Teil 9 – In dem ein König die erste Aufgabe löst, ein Narr etwas über Artenschutz erzählt und ein sehr geheimnisvolles Geräusch zu hören ist.
„Soll ich den Haken wieder durchstreichen oder ein neues Aufgabenblatt abreissen, Eure Majestät?“, fragte der Hofnarr, der sich inzwischen eines der Blätter und einen Stift zur Hand genommen hatte.
„Narr, wenn Du nicht den Mund hältst, dann werde ich Dich gleich durchstreichen, und zwar mit meinem Schwert.“, herrschte ihn der König an, während er zum wiederholten Male erfolglos versuchte mit dem Schlüssel die Pforte zu öffnen.
Die Königin hatte es sich mittlerweile auf Öresund, dem Tisch bequemgemacht und ließ gelangweilt ihre Beine herunterbaumeln. Madame Priscilla saß auf dem Boden, streckte die Füße von sich, stützte sich mit beiden Armen nach hinten ab und hatte den Kopf soweit es ging in ihren fleischigen Nacken gelegt, um in die Schwärze über ihren Köpfen zu starren.
Der König zog den Schlüssel ab, hämmerte mit der Faust gegen die Tür „BONK!“ und warf dann erbost den Schlüsselring zu Boden. „So ein verdammter Mist! Von wegen, die erste Aufgabe müsste doch zu schaffen zu sein. Ha!“, wetterte er, stemmte die Hände in die Hüften und sah sich um. Er sah zur Königin, die ihm aufmunternd zublinzelte und dachte dabei, wie kinderleicht es dagegen geradezu gewesen war, die Kammer des Schreibers und den Keuschheitsgürtel der Königin zu öffnen.
„Kammer des Schreibers, Keuschheitsgürtel,...“, flüsterte er vor sich hin und hob nachdenklich den Schlüsselring auf. Er betrachtete die drei Schlüssel und ließ sie nacheinander durch die Finger gleiten. „Vielleicht braucht man ja alle drei für die Pforte?“, sprach er laut aus und alle schauten ihn dabei an. Die Königin sprang vom Tisch, Madame Priscilla hievte sich schwerfällig auf ihre Füße und der Narr schien freudig erregt und erleichtert nun doch das Aufgabenblatt weiter verwenden zu können.
Der König versuchte es mit dem kleinen goldenen Schlüssel. Wundersamer Weise passte auch der in das Schloß, in dem sich zuvor der rostige Eisenschlüssel drehen ließ. Es machte hörbar „Klick“. Und zwar so hörbar, daß dieses „Klick“ durch die Höhle echote und nur langsam in der Dunkelheit verklang. Alle sahen sich erschrocken um. Ermutigt nahm der König nun den silbernen Schlüssel zur Hand und grinste dabei die Königin an, die ihm zurückblinzelte. Auch dieser Schlüssel passte erstaunlicherweise perfekt in das Schloß und ein weiteres „Klick“ erfüllte die Höhle und verlor sich nach kurzer Zeit wieder.
„So, dann wollen wir doch mal sehen, was jetzt passiert.“, sprach der König leise vor sich hin, als er abermals den rostigen Eisenschlüssel ansetzte. Der Hofnarr schaute ihm aufgeregt über die Schulter, das Aufgabenblatt und den Stift fest mit beiden Händen umklammernd. Der König drehte den Schlüssel und spürte, wie dieser einen Widerstand überwand. Alle erschraken fürchterlich, als sich plötzliches ein lautes „BONK!“ durch die Höhle fortpflanzte, daß nur langsam leiser wurde.
„Also gut.“, sagte die Königin und zog ihr Schwert dabei. „Dann wollen wir doch mal sehen, was uns hinter der Pforte erwartet.“ Madame Priscilla hielt sich an den Zelthäringen der Verdammnis fest und versuchte sich erfolglos hinter der Königin zu verstecken.
Der König wandte sich an den Hofnarren. „Steckt jetzt diesen bescheuerten Aufgabenzettel weg und zieht Euer Schwert, Ihr Ferkeltöter!“, raunzte er ihn an.
„Aber Hoheit, das ist doch keine richtige Waffe! Das Schwert habe ich aus dem Gauklerladen in der Stadt. Es ist nicht sonderlich geeignet für einen richtigen Kampf.“, gab der Hofnarr recht kleinlaut zurück.
Der König verdrehte die Augen und entgegnete ihm: „Wenn es für ein Ferkel ausreichend war, dann muß es wohl oder übel auch für den Schrecken des Hu-Hum-Bu-Hug reichen.“ Dabei riss er dem Narren den Zettel aus der Hand und warf nochmals einen Blick darauf, um den Namen des Ungeheuers auch richtig auszusprechen.
„Also los!“ Mit diesen Worten zog der König sein Schwert aus der Scheide. Als ein dezentes Bimmeln der Glöckchen in der Parierstange erklang, sackten seine gerade eben erst gestrafften Schultern wieder zusammen. Kopfschüttelnd steckte er den Schlüsselring wieder zurück in sein Wams und drückte den Türgriff herunter.
