn,
    doch ebenso die Verheißung:
    Freiheit ist das Ziel.


    Zögernd nähere ich mich ihm,
    greife seine Hand,
    vertraute knochige Kälte.
    Den Rest des Weges
    werden wir gemeinsam gehen
    immer Hand in Hand.
    Werd ich es ertragen können,
    dass er bei mir ist?
    Werden wir wohl Freunde werden
    auf dem kurzen Weg?