Eva Mozes Kor/Guido Eckert: Die Macht des Vergebens

  • Eva Mozes Kor/Guido Eckert: Die Macht des Vergebens
    Verlag: Benevento 2016. 236 Seiten. 24€
    ISBN-13: 978-3710900112


    Verlagstext
    "Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich lediglich auf alles reagiert, was Menschen mir angetan hatten. Ich hatte also genauso gehandelt, wie es Opfer zu tun pflegen. Sie fühlen nicht, dass sie Kontrolle über ihr Leben haben. Also reagieren sie immer nur auf das, was andere Menschen sagen oder tun. Jetzt wurde mir plötzlich klar: Ich habe die Verfügungsgewalt über mein Leben. Ich habe Macht." - Eva Mozes Kor ist eine der letzten Zeitzeuginnen der NS-Diktatur und der Gräuel von Auschwitz. Ihr Umgang damit ist einzigartig. "Vergib und heile" lauten ihre Kernworte, die sie den Menschen mit auf den Weg gibt. Nur so kann man die Opferrolle abstreifen und eine Prozess in Gang setzen, der es den Peinigern von einst nicht mehr erlaubt, Macht auszuüben.


    Die Autorin
    Eva Mozes Kor, geboren 1934 in Portz in Siebenbürgen, verlor ihre Eltern und zwei ältere Schwestern in Auschwitz. Sie selbst wurde, zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Miriam, vom KZ-Arzt Josef Mengele für dessen Menschenversuche missbraucht. Heute lebt sie in Terre Haute, Indiana, wo sie das CANDLES Holocaust Museum and Education Center leitet. Dort, aber auch auf ihren vielen Vortragsreisen, erzählt sie ihre Geschichte stets endend mit der Botschaft „Anger is a seed for war. Forgiveness is a seed for peace.” Ihr 2009 erschienenes Kinderbuch "Surviving the Angel of Death“/"Ich habe den Todesengel überlebt: Ein Mengele-Opfer erzählt“ war ein internationaler Bestseller.


    Der Co-Autor
    Guido Eckert ist Verfasser von erzählerischen Werken, Hörspielen und Drehbüchern. 1991 erhielt er den Axel-Springer-Preis, 1996 den Theodor-Wolff-Preis, 1998 einen Förderpreis für Literatur des Landes Nordrhein-Westfalen sowie 2001 das Gabriel-Grüner-Stipendium. Den „Tatsachenroman“ Möbelhaus publizierte er 2015 unter dem Pseudonym Robert Kisch. Eckert lebt heute in Köln.


    Inhalt
    Eva Mozes Kor hat ein bemerkenswertes Jugendbuch geschrieben über ihr Schicksal als Opfer Josef Mengeles und seiner medizinischen Versuche an Zwillingspaaren im KZ Auschwitz. In Deutschland ist die Autorin seit ihrer – umstrittenen - Begegnung mit Mengeles Mitarbeiter Dr. Münch (1995) und ihrer Teilnahme am Prozess gegen Oskar Gröning (2015) bekannt geworden. „Die Macht des Vergebens“ ist ihr Vermächtnis an die nachfolgenden Generationen und eine couragierte Auseinandersetzung mit der Kritik an ihren Versöhnungsbestrebungen gegenüber den Tätern.


    Mozes Kor erzählt zuerst von ihrer Selektion in Auschwitz für Mengeles Menschenversuche, ihrem unbedingten Überlebenswillen und dem Halt, den die erst 10-jährigen Mädchen aneinander fanden. Geplant war, dass jeweils ein Kind eines Zwillingspaars an den injizierten Krankheitserregern stirbt, das zweite Kind getötet wird und beide seziert werden. Eva überlebt - von Mengele unerwartet - die Tortur und rettet damit zugleich ihrer Schwester Miriam das Leben. Die Rückkehr nach Rumänien nach der Befreiung des KZs durch die Russische Armee, ihre Auswanderung nach Israel, Heirat mit dem ebenfalls aus dem KZ befreiten Michael Kor und Übersiedlung in die USA sind die weiteren Schritte auf ihrem Lebensweg.


    Ihren Kindern erklärt Mozes Kor offen die auf ihren Arm tätowierte Häftlingsnummer und warum die Kinder keine Großeltern haben. Doch erst als 1978 in den USA die Fernsehserie Holocaust ausgestrahlt wird, kann sie gegenüber Nachbarn und Bekannten ihre Rolle als schwierige Ausländerin ablegen, die sich vor lauten Halloween-Streichen fürchtet. Mit bewundernswerter Energie vollzieht Eva Mozes Kor den Schritt aus ihrer Opferrolle zur Überlebenden. Sie beginnt ein zweites Leben als Zeitzeugin des Nationalsozialismus, tritt als Referentin auf und leitet ein Museum in ihrem Heimatort. Das kleine Mädchen vom Foto der Befreiung des Lagers Auschwitz ist zur öffentlichen Person geworden. Dieser zweite Teil des Buches hat mir am stärksten imponiert. Er verdeutlicht, dass das bloße Überleben von Mengeles Metzeleien nicht genügt, sondern dass die Überlebenden ihre Erlebnisse verarbeiten und der nachfolgenden Generation davon berichten müssen. Michael Kor hat niemals über seine KZ-Haft gesprochen – bis der Besuch einer Schulklasse im Museum auch bei ihm das Eis bricht. Eva muss sich auch mit dem frühen Tod ihrer Schwester Miriam aussöhnen, die vermutlich als Erwachsene sterben musste, weil ihren behandelnden Ärzten die Akten der Menschenversuche nicht zugänglich waren. Der dritte Teil umfasst Kors Treffen mit Dr. Münch und mit Oskar Göring in Deutschland. Hier wird deutlich, dass Vergebung eine aktive Handlung ist, aber auch Teil des Respekts gegenüber sich selbst, eine Einsicht, zu der die Angehörigen Überlebender im Gröning-Prozess noch nicht gekommen sind.


    Fazit
    Auch für die Kinder von Überlebenden, die nicht über ihr Schicksal sprechen, ist dieses beeindruckende Buch geschrieben worden.


    8 von 10 Punkten