Die Tür schwang lautlos auf und gab den Blick auf einen finsteren Tunnel frei, der von ihren Fackeln nur ein paar Meter weit augeleuchtet wurde. Vorsichtig, in der einen Hand das bimmelnde Schwert und in der anderen eine Fackel, betrat der König den gewölbten Tunnel. Danach folgte ihm der Narr, hinter dem die Königin und Madame Priscilla gingen. Mit einem lauten „BONK!“ fiel die Pforte der Prophezeiung hinter ihnen wieder ins Schloß. Alle fuhren erschrocken herum.
„Sie hat auf dieser Seite kein Schloß!“, stammelte Madame Priscilla ängstlich und deutete dabei auf die Tür.
„Dann gibt es jetzt kein Zurück mehr.“, stellte die Königin trocken fest. Der König zuckte mit den Schultern, drehte sich wieder um und schritt voran.
Ab und zu wischte er ein paar Spinnweben zur Seite, die von der Tunneldecke hingen. Nach einem seiner Schritte erklang auf einmal ein kurzes schmerzvolles Quieken. „Was war das?“, fragte ihn der Hofnarr, während er im nächsten Augenblick ein schmieriges Gefühl unter seinem Schuh spürte.
„Ich habe anscheinend eine Ratte zertreten.“, antwortete ihm der König beiläufig.
„Eine Ratte?!“ Die Stimme des Hofnarrens klang entsetzt. „Aber Hoheit, Ratten stehen im Königreich schon seit hundert Jahren unter dem Artenschutz. Sie sind vom Aussterben bedroht!“
„Narr, Ihr habt sie wohl nicht mehr alle!“, blieb der König abrupt stehen und drehte sich um. Der Hofnarr lief fast in den König hinein, konnte aber gerade noch innehalten.
„Hoheit, seit dem Erlass für Kinderarbeit in den Schwefelminen und der Herabsetzung der Mindestlöhne für Hungerleider, galten Ratten bei einem Großteil der Bevölkerung als nahrhafte Ergänzung des kärglichen Speiseplans. Innerhalb weniger Jahre ging die Population geradezu erschreckend zurück.“, rechtfertigte sich der Narr und sah zur Königin zurück, die zustimmend nickte.
„Welche Population?“, wollte der König wissen.
„Die der Ratten natürlich, Hoheit.“, antwortete der Hofnarr.
Der König senkte den Kopf, schloß die Augen und sammelte sich wieder. Wortlos drehte er sich um und stiefelte wieder den Tunnel entlang.
Nach einiger Zeit drang ein Plätschern an ihre Ohren. Die Gruppe hielt kurz inne und lauschte. „Habt ihr das auch vernommen?“, flüsterte der König seinem Gefolge zu. Alle nickten.
„Ob das von dem schrecklichen Ungeheuer stammt?“, gab Madame Priscilla mit erstickter Stimme von sich und klammerte sich dabei an die vor ihr stehende Königin.
„Herrje.“, stammelte der Hofnarr ängstlich, ging einen Schritt zurück und klammerte sich ebenfalls an die Königin.
„Narr, wenn Ihr nicht augenblicklich Eure Hände von meinen Brüsten nehmt, dann hacke ich sie Euch genauso augenblicklich ab und ihr könnt in Zukunft versuchen mit Euren Ohrläppchen Hühner zu jonglieren!“, entrüstete sich die Königin, schüttelte den Narren drohend von sich ab und hob bimmelnd ihr Schwert.
„Wollt ihr alle wohl still sein!“, herrschte sie der König an und legte dabei den Zeigefinger auf den Mund.
Langsam schlichen sie weiter und näherten sich dem seltsamen Plätschern. Ein bläulicher Schein erhellte weiter vorne plötzlich den Tunnel. Je näher sie dem Licht kamen, desto lauter wurde das Geräusch, daß sich langsam zu verwandeln schien. Aus dem weit entfernten Plätschern, schien nach und nach ein gewaltiges unregelmässiges Platschen geworden zu sein.
„Hört sich so an, als ob aus großer Höhe ein Felsbrocken ins Wasser fällt, oder?“, flüsterte der König zwischen den inzwischen sehr lauten Geräuschen. Anscheinend mündete der Tunnel in einen größeren Raum. Auf jeden Schritt bedacht, gingen sie vorsichtig auf das Ende des Tunnels und das Licht zu. Als sie endlich angelangt waren, bedeutete ihnen der König mit der Hand noch ein wenig zurückzubleiben. Er drückte sich eng an die Wand und spähte kurz aus dem Tunnel. Was er sah, ließ ihm den Atem stocken und sein erstickter Laut des Erschreckens ging in einem neuerlichen gewaltigen Platschen unter.
Ende von Teil 9
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